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Bahn fährt auf Gewinn / Selbst Zentren haben kaum Chance auf Schnellzüge / SPD und Grüne wollen das ändern. Von Jens Schmidt ICE für Magdeburg: Der Zug ist abgefahren

29.01.2013, 01:18

Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt wird im Bahn-Fernverkehr nur drittklassig bedient. Auch andere Regionen fühlen sich abgehängt, da die Bahn nur renditestarke Linien fährt. Ändern könnte das der Bund. Doch die Regierung bleibt hart. SPD und Grüne sehen erheblichen Handlungsbedarf.

Magdeburg l Die Volksstimme hat gezählt, wie viele Direkt-Fernzüge in Städten vergleichbarer Größe an einem Wochentag wie heute abfahren. Beim Nachbarn Braunschweig in Niedersachsen bietet die Bahn 64 Fernverkehrszüge der Marke ICE oder IC an. In Halle sind es immerhin 53. In Magdeburg gerade mal 35. Und ein Intercity-Express (ICE) findet sich derzeit hier gar nicht darunter. Berlin, Frankfurt/Main oder München sind von Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt aus nicht oder nur selten mit einem Schnellzug ohne Umstieg erreichbar.

Braunschweig und Halle sind keine Landeshauptstädte, sie liegen aber an einer der Haupttrassen der Bahn. Wer nicht an einer solchen Trasse liegt, hat Pech. Und so kommt es, dass etwa Städtchen wie Montabaur in Rheinland-Pfalz (12 000 Einwohner) bestens mit 33 (!) ICE-Zügen täglich versorgt sind und Städte wie Magdeburg oder Chemnitz diese Zuggattung gar nicht sehen. Auch Jena in Thüringen (105 000 Einwohner) oder Augsburg in Bayern (267 000 Einwohner) dürften bald ICE-frei sein, wenn erst die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin-München fertig ist.

Aus Magdeburger Perspektive liegt der Kardinalfehler in der Linienführung der in den 90er Jahren gebauten ICE-Strecke von Berlin nach Hannover. Um ein paar Fahrminuten zu sparen, wurde die Trasse quer durch die Altmark und an Magdeburg vorbeigezogen.

"Es ist dreist und unverantwortlich, was sich die Bahn erlaubt."

"Es ist dreist und unverantwortlich, was die Bahn sich mit der Landeshauptstadt erlaubt", sagt Detlef Gürth (CDU). Der Landtagspräsident ist prominentes Mitglied der Ende 2012 gegründeten Initiative Pro-ICE. "Wir dürfen eine weiteres Abkoppeln nicht zulassen, da muss mehr Gegenwind blasen."

Nun sind Städte wie Magdeburg, Chemnitz oder Saarbrücken allein zu schwach, um Züge profitbringend zu füllen. Dennoch wäre ihre Anbindung enorm wichtig für die jeweiligen Regionen, um im Standortwettbewerb für große Investoren oder Veranstalter interessant zu sein. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD): "Ich höre das bei fast jeder Tagung: Die Bahnanbindung nach Magdeburg ist eine Zumutung."

Doch die Bahn denkt derzeit gar nicht daran, Magdeburg besser zu bedienen, nur weil die Stadt Landeshauptsadt ist. Denn der Fernverkehr ist voll auf Gewinn getrimmt, strukturpolitische Rücksichtnahme ist nicht vorgesehen. Der Konzernbevollmächtigte der Bahn Jobst Paul sagt: "Im Mittelpunkt steht nur die Frage: Wie machen wir keine Verluste?" Also fährt die Bahn vor allem dort Fernzüge, wo die großen Wirtschaftszentren liegen und sie die Wagen rappelvoll kriegt. Das klappt gut an den Hochtempostrecken und am besten an denen im Westen. "Geld verdienen kann man an den Rennbahnen mit vollen Zügen. Es brummt im Osten nicht so wie im Westen. Leider."

Für die Grundversorgung gibt es den Nahverkehr - der Fernverkehr läuft marktorientiert. So war das mit der Bahnreform 1994 gewollt gewesen. Die Bahn, viele Jahre lang tief in den roten Zahlen, fährt seit ein paar Jahren steigende Gewinne ein. 2011 über eine Milliarde Euro.

