Landtag Kommt die Freie-Wähler-Fraktion?
Nach dem Wechsel des CDU-Abgeordneten Jens Diederichs sind in Sachsen-Anhalts Landtag neue Bündnisse möglich.
Magdeburg l In Bayern sind die Freien Wähler (FW) bereits in Regierungsverantwortung mit der CSU. Bei der Landtagswahl 2018 holten sie das Rekordergebnis von 11,6 Prozent. Von solchen Werten waren Sachsen-Anhalts Freie Wähler bei der Landtagswahl 2016 zwar weit entfernt (2,2 Prozent).
Über Umwege dürften sie nun trotzdem erstmals zu einem Landtagssitz kommen. Grund: Der am Donnerstag angekündige Wechsel des parteilosen Abgeordneten Jens Diederichs zur Partei. Derzeit ist der 56-Jährige noch Mitglied der CDU-Fraktion. Bei den Freien Wählern hat er aber einen Eintrittsantrag gestellt.
Da Mitgliedschaft bei den Freien Wählern und CDU-Fraktionssitz unvereinbar sind, will Diederichs seinen Stuhl bei der Union räumen. „Die Freien Wähler haben mich im Oktober angesprochen“, sagte Diederichs gestern. Da er die wertekonservativen Positionen der Partei sowie deren Bürgernähe schätze, habe er zugesagt. Der Justizvollzugsbeamte ist politisch kein unbeschriebenes Blatt, hat zahlreiche Wechsel hinter sich: Als Berufsoffizier war er zu DDR-Zeiten SED-Mitglied, trat nach eigenen Angaben aber gleich nach der Wende aus.
Als Personalratsvorsitzender der Justizvollzugsanstalt Halle ging er 2011 zur SPD. Auch hier wurde er aber enttäuscht, wie er erklärt. „Nach der Wahl erhöhten sich die Herrschaften erstmal ihre Diäten und genehmigten Waffenexporte.“ Da habe ich gemerkt, das ist nicht meine Partei, sondern eine große Show.“
Nächste Station war 2014 die AfD. Die europa- und eurokritische Haltung des damaligen Vorsitzenden Bernd Lucke habe ihn angesprochen, sagt Diederichs. 2016 zog er mit 31,5 Prozent der Erststimmen als Direktkandidat des Wahlkreises Eisleben in den Landtag ein.
Aus Frust über den Rechtsruck der AfD sei er aber im selben Jahr aus Partei und Fraktion wieder ausgetreten, betont Diederichs. Es folgte die Hospitanz in der Unionsfraktion.
Die Freien Wähler haben mit Diederichs AfD-Vergangenheit kein Problem: „Er hat glaubhaft gemacht, dass er wegen des Rechtsrucks gegangen ist“, sagte Landeschef Dieter Kühne. „Das ist absolut nachvollziehbar.“ Was sind die Motive für beide Seiten? Die Freien Wähler wollen sich im Land stärker aufstellen. Bislang sitzt die Kleinpartei mit zuletzt rund 140 Mitgliedern nur in Magdeburg, Halle, Wittenberg und im Harz in kommunalen Gremien. Diederichs erste Aufgabe sei es, in seinem Heimatkreis Mansfeld-Südharz einen Kreisverband aufzubauen, erklärte Landeschef Kühne. Daneben gehe es um erhöhte Wahrnehmbarkeit der Freien Wähler über den Landtagssitz, ergänzte Vorstand Stefan Kretschmar.
Theoretisch wäre für die Freien Wähler mehr als nur ein Landtagssitz möglich. Mit Sarah Sauermann und Gottfried Backhaus sitzen gleich zwei weitere ehemalige AfD-Abgeordnete im Landtag, die ihrer Fraktion aus Frust den Rücken kehrten. Gingen sie mit Diederichs zusammen und könnten zwei weitere Unzufriedene gewinnen, wäre gar eine eigene Fraktion inklusive Zulagen für Vorsitz und Stellvertreter denkbar.
Freie Wähler und Diederichs schließen das indes aus: „Unser Fokus liegt auf dem Aufbau von Strukturen im Lokalen“, betonte Landeschef Kühne. Diederichs sagte, er habe keinerlei Gespräche zu einer gemeinsamen Gruppe geführt und habe das auch nicht vor. Backhaus, derzeit noch Mitglied bei den vor der Auflösung stehenden „Blauen“, erklärte, auch er plane keine Zusammenarbeit mit anderen Ex-AfD-Abgeordneten. Dafür fehlten nötige Übereinstimmungen.
In Mecklenburg-Vorpommern hatte sich aus einer Abspaltung Ex-AfD-Abgeordneter 2018 eine gemeinsame Landtagsfraktion mit Freien Wählern gebildet. Nach Streit mit deren Landesverband löste sie sich im September wieder auf. Die Kenia-Mehrheit wird durch Diederichs Wechsel geschwächt. Die Koalition aus CDU, SPD und Grünen kommt nun nur noch auf 46 Stimmen, Opposition und Fraktionslose gemeinsam auf 41. Die Freien Wähler setzen sich unter anderem für die Stärkung der Kommunen und mehr direkte Demokratie ein. In Sachsen-Anhalt sammelten sie zuletzt 30.000 Unterschriften zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge.