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Für die Fahnenträgerin des SC Magdeburg beginnt heute wieder die schönste Zeit des Jahres Katja Hermann - ein Leben in Grün-Rot

Handball-Bundesligist SC Magdeburg startet heute mit Pauken und Trompeten in die neue Saison. Und mit Fahnenträgerin Katja Hermann. Die Biederitzerin ist der wohl auffälligste und bekannteste Handballfan des Landes. Ihre fanatische Liebe zum SCM geht weit. Sehr weit. Und sie treibt viele, zum Teil bizarre grün-rote Blüten - vom Glitzer-Kostüm mit tiefem Ausschnitt, über den Gartenzaun bis hin zu zwei sprechenden Papageien, die sich als Fans des SCM outen.

Von Janette Beck 03.09.2011, 04:30

Magdeburg/Biederitz | "Hier regiert der SCM!" Das sieht man nicht nur, wenn man das Reich von Katja Hermann in Biederitz betritt. Es ist, kaum zu glauben, auch laut und vernehmlich zu hören. Wie auf Bestellung schmettern die Papageien den beigebrachten Schlachtruf, der sonst eigentlich nur in der Bördelandhalle (jetzt GETEC-Arena) zu hören ist. Die junge Frau strahlt. Und sie freut sich, dass ihre gelehrigen Mitbewohner namens "Lilo" und "Koko" so folgsam sind und sich gleich bei der Begrüßung als echte SCM-Fans zu erkennen geben. "Das war das Erste, was ich den beiden beigebracht habe. Es hat gar nicht lange gedauert, dann hatten sie es perfekt drauf."
Doch wer sich im Hause Hermann umschaut, den wundert es nicht, dass dem Graupapagei und der Blaustirnamazone dieser erstaunliche Satz wie selbstverständlich vom Schnabel geht. Die Liebe und Leidenschaft für "Grün-Rot" ist allgegenwärtig. Und sie macht selbst vor dem Zimmer nicht Halt, in dem die riesigen Volieren stehen - umrahmt von etlichen Trikots, Wimpeln, Utensilien, Fahnen, Fotos und verschiedensten Fanartikeln. Jedes einzelne Stück hat seine eigene Geschichte und ist Ausdruck dafür, dass die Frau mit der blonden Löwenmähne von Kopf bis Fuß auf den SCM eingestellt ist.
Für Außenstehende, das weiß "Tweety", ist ihre außergewöhnliche Liebe und Leidenschaft für den heimischen Handballclub nur schwer nachvollziehbar. "Wer lässt sich schon wie ich sein Leben vom Spielplan diktieren und streicht seinen Gartenzaun grün-rot.
Oder wer reist mit der Fan-Fahne im Gepäck bis nach Balingen mit dem Zug und stellt bei seinem Chef den Antrag, den Urlaub splitten zu dürfen. Aber das muss ich, wenn wir in dieser Saison im Europacup spielen", so die 35-Jährige, die in der Vorsaison kein einziges Spiel ihres SCM verpasst hat. "Manche mögen mich für verrückt erklären, aber das ist mir egal. Ich bin, was ich bin: Ein Handballfan, aber eben kein normaler, sondern ein fanatischer."
Zugegeben, normal scheint es wirklich nicht, dass jemand summa summarum 7500 Euro pro Saison für sein Hobby ausgibt. Oder dass jemand während eines Spiels mit einem Schrei, der markant, laut und unverwechselbar ist, ein Tor seiner Lieblinge feiert. Und schon gar nicht 87 verschiedene maßgeschneiderte Outfits in Grün-Rot daheim im Schrank hängen hat, mit denen die SCM-Anhängerin fahnenschwenkend die Blicke auf sich zieht.
Aber was ist schon "normal", wenn man wie Katja Hermann im Oktober 1994 einen schweren Verkehrsunfall nur mit viel Glück überlebt hat? Sechs Wochen lag sie im Koma, und nach dem Aufwachen war nichts mehr wie vorher. Sprache und Motorik mussten völlig neu erlernt werden. Drei lange Jahre dauerte die Reha. Und noch heute kämpft die junge Frau mit den Folgen des schweren Schädel-Hirn-Traumas. "Ich habe ein hühnereigroßes verkapseltes Blutgerinnsel im Gehirn. Aber ich habe gelernt, damit zu leben, und damit, dass ich behindert bin."
Geholfen dabei hat ihr vor allem Mutter Sibille. Damals selbst treuer Fan des SCM und im Besitz einer Dauerkarte, nahm sie ihre Tochter mit zu einem Spiel in die Gieselerhalle: "Ich habe mich damals ja kaum noch unter die Leute getraut, sollte einfach mal raus. Ich war sofort hin und weg von der unglaublichen Atmosphäre, dem intensiven Spiel." Das Gefühl, eine von vielen zu sein und dazuzugehören, ließ Katja Hermann nicht mehr los. "Ich habe mein Herz an den SCM verloren und neuen Lebensmut gefunden - wenn das kein Deal ist?"
Und ein Bund fürs Leben, da ist sich die Biederitzerin sicher und gibt zu, sich ein Leben ohne den SCM nicht mehr vorstellen zu können. "Deswegen werde ich wohl auch auf weite Sicht Single bleiben, für einen Mann habe ich gar keine Zeit. Das aufwändige Theater macht doch keiner auf die Dauer mit", glaubt der "Edelfan" des SCM, der in der Liga inzwischen bekannt ist wie ein bunter Hund und bei Auswärtsspielen fast überall mit ihrer riesigen Fahne aufs Parkett darf.
"Nur in Berlin bei den Füchsen nicht. Aber der Bob (Hanning/d. Red) hat halt Angst, dass ich ihm die Show stehle." Aber egal. Woanders wird Katja Hermann mittlerweile wie ein Star behandelt: "Inzwischen kommt es sogar vor, dass ich interviewt oder um ein Autogramm oder Foto gebeten werde. Wenn ich dann höre, dass ich für viele ,das Gesicht des SCM\' bin, dann macht mich das besonders stolz."
Allerdings wird Katja Hermann oftmals das Gefühl nicht los, dass die gegnerischen Vereine "die kostenlose Werbung für den Handball" mehr zu schätzen wissen als die Spieler des eigenen Vereins: "Von einigen werde ich sicher belächelt. Die Jungs machen sich kaum Gedanken darüber, dass viele Fans wirklich ihr letztes Hemd für den Verein geben - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei sollte das Ganze doch ein Geben und Nehmen sein."
Um so mehr hüpft das kleine Fan-Herz, wenn sie dann doch mal etwas Besonderes zurückbekommt. So wie am letzten Spieltag im Juni, als Neuzugang Kjell Landsberg vor ihr stand und drei Trikots hinhielt: "Welches möchtest du denn?, hat er mich gefragt. Und ich hätte heulen können vor Freude, weil er tatsächlich daran gedacht hatte, dass er mir bei unserer allerersten Begegnung ein Trikot versprochen hatte. Wie viel mir so eine Geste bedeutet, kann sich keiner vorstellen."