Doch: Muss es nicht Ausnahmen geben? Ist es vernünftig, dass die Bahn Landeshauptstädte und Zentren vom attraktiven Fernverkehr abhängt, allein um Gewinne zu maximieren?

Die Bahn spielt den Ball an die Politik zurück: Sie müsste, so sie es denn wollte, die Weichen umstellen. Denn der einzige Eigentümer der Bahn AG heißt Bundesrepublik Deutschland. Am großen Hebel sitzt also der Bund. Paul: "Wenn der Eigentümer sagt: Vertaktet alle Landeshauptstädte, dann sagen wir, was das kostet - und dann machen wir das."

Doch die Bundesregierung schickt andere Signale. Das Bundesverkehrsministerium von Peter Ramsauer (CSU) schreibt der Volksstimme: Es komme nicht darauf an, "möglichst viele Zugkilometer zu fahren, sondern möglichst viele Fahrgäste zu befördern". Weiter heißt es: "Auch würde die staatliche Festlegung eines bestimmten Verkehrsangebots die Verhältnisse umkehren, die mit der Bahnreform geschaffen werden sollten: Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit des Schienenpersonenfernverkehrs."

Der Ost-Beauftragte Christoph Bergner (CDU) hält die Forderungen aus Magdeburg und anderen Ost-Städten zwar für berechtigt, deren Umsetzung aber für konfliktreich. "Möglicherweise müssten wir dann auch für den Fernverkehr Subventionsbedarf anmelden, insofern ist es eine schwierige Forderung." Der Osten steht unter wachsendem Finanzdruck. Auf vielen Feldern.

Die Opposition hingegen strebt Veränderungen an. "Es gibt enormen Handlungsbedarf", sagt der Bahnbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin Martin Burkert. "Der Fernverkehr gehört mit zur Daseinsvorsorge, und wenn die in Gefahr ist, dann muss sich der Gesetzgeber erneut damit befassen", meint er unmissverständlich. Der Bund müsse sich wieder stärker ins Bahngeschäft einmischen. "Es darf nicht sein, dass aus Kommerzgründen Zentren abgehängt werden. Der Eigentümer Bundesrepublik muss seinen Auftrag an die Bahn neu formulieren."

Natürlich schmälerte das den Gewinn, wenn Städte mit weniger großen Fahrgastpotenzialen ins Fernnetz eingebunden würden. "Wir müssen wieder mehr Geld in die Schiene stecken", meint Burkert jedoch.

Reformbedarf sieht auch der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag Anton Hofreiter (Grüne). "Dass Regionen vom Fernverkehr mehr und mehr abgehängt werden, ist ein deutschlandweites Problem. Ich sehe da einen erheblichen Änderungsbedarf." Das Argument der Bahn, sie sei im Fernverkehr Profitcenter und könne auf Interessen einzelner Städte keine Rücksicht nehmen, findet Hofreiter nur "grotesk". "Jedes Jahr wird die Deutsche Bahn mit etwa zehn Milliarden Euro öffentlichen Geldern unterstützt. Vier Milliarden gehen ins Schienennetz, weitere Milliarden fließen über die Länder in den Regionalverkehr." Gerade mal eine Milliarde kommt an Gewinn zurück in die Staaskasse. Marktunternehmen Bahn? "Ein Unternehmen, das so viel Steuergeld erhält, kann und muss sehr wohl in die Pflicht genommen werden, wichtige Zentren mit einem attraktiven Fernverkehr zu versorgen."

"Die Bahn profitiert von Steuergeldern - sie muss mehr in die Pflicht genommen werden."

Das umzusetzen sei Sache der Bundesregierung, die daran aber offenbar kein Interesse hat, wie Hofreiter bemerkt. "Stattdessen zählt die Bahn in jedem einzelnen Zug die Fahrgäste und schmeißt bei Unterschreitung einer bestimmten Zahl den Zug aus dem Fahrplan. Der Blick fürs Ganze geht bei dieser reinen Fahrgast-Philosophie verloren."

Hofreiter schlägt stattdessen ein Konzessionsmodell vor: Dabei gibt der Staat einem oder mehreren Bahnunternehmen die Erlaubnis, Fernverkehr zu fahren. Aber nur, wenn die Bahnunternehmen sich verpflichten, festgelegte Leistungen zu erfüllen. "Dazu gehört auch, dass der Staat klar definiert, welche Städte abhängig von ihrer Größe und ihrem Status einzubinden sind."

