Sterbehilfe Krebspatientin: „Mich holt Gott“
Der Bundestag will ein neues Gesetz zur Sterbehilfe auf den Weg bringen. Einige unheilbar kranke Patienten lehnen das ab.
Magdeburg l Eigentlich hatte sie nur Halsschmerzen gehabt. Das ging zwar schon seit ein paar Tagen so, aber dass es etwas Ernsteres sein könnte, hat Elisabeth Schubert* anfangs nicht geglaubt. Erst als das Ziehen im Hals nicht verschwinden wollte, ist sie dann doch zum Arzt gegangen. Die Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Schon wieder.
15 Monate sind seitdem vergangen. Elisabeth Schubert, 87, sitzt in einem gemütlichen Sessel in ihrem Zimmer. Seit Ende November lebt sie im Hospiz der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg. Eine graue Strickjacke und eine Kuscheldecke über den Beinen spenden ihr Wärme. An ihrem Gesicht mit den freundlichen Augen lässt sich nicht ablesen, dass diese Frau todkrank ist. Die 87-Jährige strahlt eine beeindruckende Ruhe aus.
Vor zwölf Jahren wurde bei Elisabeth Schubert das erste Mal Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert, in der Leiste. Die Chemotherapie war hart, aber sie hatte den Krebs letztlich besiegt. Der Schock war groß, als sie im Juni 2014 erfuhr, dass die Krankheit zurückgekehrt war. „Der Arzt sagte mir, Sie schaffen das, hat mich zur Chemo ermutigt. Aber ich bin 87, eine alte Frau – was soll das?“, fragt Elisabeth Schubert. Wenn sie nichts unternehme, sei sie in wenigen Wochen tot, hat ihr der Mediziner prognostiziert. „Dann kann ich’s nicht ändern“, hat die gebürtige Burgerin geantwortet.
Heute ist Elisabeth Schubert immer noch da. „Eigentlich müsste ich ja schon tot sein. Aber der liebe Gott wird mich schon holen, wenn es Zeit ist“, sagt die Katholikin gelassen. „Manchmal meckere ich mit ihm, dass ich schon so lange hier bin. Aber es ist ja nicht meine Entscheidung“, sagt sie und lacht.
Dabei könnte ihr diese Entscheidung bald offenstehen. Der Bundestag will die Sterbehilfe neu regeln. Vier unterschiedliche Entwürfe werden derzeit diskutiert, für Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist das Thema „das vielleicht anspruchsvollste Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode“.
Elisabeth Schubert hat sich damit auseinandergesetzt. Sie ist für ein Verbot der Sterbehilfe. „Ich bin Christ und zutiefst überzeugt, dass Gott den Menschen das Leben geschenkt hat. Er entscheidet, wann es vorbei ist – wir haben nicht das Recht dazu“, sagt sie. „Ich kann verstehen, dass das andere anders sehen. Es gibt Menschen, die wollen nicht mehr, weil sie so starke Schmerzen haben und jahrelang im Bett liegen. Aber so schwer das auch ist: Ich halte Suizid nicht für den richtigen Weg, das Leben zu beenden. Nee!“ Nur passive Sterbehilfe, der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bei Schwerstkranken, hält die 87-Jährige für vertretbar. In ihrer Patientenverfügung hat sie geregelt, dass sie im Ernstfall nicht an Schläuche angeschlossen werden möchte.
Der Weg ohne Chemotherapie hat Folgen. Der Krebs verändert langsam, aber spürbar den Alltag von Elisabeth Schubert. Anfangs, als sie bei Pfeiffers eingezogen ist, ist sie immer mit dem Rollator von ihrem Zimmer zum Essen in das gemeinsame Wohnzimmer gefahren. Das schafft sie nicht mehr jeden Tag. „Die Kraft wird weniger. Aber das ist in Ordnung“, sagt sie. Angst vor Schmerzen oder dem Sterben hat sie keine. „Dafür bin ich wahrscheinlich schon zu alt.“
Nur manchmal, wenn sie morgens aus dem Zimmer in den Flur tritt und das rote Kerzenlicht brennt, bekommt sie einen Schreck. Dann ist in der vergangenen Nacht einer der Patienten im Hospiz gestorben. Ich müsste jetzt eigentlich die Nächste sein, denkt sie jedes Mal.
Doch bis dahin nutzt Elisabeth Schubert die Zeit, die ihr noch bleibt. Sie hört gern Mozart, liest die Volksstimme, hat regelmäßig Besuch. Manchmal wird sie sogar von ihrer alten Kirchgemeinde abgeholt, wenn im Magdeburger Stadtteil Ottersleben, wo sie lange lebte, etwas los ist. Anfang September war sie beim Volksfest dabei. „Da habe ich mal wieder eine Schlope (eine Bratwurst, Anm. d. Red.) gegessen – das war herrlich“, erzählt sie fröhlich. Wie oft sie noch in diesen Genuss kommt, würde sie manchmal gerne wissen wollen. Aber dann, sagt sie, findet sie die Frage auch ein wenig anmaßend. „Es ist ja alles in Gottes Hand.“
Auf dem kleinen Tisch vor ihrem Sessel liegt ein weißer Zettel. Es ist Johann Gabriel Seidls Gedicht „Die Uhr“. Darin finde sie sich wieder, sagt Elisabeth Schubert. Ein jeder habe vom Schöpfer eine Uhr erhalten. „Keiner weiß, wie lang seine tickt“, sagt sie.
In den letzten Strophen, in denen es darum geht, dass die Uhr irgendwann still steht, heißt es: „Dann gäb ich sie ihm zurück, mit dankbar kindlichem Flehn: Sieh, Herr, ich hab nichts verdorben, sie blieb von selber stehn.“ Elisabeth Schubert hält inne. Dann lächelt sie. „So soll es sein.“
*Name geändert