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Jubiläum Neuer Forschungscampus für kluge Köpfe

Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Ein Interview mit Rektor Jens Strackeljan:

Von Alexander Walter 09.10.2018, 06:39

Volksstimme: Herr Strackeljan, Sie sind Maschinenbauingenieur. Läuft der Motor Uni Magdeburg 25 Jahre nach seiner Montage rund?

Jens Strackeljan: Ja, er läuft rund. Aber – um im Bild zu bleiben: In der Autobranche hat man vor 25 Jahren auf den Verbrennungsmotor gesetzt. Seitdem hat sich viel verändert, auch wir stehen vor Herausforderungen.

Mit dem Verbrennungsmotor haben die Autobauer große Erfolge gefeiert. Worauf kann die Uni in ihrem Jubiläumsjahr stolz sein?

Vor allem haben wir Forschungsprofile mit internationaler Strahlkraft entwickelt, etwa im Bereich Neurowissenschaften, der Immunologie oder der Medizintechnik. Bei einer vergleichsweise kleinen Universität wie der unseren mit einer beschränkten Ausstattung war das nicht unbedingt absehbar. Zum anderen sind da unsere Studierenden. Hier gibt es einen erfreulichen Trend zur Internationalisierung. Wir sind im Oktober 1993 mit 2,6 Prozent internationalen Studierenden gestartet. Im vergangenen Herbst kamen schon fast 20 Prozent der Studentinnen und Studenten aus dem Ausland. Damit lagen wir deutlich über dem Landesdurchschnitt von 13,5 Prozent.

Warum ist die Internationalisierung so bedeutsam?

Wir sind im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe. Es kann dem Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Sachsen-Anhalt nur guttun, wenn diese nach Magdeburg kommen wollen, um hier zu lernen, zu forschen und zu leben. Der Wettbewerb um Studierende, aber auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird zukünftig härter.

Was heißt das?

Seit zwei Jahren registrieren wir einen leichten Rückgang bei der Zahl unserer Studierenden. In diesem Herbst werden es etwa 13 400 sein. Das liegt vor allem an der demografischen Entwicklung und die Zahl der Studienanfänger wird bundesweit langfristig abnehmen. Gleichzeitig haben sich die Motive verändert, sich für einen Studienort zu entscheiden. Die Attraktivität der Studienstadt ist viel wichtiger geworden. Berlin und Leipzig etwa sind per se sehr gefragt. Der Nachbar Niedersachsen hat stark in seine Hochschulen investiert. An der etwa gleich großen Uni Braunschweig beispielsweise liegt die Finanzausstattung mindestens beim Faktor 1,5. Das soll nicht der Ruf nach mehr Geld sein. Aber unter diesen Randbedingungen und der geographischen Nähe müssen wir uns überlegen, wie wir uns aufstellen.

Wie?

Wir wissen schon länger, dass wir uns von der Budget-Entwicklung des Landes in Teilen lösen müssen, wenn wir wachsen wollen. Ein Beispiel ist die Uni Aachen. Sie hat in Kooperation mit Privatunternehmen zwei Forschungscampi in der Stadt entwickelt. Wir sind stolz, dass wir so etwas mit dem Forschungscampus „Stimulate“ für die Medizintechnik jetzt auch in Magdeburg schaffen. Das Land hat das Gebäude finanziert, das Umfeld gestaltet ein privater Investor. Das Gelände im Wissenschaftshafen wird für uns zugleich die Erweiterung des Uni-Campus nach Osten sein.

Was genau wird auf dem Campus „Stimulate“ passieren?

Da geht es vor allem um den Transfer von Forschungsleistungen für Anwendungen in der Wirtschaft. Ich bin 100-prozentig davon überzeugt, dass es uns gelingt, dort eine lebendige Startup-Szene zu etablieren. Bei einem aktuellen Projekt wollen Forscher gemeinsam mit der benachbarten Firma Neoscan zum Beispiel einen Magnetresonanztomographen für Säuglinge entwickeln. Es gibt nicht viele Standorte auf der Welt, die derart komplexe Medizinprodukte bauen können. Solche Kooperationen aus Forschung und Wirtschaft wird es dort künftig vielfach geben.