Der Fahrgastverband Pro Bahn fordert einen Deutschland-Takt, in dem alle Oberzentren in Ost wie West eingebunden werden. "Der Fernverkehr hat Komfortmerkmale, die der Nahverkehr nicht erreicht", sagt dessen Ehrenvorsitzender Karl-Peter Naumann. Für die meisten Städte sei das auch eine wichtige Marketingfrage, auch wenn nicht alle immer in der Lage sind, profitbringend Züge zu füllen. "Doch alle Strukturpolitik kostet nun mal Geld", sagt Naumann. Magdeburg gehöre neben Saarbrücken zu den beiden Problem-Landeshaupstädten im deutschen Fernverkehr.

Die Bundesregierung lässt zwar Vorschläge zum Deutschland-Takt überprüfen - staatlich bestellte Fernverkehrzüge seien da aber nicht vorgesehen, betont das Ramsauer-Ministerium. Fazit: Der Fernvekehr bleibt vor allem auf Gewinn orientiert. Städte, die nicht an den Rennstrecken liegen, haben Pech gehabt und müssen mit Regionalzügen vorliebnehmen. Der Bahn kommt diese Linie sehr entgegen. Werden doch Regionalzüge von den Ländern bestellt und bezahlt - mit fest ausgehandelten Margen, egal, ob die Waggons voll sind oder nicht. Bei Fernzügen ist das anders, da verdient die Bahn nur dann Geld, wenn sie auch viele Fahrkarten verkauft. Für die Bahn bestünde also gar keine Veranlassung, auf eigenes Risiko Fernzüge einzusetzen, wo es subventionierte Regionalzüge auch tun. Jüngstes Beispiel: Der Kaiser-Otto-Express, ein von der Bahn finanzierter Direktzug von Magdeburg nach Berlin, machte dem Vernehmen nach eine Million Euro Miese und wurde daher auch nach zweijähriger Probezeit wieder abgeschafft.

"Schnelle Gleise für Magdeburg? Das dauert bestimmt noch zwanzig Jahre."

Ramsauers Ministerium verweist zudem auf eine weitere Alternative: Busse. Auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und begrenzter Steuermittel habe man das Fernbusverbot aufgehoben.

Fernbuslinien sollen also die Lücken füllen, die die Bahn reißt. Bus-Verbände rechnen damit, künftig bis zu einem Drittel des Fernverkehrsmarkts abzugreifen. Angesichts voller Autobahnen ist es nicht das, was Verkehrspolitiker wie Burkert wollen. Vor allem würden zu viele Busse das ohnehin schon fragile IC-Netz weiter aufreißen, meint der SPD-Mann. "Wenn zum Beispiel nur 5 Prozent der Zugfahrer auf den geplanten Fernbus zwischen Nürnberg und Karlsruhe umsteigen, stellt die Bahn auf dieser Route ihren IC ein", weiß Burkert. Zudem: Ob eine Stadt im Wettbewerb um kapitalstarke Unternehmen mit Bussen und Regionalbahnen punkten kann, darf bezweifelt werden. Oberbürgermeister Trümper: "Der Fernbus ist für Urlauber eine Alternative, aber nicht für Geschäftsreisende."

Magdeburgs Makel ist zudem die nur mäßig ausgebauter Bahnstrecke Berlin-Magdeburg-Hannover. Die Gleise sind nur für Tempo 160 ausgelegt. Selbst der langsamere Intercity kann da nicht ausgefahren werden; ein Intercity-Express schon gar nicht. "Wenn wir überhaupt mal wieder regelmäßig ICE-Züge nach Magdeburg bekommen wollen, dann müsste die Strecke wenigstens auf Tempo 200 ausgebaut werden", glaubt Sachsen-Anhalts Verkehrsminister Thomas Webel (CDU). Doch das ist eine Milliarden-Investition.

Die Bahn sieht das auch so. "Man müsste alle Bahnübergänge ändern, einen Teil der Kurven verändern; da geht es richtig ans Eingemachte", sagt Jobst Paul. Realisierungschance? Paul schätzt: "Das dauert bestimmt noch 20 Jahre."