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Kommunalwahl Große Parteien werden Stimmen verlieren

Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte, Ortschaften: Mehr als 1000 Wahlen stehen am 26. Mai in Sachsen-Anhalt an.

Von Jens Schmidt 11.05.2019, 01:01

Magdeburg l Welche Schule bekommt Internet? Welche Kita wird saniert, welche Straße ausgebaut? Wo dürfen neue Eigenheime entstehen? Etwa 12.000 Frauen und Männer entscheiden in Gemeinderäten und Kreistagen mit über das Alltagsleben von zwei Millionen Sachsen-Anhaltern. Wer das sein wird, bestimmen die Wähler am 26. Mai.

Fast 1000 Wahlen stehen in zwei Wochen an. Neu bestimmt werden

  • alle elf Kreistage
  • die Stadträte der drei kreisfreien Städte Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau
  • 215 Stadt- und Gemeinderäte
  • 17 Verbandsgemeinderäte
  • sowie etwa 900 Ortschaftsräte oder Ortsvorsteher in Ortsteilen großer Einheitsgemeinden.

Landesweit gesehen ist die CDU mit gut 30 Prozent seit vielen Jahren die stärkste kommunale Kraft. Daran dürfte sich nichts ändern. Die Union selbst untermauert diesen Anspruch auch personell: Mit 3100 Bewerbern stellt sie die größte Kandidaten-Mannschaft unter den Parteien. Allerdings wird die CDU dieses Mal wohl Federn lassen müssen. Kreistagsergebnisse von 39 bis 42 Prozent wie in der Börde oder in der Altmark sind wohl kaum noch zu erreichen. Das hat vor allem einen Grund: die AfD.

Bei der Kommunalwahl 2014 als eurokritischer Neuling mit gerade mal zwei Prozent gestartet, erreichte die inzwischen zur rechtsnationalen Kraft gewandelte Partei zwei Jahre später bei der Landtagswahl schon 24 Prozent. Alle großen Parteien im Bundesland – CDU, Linke , SPD – haben Wähler ans rechte Lager verloren. Umfragen zeigen, dass die AfD sich trotz deutlich zurückgegangener Flüchtlingszahlen vor allem im Osten zweistellig etabliert hat. Nun sind Kommunalwahlen zwar vor allem Personenwahlen, und die AfD hat mit knapp 700 Bewerbern eine recht kleine Kandidaten-Truppe: „Doch um die 15 Prozent sind durchaus realistisch“, sagt Roger Stöcker, Politikwissenschaftler an der Uni Magdeburg.

Hinzu kommen lokale Unwuchten bei der CDU. So dürfte der Wahlbetrug in Stendal seine Spuren hinterlassen. 2014 war das Ergebnis der Stadtratswahl zugunsten der CDU gefälscht worden. Ex-Stadtrat Holger Gebhardt sitzt deswegen für zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Bis heute schwelt in der Partei vor Ort ein Streit darüber, ob die richtigen Konsequenzen gezogen wurden. Einige lokale CDU-Spitzen hatten einen personellen Neuanfang gefordert, waren damit aber gescheitert. Voran der Osterburger Bürgermeister Nico Schulz und sein Amtskollege Rüdiger Kloth aus Seehausen.

Aus Protest gründeten sie die Wählerinitiative „Pro Altmark“ – und treten nun bei der Wahl in Konkurrenz zur eigenen Partei an.

Seit langem unter Druck steht auch die SPD. Seit 25 Jahren geht es mit den Sozialdemokraten bei Kommunalwahlen abwärts. Von einst mal fast 30 Prozent (1994) auf zuletzt 18 Prozent (2014). Einzig Magdeburg war ein Lichtblick. Dort wurde die SPD mit 24 Prozent vor fünf Jahren stärkste Kraft. Das gelang ihr weder in Halle noch in Dessau und in keinem Landkreis mehr. Von den elf Landräten und den drei Großstadt-Oberbürgermeistern haben mit Lutz Trümper (Magdeburg), Markus Bauer (Salzlandkreis) und Steffen Burchhardt (Jerichower Land) nur noch drei das Parteibuch der SPD.

