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Landespolitik Leipzig hätte ein Einheitsdenkmal verdient

SPD-Politkerin Katrin Budde, Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, über nationale Denkmäler und regionale Kulturförderung.

Von Steffen Honig 18.09.2018, 01:01

Volksstimme: Kultur ist in der Bundesrepublik im Wesentlichen Ländersache. Was bleibt da für den Kulturausschuss des Bundestages zu tun?
Katrin Budde: Ursprünglich betraf die Bundesverantwortung für Kultur zu 80 Prozent Berliner Projekte, das ergab sich so aus dem Hauptstadt-Vertrag nach der Wiedervereinigung. In Berlin hat sich so viel konzentriert, dass dies der Stadtstaat Berlin allein nie hätte leisten können. Zudem waren Dinge von nationaler Bedeutung schon immer Sache des Bundes. Es gibt übrigens erst seit 20 Jahren einen eigenen Kulturstaatsminister, der dem Kanzleramt unterstellt ist. Davor war Kultur stets an einem anderen Ministerium angedockt. Die Aufwertung durch die Schröder-Regierung entsprach der Erkenntnis, dass es in vielen Ländern Einrichtungen, Orte und Initiativen gibt, die von nationaler Bedeutung sind. Da unterstützen wir.

Wie?
Nehmen wir Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt: Die Grenzgedenkstätte Marienborn hat nationale Bedeutung, wird also mitfinanziert vom Bund, die anderen werden von Land und Kommunen unterhalten. Das gibt es ähnlich überall in Deutschland. Oder: Die meisten Theater und deren Festspiele sind Ländersache, Bayreuth, aber auch die Händelfestspiele in Halle und ein paar andere sind national bedeutsam und erhalten daher auch Geld vom Bund. Dann haben wir eine Bundesdenkmalschutzstiftung die etwa in Sachsen-Anhalt das Schloss Stolberg unterhält. Darüber hinaus gibt es die Bundeskulturstiftung unter anderem mit der Aufgabe, längerfristige Kunst- und Musikprojekte in der Fläche zu fördern, aber auch Kulturorte im Wandel im ländlichen Raum zu unterstützen.

Bei klammen Kassen in den Ländern muss also der Bund den reichen Onkel spielen?
So in etwa. Die Schwäche der Länder hat einfach dazu geführt, dass der Bund bei vielen Dingen angefragt worden ist. Das setzt sich durch.

Welchen Einfluss auf die Entscheidungen haben die Abgeordneten?
Wir bestimmen über die Haushaltsgesetzgebung die Schwerpunkte im Kulturhaushalt mit. Und im Koalitionsvertrag sind die grundsätzlichen Ziele von Anfang an fixiert. Die Förderung ländlicher Räume ist so in den Bereichen Ernährung und bei Landwirtschaft, Wohnungsbau und Inneres sowie Kultur enthalten. Der Vorteil, dass wir in Deutschland unendlich viele tolle authentische Orte haben, wird dann zum Nachteil, wenn sie nicht von den Kommunen erhalten und bespielt werden können. Bis zum Jahresende werden wir als Parlamentarier auf dieser Basis ein Konzept entwickeln, das anschließend umgesetzt wird.

Können Sie das für Sachsen-Anhalt konkretisieren?
Als Land sind wir reich an Burgen, Schlössern und Domen und haben immer noch einen Sanierungsstau. Weder Kommunen, noch die Denkmalstiftung Sachsen-Anhalt schaffen es, sie alle zu sanieren. Also versuche ich als Abgeordnete für meinen Wahlkreis und mein Bundesland insgesamt natürlich wichtige Objekte von nationaler Bedeutung in die Bundesförderung zu bekommen.

Naumburg konnte sich in diesem Jahr über die Aufnahme des Domes ins Unesco-Weltkulturerbe freuen. Was hat die Stadt davon?
Prestige, Anerkennung, Werbung. Sie hat davon aber nicht automatisch mehr Geld. Daraus machen müssen die Naumburger selbst etwas. Es war gar nicht so einfach, den Dom zum Welterbe erklären zu lassen. Die Unesco hat eine Liste, und da stehen eben schon viele Kathedralen und Kirchen darauf. Es ist nicht so einfach dann das Besondere herauszuarbeiten. Aber wir haben es ja geschafft.

Was steht außer dem Erhalt steinernen Zeitzeugen noch auf der Kultur-Agenda?
Bei der Erinnerungskultur wird der Bund ein Programm mit dem Titel „Jugend erinnert“ auflegen, um die politische Bildung in den Ländern zu unterstützen. Was da rein soll, werden wir auch als Parlamentarier entwickeln. Ein Element sind ergänzend zu den vorhandenen Gedenkstätten „Orte der Demokratiegeschichte“, die dann in Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen bildungspolitisch wirksam werden sollten. Für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Sachen Kultur gibt es den etwas sperrigen Begriff „kooperativer Kulturföderalismus“. Für mich ist das ein praktisch vernünftiges Herangehen.