Klingt gut, aber lockt man damit Studenten an?

Das führt in jedem Fall zu einer Attraktivitätssteigerung, etwa für internationale Masterabsolventen oder Doktoranden. Mit dem Forschungscampus zeigen wir: Hier könnt ihr schon im Studium mitarbeiten und den Sprung etwa zu Siemens schaffen. Wenn die Studierenden dann wegen des attraktiven Umfelds in Magdeburg bleiben wollen, umso besser.

Nun spricht eine Uni vor allem aber auch Erstsemester an. Womit kann die Uni Magdeburg denn hier punkten?

Da gäbe es eine Menge: Bei uns stimmen beispielsweise noch die Betreuungsrelationen in der Lehre. Darüber hinaus sind wir eine attraktive Campusuniversität im Herzen der Landeshauptstadt mit hochmodernen Laboren und Hörsälen. Wir bieten mit unseren MakerLabs eine hervorragende Infrastruktur für Gründungsinteressierte. Magdeburg ist zudem eine dynamische Stadt, die sich immer noch im Transformationsprozess befindet. Es gibt viel Raum für studentische Initiativen. Und nicht zuletzt ist da natürlich unser Studienangebot mit seinem technisch-naturwissenschaftlichen Profil und geschärften Angeboten in den Human- und Wirtschaftswissenschaften und der Medizin.

Da nennen Sie ein gutes Stichwort: Die Uni Magdeburg bietet als Reaktion auf den Lehrermangel zum Wintersemester erstmals wieder Mathe und Physik fürs Lehramt an allgemeinbildenden Schulen an. Wie werden die neuen Lehramtsangebote in Magdeburg angenommen?

Wie wir vorhersagten, sehr gut! Mit 197 neu immatrikulierten Studierenden hat die Uni auf Anhieb die mit dem Land vereinbarte Kapazität von 200 nahezu erreicht. Das sind fast 80 mehr lehramtsbezogene Immatrikulationen als im Vorjahr.

Seit der Hochschulreform 2004 war die Lehrerbildung an allgemeinbildenden Schulen eigentlich allein Sache der Uni Halle. Der Hallenser Rektor Christian Tietje sieht die Entwicklung mit Skepsis ...

Also, es ist schon bemerkenswert, wenn Kollege Tietje sagt, die Uni Halle sei mit ihrem Aufwuchs von 700 auf jetzt 800 Erstsemesterplätze im Lehramt an der Kapazitätsgrenze. Gleichzeitig dürfe in Magdeburg trotzdem nichts passieren.

Ist die Hochschulreform, bei der Magdeburg das Lehramt an Halle abgeben musste und Halle im Gegenzug die Ingenieurwissenschaften aus heutiger Sicht noch richtig?

Die Profilabgrenzung war richtig, aber das hat Grenzen. Wir sehen heute, dass Studienanfänger aus dem Land Angebote in Sachsen-Anhalt nicht wahrnehmen. Zur Anschauung: Von gut 2000 Erstsemestern im Bachelor bei uns kamen 10 aus Halle. Wer aus dem Süden kommt und ingenieurwissenschaftliche Studienprogramme wie Maschinenbau studieren will, der geht eben eher nach Dresden oder Ilmenau. Wer andersherum aus dem Norden kommt und Lehrer werden will, studiert eher in Braunschweig oder Berlin als in Halle. Wer einmal weggeht, ist fürs Land dann in aller Regel verloren.

Was wäre die Lösung?

Unsere Hochschulen im Land sollten noch enger kooperieren. Eine Kommission zur Ermittlung des Lehrerbedarfs im Land hat etwa angemerkt, dass bei unserer Berufsschullehrerausbildung in Magdeburg das wichtige Fach Anglistik fehlt. Nun können und wollen wir hier keine Anglistik aufziehen. Aber wir könnten einen um die Anglistik erweiterten Abschluss gemeinsam mit Halle anbieten.

