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Nach Naumburg schließt nun auch die Magdeburger Anstalt / 166 Gefangene und 80 Mitarbeiter müssen umziehen Justiz: Im Knast herrscht Endzeitstimmung

Von Matthias Fricke 27.03.2013, 02:17

Der Magdeburger Knast schließt für immer. Die letzten Gefangenen und Mitarbeiter sollen im Juni ihre Sachen packen und auf die Justizvollzugsanstalten in Burg (Jerichower Land), Volkstedt (Mansfeld-Südharz) und Halle aufgeteilt werden. Der Schritt ist ein Teil der Justiz-Strukturreform. Eine Sanierung war dem Land zu teuer.

Magdeburg l Jürgen Sauerbier ist einer von 80 Mitarbeitern der Justizvollzugsaußenstelle Magdeburg und Bewacher von 166 Gefangenen sowie 40 Untersuchungshäftlingen. Noch, denn im Juni wird der seit 1903 als Gefängnis betriebene Komplex für immer geschlossen. "Wir gehen dem mit gemischten Gefühlen entgegen, weil unklar ist, was kommt. Und wo wir eingesetzt werden", formuliert er vorsichtig. Sein Chef steht gerade daneben. Einige Kollegen von Sauerbier hätten nicht einmal einen Führerschein und bildeten bisher Fahrgemeinschaften. Doch diese würden nun auseinandergerissen.

Sauerbier, der aus dem Salzlandkreis kommt, sagt: "Für mich wäre als neuer Arbeitsort zum Beispiel Volkstedt noch erträglich. Nach Burg müsste ich aber künftig täglich über hundert Kilometer fahren." Abgesehen von der Belastung drücken bei solchen Entfernungen auch die Kosten. Im Schnitt verdient ein Vollzugsbeamter der Justiz rund 2700 Euro brutto im Monat.

"Schade, es war hier einfach familiär. In den Großgefängnissen wird das nicht so sein."
Heike Fähsing, Justizbeamtin

Ähnlich sieht es auch Vollzugsbeamtin Heike Fähsing. Sie ist Magdeburgerin und würde sich Burg (Jerichower Land) als neuen Arbeitsort wünschen. Aber auch ihr Einsatzort steht noch nicht fest.

Thomas Wurzel, Leiter der Justizvollzugsanstalt Burg und der Außenstelle Magdeburg, beschwichtigt seine Mitarbeiter: "Wir können die Masse der Wünsche für die neuen Arbeitsstellen erfüllen und nehmen die Sorgen sehr ernst." Es werden viele Magdeburger nach Burg gehen können, weil es wiederum von dort auch Versetzungswüsche in andere Gefängnisse gibt. Ein großer Personalwechsel würde bevorstehen.

Zum mulmigen Gefühl vor der ungewissen Zukunft mischt sich auch ein wenig Trauer um die bisher starke Verbundenheit mit den alten Gemäuern der JVA. Heike Fähsing meint: "Schade, es war hier einfach familiär. In den Großgefängnissen wird das nicht so sein."

Das meint auch Jürgen Müller. Er ist einer, der am längsten im Magdeburger Knast als Justizbeamter arbeitet. Der 50-Jährige hat bereits 1985 als Auszubildender in der JVA Magdeburg seine Laufbahn begonnen. Er erlebte während der Wende, dass Gefangene auf das Dach des Gefängnisses kletterten und mit Plakaten ihre Freiheit mit "Amnestie für alle" forderten. Sie bezogen sich auf die damalige Freilassungswelle politischer Gefangener. Da sie aber ganz gewöhnliche Kriminelle waren, die zu DDR-Zeiten hinter Gitter kamen, mussten sie am Ende bleiben. "Das war die spannendste Zeit damals", sagt er.