Vor fünf Jahren hatte sich die SPD mit der Grundschul-Reform viele Gegner auf dem Lande gemacht. Viele kleine Schulen mit weniger als 60 Kindern wurden geschlossen. Finanz- und Kultusminister, beide SPD, wollten in einer zweiten Stufe noch weiter gehen. Diese wurde nach dem schlechten Wahlergebnis abgeblasen. Dieses Mal gibt sich die SPD thematisch volksnäher. Beim Streit um die Straßenausbau-Beiträge hat sie sich auf die Seite der Abschaffer geschlagen und sich damit klar von der CDU-Spitze distanziert. Sie plakatiert jetzt landesweit mit: „Straßenausbaubeiträge kann man abwählen.“

Ob sich das auszahlt? „Das ist fraglich“, sagt Everhard Holtmann, Politologe der Uni Halle. „Aber es dürfte ihr wenigstens nicht schaden.“ Höhenflüge sind dennoch nicht zu erwarten. Nach der Pleite bei der Landtagswahl vor drei Jahren (10 Prozent) und der leichten Erholung bei der Bundestagswahl im vorigen Jahr (15 Prozent) müsste die SPD dieses Mal froh sein, das 2014er Ergebnis von 18 Prozent zu halten.

„Das wäre unser Wunschergebnis“, sagt denn auch SPD-Landeschef Burkhard Lischka. „Es wäre eine gute Ausgangsbasis für die Landtagswahl 2021.“ Mit solch einem Resultat bei der Landtasgwahl wäre wieder eine Zweier-Regierung möglich. Also Schwarz-Rot ohne die Grünen - wie schon von 2006 bis 2016? „Sachsen-Anhalt hat damit nicht die schlechtesten Erfahrungen gemacht“, meint der SPD-Chef.

Die Linke hat viele Protestwähler an die AfD verloren. Bei den Landtags- und Bundestagswahlen rutschte sie auf 16 bis 18 Prozent. Nun spielt die Protesthaltung bei Kommunalwahlen eine geringere Rolle: aber der Sprung über die 20-Prozent-Hürde dürfte nur schwerlich gelingen.

Die Grünen erreichen in bundesweiten Umfragen derzeit Traumwerte. Können sie hier in Kreisen und Gemeinden davon profitieren? Obwohl es bei Kommunalwahlen um lokale Personen und Themen geht? „Völlig unbeeinflusst von der politischen Großwetterlage sind auch Kommunalwahlen nicht“, sagt Polit-Wissenschaftler Holtmann. Daher dürfte der bundesweite Aufwind auch Sachsen-Anhalts Grüne etwas weiter nach oben tragen als beim letzten Mal, als sie landesweit 5,5 Prozent erreichten. Vor allem in den Städten hat die Ökopartei Potenzial: In Magdeburg und Halle erzielte sie bereits 2014 gut 10 Prozent.

Auch die FDP dürfte ein paar Punkte zulegen. Nach dem Bundestagswahldesaster 2013 hatte sich das Kommunalwahl­ergebnis 2014 im Vergleich zu 2009 auf vier Prozent halbiert. Seit 2016 geht es mit den Liberalen wieder leicht aufwärts.

Freie Wähler sind auf zwei Ebenen anzutreffen. Einmal als Partei „Freie Wähler“ (etwa zu den Kreistagen Wittenberg, Harz, Salzlandkreis sowie in Halle) und zudem als Wähler-Gruppierungen wie etwa Bund für Magdeburg, Pro Dessau oder Freie Wählergemeinschaft Anhalt. Diese Gruppen sind auf kommunaler Ebene zu einem bedeutendem Machtfaktor geworden. Sie stellen in Gemeinden und Kreisen dieses Mal fast 5000 Kandidaten – so viel, wie keine Partei. In den Kreistagen und kreisfreien Städten erreichten sie bei der letzten Kommunalwahl fast 9 Prozent. Noch stärker sind diese Gruppen und Initiativen in den Gemeinden – da sitzen nicht selten auch Feuerwehren mit im Rat. Auf Gemeinderats-Ebene erreichten die Wählergruppen vor fünf Jahren gut 22 Prozent. Damit waren sie hinter der CDU die zweitstärkste Kraft in Dörfern und kreisangehörigen Städten.