Der Neubau des Berliner Schlosses geht seiner Vollendung entgegen. Über nationale Bedeutung muss man da nicht groß reden ...
... und weil diese so immens ist, nimmt der Bund auch Einfluss auf die Gestaltung des Humboldt-Forums. Eine schwierige Aufgabe, die zusammen mit Berlin umgesetzt wird, aber auch im Kulturausschuss werden wir das beraten.

Wie ist der Stand der Dinge bei der „Einheitswippe“ auf dem Schlossplatz?
Es gibt aus der letzten Legislaturperiode den Beschluss, das Denkmal zu bauen, das Geld dafür ist den Haushalt eingestellt. Damit, dass der Grund und Boden vom Land Berlin an den Bund übergegangen ist, wurde die letzte Voraussetzung für den Bau erfüllt. Der Haushaltsausschuss kann nun die Mittel freigeben.

Und wie gefällt Ihnen die Wippe?
Die Sache war bereits durch, als ich in den Bundestag kam. Eine Jury hat die Entscheidung getroffen, und die habe ich zu respektieren. Ich bedaure allerdings, dass es kein Denkmal in Leipzig gibt. Weil ich glaube, dass von den ostdeutschen Städten außerhalb Berlins das die entscheidende Stadt der friedlichen Revolution war. Leipzig hätte ein Einheitsdenkmal verdient.

Im kommenden Jahr jährt sich die Wende zum 30. Mal. Wie will der Kulturausschuss das würdigen?
Für die an die friedliche Revolution bin ich die Beauftragte der SPD-Fraktion, das hat also nicht direkt etwas mit dem Kulturausschuss zu tun. Geplant ist, in ganz Deutschland mit Veranstaltungen in die Fläche gehen und Zeitzeugen zu Wort kommen lassen. Eine große Veranstaltung aus diesem Anlass sollte in Leipzig stattfinden. Aber es wird auch etwas sein, dass wir als Ostdeutsche selbst gestalten müssen. Im bundesweiten Rahmen ist die Wiedervereinigung, deren Jubiläum wir 2020 feiern werden sicher präsenter. Ich erwarte aber, dass nicht nur 30 Jahre Wiedervereinigung sondern auch 30 Jahre friedliche Revolution einen Widerhall im Bundestag finden. In den Haushaltsberatungen werde ich mich dafür einsetzen, z. B. das Budget der sehr kompetenten „Stiftung Aufarbeitung“ für die kommenden beiden Jahre aufzustocken, damit deren Fachleute mehr Kapazitäten haben, um die Jahrestage entsprechend einzuordnen und zu würdigen.

Könnte ein Gedenk-Marathon nicht für Überdruss sorgen?
Damit genau das nicht passiert, wollen wir etwa in Sachsen-Anhalt in die vielen Mittelstädte gehen, wie Stendal oder Eisleben, in denen sich die Revolution abgespielt hat. Wir hatten überall einen 9. Oktober und überall Menschen, die vorn in der ersten Reihe gestanden haben und wir hatten überall runde Tische. Das muss mit den Menschen vor Ort gemacht werden. Die SPD selbst war dabei als neue Partei ein treibender Keil. 16-, 17-Jährigen muss man heute erklären, was sich warum vor 30 Jahren ereignet hat.

Die politische Problemlast ist gewaltig. Geht das nach Ihrem Empfinden im Parlament zu Lasten der Kultur?
Die Kultur ist zumindest in meiner Fraktion stark verankert und wird auch gehört. Sie wird auch für viele Aufgaben als Teil der Lösung gesehen. Eine breites Kulturleben stärkt die Verwurzelung in der Heimat. Und das Thema Integration und Zuwanderung ist auch ein kulturelles Thema. Darauf ist die Kulturpolitik aber noch nicht ausgerichtet. Bisher wurde das immer unter Aspekten wie Arbeit und Wohnung und vielleicht noch Religion gesehen.

Was muss sich ändern?
Die kulturelle Integration und gegenseitige Akzeptanz schleppt Deutschland im Westen noch aus der Zeit der Gastarbeiter mit. Im Osten gab es kaum Ausländer und schon gar keine Integration, was ebenfalls problematisch ist. Dies trifft heute auf eine neue, ungekannte Zuwanderungssituation. Eine Lösung dafür, wie gegenseitiger Austausch zum Erfolg führen kann, hat niemand. Klar ist aber, dass solche Prozesse dauern und finanziert werden müssen. Denn die Erfahrung der Gastarbeitergenerationen zeigt, dass es nicht von allein passiert. Schulen, Kirchen, Wohngebiete – überall muss etwas geschehen. Kultur ist ein Schlüssel zum Verstehen des anderen. Die Kulturpolitik in Deutschland muss sich darauf einstellen – und zwar schnell.