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Körperverletzung  Polizeigewalt selten vor Gericht

Die meisten Anzeigen zu Körperverletzungen im Amt durch Polizisten bleiben in Sachsen-Anhalt ohne Folgen.

Von Matthias Fricke 27.08.2018, 01:01

Magdeburg l Wenn Polizisten im Dienst schlagen oder treten, bleibt dies meist ohne juristische Folgen. Nach einer Statistik des Justizministeriums kamen von den 335 Anzeigen wegen Polizeigewalt nur zwei Fälle in den Jahren 2013 bis 2017 auch vor Gericht. Eine Anklage in Halle endete im Jahr 2014 mit Freispruch. Im zweiten Fall im Jahr 2013 wurde eine Geldstrafe fällig.

In den vergangen fünf Jahren hatte der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel (Grüne)sich in Kleinen Anfragen diese Zahlen vom Justizministerium zusammentragen lassen. Das Ergebnis überrascht ihn nicht: „Die Zahlen zeigen das Problem. Natürlich ist vielleicht nicht jede Anzeige berechtigt. Aber es ist schon eine Anomalie, wenn man sich andere Körperverletzungen ansieht.“

Zu diesem Schluss kommt auch der Kriminologe und Jurist Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum. Der Wissenschaftler spricht von bundesweit nur drei Prozent aller angezeigten Körperverletzungen im Amt, die am Ende vor Gericht landen. Sonst seien es bei herkömmlichen Verfahren 20 bis 25 Prozent.

„Oft steht Aussage gegen Aussage. Außerdem sagen Polizisten selten gegen ihre eigene Kollegen aus. Man zieht sich dann auf Erinnerungslücken zurück“, sagt der Forscher. Auch die Staatsanwaltschaften und Gerichte würden häufig eher den Polizisten als den Anzeigenerstattern glauben. Singelnstein glaubt deshalb auch an eine hohe Dunkelziffer. Um diese zu erhellen, will er ab Herbst eine neue empirische Untersuchung starten. „Das Projekt untersucht, in welchen Situationen Opfer von rechtswidriger Polizeigewalt werden und welche Faktoren das Anzeigeverhalten der Betroffenen beeinflussen“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Laila Abul-Rahmann.

Grünenabgeordneter Striegel fordert schon lange eine völlig unabhängige Ermittlungssstelle, wie in Skandinavien und bei den Angelsachsen, mit eigener Kompetenz. Nach seiner Meinung hätten auch die Staatsanwaltschaften einen „gewissen Abhängigkeitsgrad“. Die müssten schließlich später wieder mit den Beamten zusammenarbeiten, gegen die sie ermitteln. Auch die Beschwerdestelle beim Innenministerium helfe da wenig, eben weil sie dort angedockt ist. „Wir brauchen in einer solchen Kommission eben auch Kriminologen und völlig unabhängige Ermittler“, fordert er.

Oberstaatsanwalt Klaus Tewes von der Generalsstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt hält dies für unnötig: „Die Staatsanwaltschaften ermitteln völlig unabhängig. Anders als in den angesprochenen Ländern müssen wir in Deutschland in alle Richtungen ermitteln, weil wir ein ganz anderes System haben. Wir haben ja auch schon Richter und Staatsanwälte hinter Gitter gebracht.“ Politisch höre sich „die Forderung ja nett an.“ Aber das Problem seien eher fehlende Beweise. Da nützt eine neue Ermittlungsstelle nichts. Tewes: „Die überwiegende Zahl der Anzeigen ist unbegründet.“ Oft würden sich auch viele mit polizeilichen Maßnahmen nicht einverstanden fühlen und aus Frust Anzeige erstatten.

Ähnlich sieht es auch der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Uwe Petermann: „Solche Vorwürfe werden sogar immer ausgewertet. Fehlverhalten dulden wir nicht. Mann muss sehen, dass wir das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen müssen. Da gibt es eine große Personenzahl, die damit nicht einverstanden sind und uns zu Unrecht anzeigen.“