Magdeburg hat Tradition als Standort der Lehrerausbildung. Das Land braucht dringend mehr Lehrer. Könnten nach Mathe und Physik weitere Fächer fürs Lehramt an allgemeinbildenden Schulen zurück an die Elbe kommen?

Wir haben dem Land angeboten, Informatik in Kombination mit Mathe auszubilden. Angesichts der Digitalisierung nicht nur des Unterrichts hielte ich das für absolut wichtig für die Entwicklung Sachsen-Anhalts. Das Wissenschaftsministerium hat diesen Vorschlag aber nicht aufgenommen, weil es den Absprachen der Hochschulreform widerspricht. So ist der Ausbau bei der Lehrerausbildung bei uns nur temporär und wird sich an der Bedarfsentwicklung der kommenden Jahre orientieren. In der Physik haben wir die zu besetzende Professur für 5 Jahre befristet.

Die Landesrektorenkonferenz hat Sie gerade zum Vorsitzenden gewählt. Wo wollen Sie Akzente setzen?

Ein zentraler Punkt wird die Fortsetzung des Hochschulpakts sein. Das sind finanzielle Mittel, die die Hochschulen in den vergangenen Jahren von Bund und Ländern erhalten haben, um zusätzliche Studierende aus anderen Bundesländern aufzunehmen. Der Bund hat eine Verlängerung auch nach 2020 zugesagt. Allerdings müssen sich die Länder beteiligen. Hier werden wir in die Landespolitik hineinwirken, damit das auch geschieht. Bei einem Etat von knapp 100 Millionen Euro haben die Mittel bei uns zuletzt gut 12 Millionen Euro ausgemacht. Ohne sie geht es nicht.

Auf dem Tisch der Rektorenkonferenz liegt auch die gemeinsame Werbung für den Hochschulstandort Sachsen-Anhalt. Seit 2017 gibt es eine neue Kampagne, die die Persönlichkeitsentwicklung in den Fokus stellt. Hat sie sich bewährt?

Vor der Kampagne hat weit mehr als die Hälfte der von uns befragten jungen Leute gesagt, sie könnten mit einem Studium in Sachsen-Anhalt nichts anfangen. Heute sagen das zehn Prozent weniger. Das ist eine gute Basis. Wichtig ist jetzt aber, dass das Land und Hochschulen die Unterstützung der Kampagne auch über das Jahr 2018 hinaus fortsetzen.

Wenn wir in 25 Jahren wieder hier sitzen. Wie wird die Uni Magdeburg aussehen?

Es gibt uns noch! Und wir werden etwa dieselbe Zahl an Studierenden haben. Allerdings mit einer völlig anderen Vernetzung als heute. Künftig werden Studierende aus aller Welt Angebote der Uni nutzen. Equipment und Daten werden in Echtzeit geteilt. Eine Brücke wird den Campus mit dem Wissenschaftshafen verbinden und so auch sichtbar universitäre Forschung mit regionaler Wirtschaft verbinden.

Was werden Magdeburg und Sachsen-Anhalt davon haben?

Wir werden mit unserer Forschung aus den Grundlagen heraus noch stärker im Alltag sichtbar hineinwirken. Wie das aussieht, kann man schon jetzt am Beispiel eines autonomen E-Bikes sehen, das unsere Forscher entwickelt haben. In wenigen Jahren könnte eine ganze Flotte solcher E-Bikes in Magdeburg umherfahren. Per Handy-App werden Kunden ein Rad bestellen können, das dann aus dem Depot selbstfahrend zu ihnen kommt. Mit solchen Lösungen werden wir helfen, gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen – etwa veränderte Bedürfnisse an Mobilität. Gleiches gilt für die spannenden Entwicklungen in Medizin und Medizintechnik. Gleichzeitig wird der Standort damit attraktiver und es entstehen Arbeitsplätze im Land. Wir spielen im Fußball mindestens zweite Bundesliga und die Uni wird dafür sorgen, dass das Land trotz demografischen Wandels nicht unter die Zwei-Millionen-Einwohner-Marke fällt.