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Kitas Streit um „Sexualisierung“ von Kindern

Die Landesregierung will, dass Erzieherinnen „wertschätzend“ über gleichgeschlechtliche Partnerschaften sprechen. Es gibt Widerstand.

Von Hagen Eichler 07.09.2016, 01:01

Magdeburg l Matti hat einen blonden Wunschelkopf und geht nie ohne seinen Plüsch-Affen Alfred aus dem Haus. Im Kindergarten ist er gern – nur manche Fragen dort versteht er nicht. Etwa wenn die kleine Fina von ihm wissen will, wo eigentlich sein Papa ist. Matti lebt nämlich bei zwei Müttern und findet das ganz normal.

„Wie heiraten eigentlich Trockennasenaffen“ heißt das Kinderbuch, in dem Mattis Geschichte erzählt wird. Das Buch ist besonders gut geeignet, um Kinder über die Vielfalt von Familien aufzuklären – findet Sachsen-Anhalts Gleichstellungsministerium. Das Haus von Anne-Marie Keding (CDU) hat in einer Broschüre 29 Kinderbücher aufgelistet. Unter den Autoren findet sich die Kinderbuch-Koryphäe Cornelia Funke ebenso wie der Travestie-Star Olivia Jones. Es geht um Prinzessinnen, die lieber mutige Ritter sein wollen, und um Prinzen, die sich in einen Prinzen verlieben.

Dafür schlägt der Gleichstellungsministerin nun wütender Protest entgegen. AfD-Landeschef André Poggenburg sieht das Kindeswohl gefährdet, er spricht von einem „Missbrauch unserer Kinder für linkspolitische Experimente“. Auf ihrer Facebookseite stellt die AfD die Broschüre gar als Anstiftung zu Pädophilie dar. Unter der Überschrift „Die neue Bildungslektüre für Kinder“ formuliert die Partei frei erfundene Übungsaufgaben, etwa diese: „Schreibe deine 7 erotischen Szenarien mit einem Erwachsenen auf“.

Doch auch aus der CDU kommt Kritik. „Es ist eine Schande, dass sich das CDU-geführte Justizministerium dazu hergibt, kleine Kinder, die von ihren Eltern Kindertagesstätten anvertraut werden, gezielt mit sexuellen Themen und der unwissenschaftlichen Gender-Ideologie zu indoktrinieren“, schimpft Hedwig von Beverfoerde. Die Freifrau aus dem Jerichower Land verteidigt ein äußerst konservatives Familienbild. 2001 hatte sie vergeblich gegen die längere Anwesenheitspflicht in Sachsen-Anhalts Grundschulen gekämpft.

Als Koordinatorin der „Demo für Alle“ mobilisiert sie seit zwei Jahren den Protest gegen den neuen Bildungsplan für Baden-Württembergs Schulen – auch dort prangert sie „Sexualisierung“ und „Geschlechtsverwirrung“ an.

Das Gleichstellungsministerium hat von der Broschüre 2000 Exemplare an kommunale Kitas und an Grundschulen verschickt, eine Neuauflage wird derzeit vorbereitet. „Die Lesetipps sollen zeigen, dass die Welt doch bunter ist, als sie mancher wahrhaben will“, sagt Ministeriumssprecher Detlef Thiel. Im kommenden Jahr will Ministerin Keding noch einen sogenannten Kita-Koffer vorstellen, der Bücher und Lehrmaterial zum Thema enthält. All das ist Teil eines Aktionsplans, zu dem sich die Kenia-Koalition bekannt hat. Das Ziel: mehr Akzeptanz für Lesben und Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle.

Im bislang gültigen Bildungsplan für Kitas aus dem Jahr 2013 ist davon nicht die Rede. Das Papier fordert zwar die „differenzierte Betrachtung von Geschlechterrollen“, mehr aber nicht. Viele Erzieherinnen wissen noch nicht genau, was von ihnen erwartet wird. „Das muss erstmal in meinen Kopf“, gibt eine Kita-Leiterin aus dem Salzlandkreis zu. „Über Homosexualität würde ich nur reden, wenn unsere Kinder Fragen haben“, sagt Sybille Frank von der Kita Regenbogen in Burg.

Wenig Berührungsängste haben die Kirchen, die in Sachsen-Anhalt rund 200 Kitas betreiben. „Aus unserem christlichen Menschenbild stellen wir uns gegen jede Form von Diskriminierung“, betont Marita Magnucki von der katholischen Caritas. Deren Erzieherinnen werden zum Thema Sexualpädagogik regelmäßig von einem Potsdamer Wissenschaftler geschult. Auch die evangelische Diakonie sieht den Umgang mit Vielfalt und Vorurteilen als wichtige Aufgabe. „Das greifen wir auch im pädagogischen Alltag auf“, sagt Kita-Referentin Nancy Wellenreich. Sie bedauert, dass die Landes-Broschüre nur an kommunale Einrichtungen ging – und will nun nachfragen, ob die Diakonie sie auch bekommen kann.