Jüdische Gemeinde: Polizei hätte von Feier wissen können
Nach dem rechtsterroristischen Anschlag von Halle gibt es weitere Fragen. Die Polizei wusste nach eigenen Angaben nichts von der Feier am höchsten jüdischen Feiertag. Die Jüdische Gemeinde Halle will das nicht so stehen lassen.
Halle (dpa/sa) - Nach Angaben der Jüdischen Gemeinde Halle hätte die Polizei von der großen Feier am Tag des Anschlags wissen können. "In jedem Jahr versendet der Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt den aktuellen jüdischen Jahreskalender", sagte der Gemeindevorsitzende Max Privorozki der Deutschen Presse-Agentur. Diesen hätten auch das Innenministerium und die Stadt Halle bekommen. Zuvor hatte die Leiterin des Polizeireviers Halle, Annett Wernicke, in einem Untersuchungsausschuss im Magdeburger Landtag gesagt, der Polizei sei nicht bekannt gewesen, dass am 9. Oktober der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur gefeiert werde.
"Neben allen jüdischen Feiertagen enthält dieser Kalender Erklärungen zu den wichtigsten jüdischen Festen und Hohen Feiertagen sowie Darstellungen des Gemeindelebens", betonte Privorozki. Deswegen habe es vor der Feier keinen gesonderten Hinweis an die Sicherheitsbehörden gegeben. Laut Wernicke hatte die Polizei keine Anzeichen für Gefahren. "Und es lag keine Anforderung durch die jüdische Gemeinde vor", so die Polizistin.
Auch der Chef der Polizeiinspektion Halle, Mario Schwan, sagte dem Ausschuss, dass es "keinen einzigen Hinweis auf eine Gefahr am Jom-Kippur-Feiertag" gegeben habe. Die Inspektion ist für den Süden Sachsen-Anhalts zuständig und erstellt auch Sicherheitskonzepte für religiöse Einrichtungen. Der Einsatzleiter am Tattag, Christian Baust, gab an, nicht gewusst zu haben, dass Jom Kippur ist.
Der Antisemitismusbeauftragte der FDP-Bundestagsfraktion, Benjamin Strasser, fordert angesichts der Ereignisse, dass hohe Feiertage zwingend bei der Gefahrenbewertung für religiöse Gemeinden berücksichtigt werden müssten. "Wenn die Polizei in Halle nichts vom Jom Kippur Fest gewusst haben will, muss man sich schon fragen, ob vor dem Anschlag die Sicherheit von jüdischen Gemeinden in allen Bundesländern die notwendige Priorität hatte", so der Freidemokrat.
Im Untersuchungsausschuss drehte sich ein Großteil der Fragen auch darum, wie die Polizei Kontakt zur jüdischen Gemeinde hielt und wie die Synagoge gesichert wurde. Über Jahre hinweg habe es immer wieder Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen gegeben, so Wernicke. Zudem schickte die jüdische Gemeinde mehrfach Veranstaltungskalender und markierte anfangs auch besonders wichtige Termine, allerdings nicht mehr im Jahr 2019.
Privorozki hält den Sicherheitsbehörden zugute, dass unmittelbar nach dem Anschlag "wesentliche Schutzmaßnahmen" eingeleitet worden seien. Derzeit führten alle Jüdischen Gemei nden und der Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt intensive Verhandlungen, über ein tragfähiges Sicherheitskonzept. Mit dem Landesinnenministerium werde auch darüber gesprochen, wie dieses zügig umgesetzt werden könne. "Ziel muss es sein, dass alle Gläubigen wieder mit Freude und einem guten Gefühl am Gemeindeleben teilnehmen können."
Am 9. Oktober vorigen Jahres hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, in die gut besuchte Synagoge in Halle während des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur einzudringen. Als das misslang, erschoss er in der Nähe zwei Menschen und verletzte auf seiner Flucht weitere Menschen schwer, ehe er festgenommen wurde. Der 28 Jahre alte Deutsche sitzt seit der Tat in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm zweifachen Mord und 68-fachen Mordversuch "aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus" vor.