Aber auch eine Geiselnahme hat Müller vor einigen Jahren miterleben müssen. Zwei Gefangene gaben vor, einen dritten als Geisel genommen zu haben, sie wollten damit ihre Freilassung erpressen. Die Männer schlossen sich zu dritt in ihrem Raum ein. Kontakte nach draußen, auch zur Polizei, waren somit unmöglich. "Deshalb musste die Zelle am Ende von einem Einsatzkommando der Polizei gestürmt werden", erzählt er. Die Gefangenen hatten sich aber inzwischen schon schlafen gelegt. Sie dachten nicht daran, dass ihre Drohung ernst genommen wird und gingen davon aus, dass sich der Fall schon längst erledigt hätte.

Es sind Erinnerungen, wie diese, die die Magdeburger Vollzugsbeamten nun an ihre neue Arbeitsstelle mitnehmen müssen.

Komplizierter als die Aufteilung der Mitarbeiter ist aber die Suche nach einer neuen "Heimat" für die Gefangenen.

So sollen die Untersuchungshäftlinge aus dem Norden des Landes künftig in Burg-Madel untergebracht werden. Dafür wird extra ein ganzer Trakt mit 45 Plätzen leergezogen. Wurzel: "Sie ziehen dort ein, wo bis dahin die Sicherungsverwahrten untergebracht waren."

Für sie ist in den vergangenen Wochen und Monaten ein ganz neuer Trakt in dem großen Gefängnis mit rund 800 Insassen entstanden. Allein die Untersuchungshäftlinge werden von 25 Bediensteten aus Magdeburg begleitet, die in Burg-Madel dann zusätzlich arbeiten.

JVA-Chef Thomas Wurzel: "Die größte logistische Herausforderung dürfte der Umzug des Transportdrehkreuzes von Magdeburg nach Halle sein." Neben Hannover gibt es solche Stellen auch in Brandenburg und Gera. Die Gefangenen müssen oft quer durch die Bundesrepublik chauffiert werden. Das geschieht nicht mit einzelnen Fahrzeugen, sondern nach einem festen Fahrplan in großen Bussen. "Das ist ein wenig wie bei der Bahn", erklärt Ute Albersmann vom Justizministerium.

"Dann kann jeder Besucher einmal durch den Zellentrakt geführt werden."
JVA-Chef Thomas Wurzel

Im Jahr sind auf diese Weise bis zu 5000 Gefangene in der Bundesrepublik in den speziellen Transportbussen unterwegs. Die "Drehkreuze", wie bisher in Magdeburg und dann später Halle, fungieren dabei als eine Art Durchgangsbahnhof. Zum Beispiel fahren dienstags nur Busse nach Hannover und donnerstags nach Brandenburg. Je nachdem, in welche Richtung ein Gefangener am Ende muss, verbleibt er in der Zwischenzeit an einer der Stationen. "Die Gefangenen haben dann nur ihre Habseligkeiten in einer Stoff-Rolle dabei", erklärt Thomas Wurzel.

Zeitgleich, während in dem Gitter-Altbau hinter dem Magdeburger Landgericht die Koffer gepackt werden, entsteht in den kommenden Wochen direkt daneben ein neuer offener Vollzug mit 50 Plätzen. Das ehemalige Grundbuchamt wird ab April ausgebaut und saniert und soll bis Ende nächsten Jahres an dieser Stelle für die neue Aufgabe fit gemacht werden. "Die bisher in den Containern hinter dem Landgericht befindlichen Plätze werden leergezogen", sagt Wurzel.

Wenn bis zum 30. Juni die letzten Gefangenen die "Festung" verlassen haben, dann plant JVA-Chef Wurzel für die Magdeburger noch einmal eine Abschiedsfeier.

Am 12. Juli werden die Zellentüren geöffnet. Ähnlich wie das berühmteste Gefängnis der Welt "Alcatraz" in San Francisco, soll die Haftanstalt zur Touristenattraktion werden - aber nur für einen Tag. "Dann kann jeder Besucher einmal durch den Zellentrakt laufen. Danach müssen wir alle Möbel ausräumen, verkaufen oder für einen guten Zweck verschenken und am Ende selbst die Schlösser ausbauen", sagt Wurzel. Es sollen Hunderte sein.

Wie die Gemäuer auf den rund 25000 Quadratmetern Fläche später einmal genutzt werden, sei noch völlig offen.