Landtagswahl Ein klarer grüner Kern
Am 6. Juni wird ein neues Parlament gewählt. Die Volksstimme stellt die Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien vor. Heute: Cornelia Lüddemann, Grüne.

Magdeburg/Leuna - Leise surrt das Elektro-Auto von Cornelia Lüddemann auf das Gelände der Leuna-Werke. Es ist Ende Mai. Für die Spitzenkandidatin der Grünen steht um die Mittagszeit einer von vielen Terminen im Wahlkampf an diesem Tag an.
Mit einem Lächeln steigt sie aus dem Auto. Roter Blazer, rote Schuhe. Sie ordnet ihre Unterlagen. Kürzlich stellte man ihr die Frage, ob sich von der Farbe ihrer Garderobe auf künftige Koalitionen schließen lasse. Sie entgegnete trocken: „Ich mag die Farbe einfach. Wichtig ist, dass ein klarer grüner Kern drinsteckt.“ Vor der Präsentation kredenzt „InfraLeuna“-Geschäftsführer Christof Günther erst mal ein Tässchen Kaffee. Die Entwicklung des Chemieparks – eine Erfolgsgeschichte, referiert er. Nach Elon Musks Mega-Baustelle in Grünheide bei Berlin sei Leuna mit seinen Milliardeninvestitionen Deutschlands zweitgrößte Industriebaustelle.
Wirtschaft ist ursprünglich nicht die Domäne von Cornelia Lüddemann. Man merkt es nicht. Sie hakt häufig ein, gleicht ihre Vorstellung von Klimaschutz mit Wirtschaftsvertretern ab. Im Wahlkampf muss sie unter Beweis stellen, dass sie in vielen Themenfeldern fit ist. Ein Credo: Wissen kann man sich aneignen. Bevor sie als Quereinsteigerin in die Politik kam, hat sie unter anderem als Bibliothekarin gearbeitet. In dem Beruf ist strukturiertes Arbeiten nicht unerheblich. Als Diplom-Pädagogin für soziale Arbeit hat sie jungen Menschen Sachverhalte vereinfacht erklärt. Dinge so umschreiben, dass die Leute sie verstehen – das ist ihr bis heute wichtig.
Großes Ziel der Grünen: Klimaneutralität in Sachsen-Anhalt bis 2035. Ambitioniert. Ohne verantwortungsvoll agierende Wirtschaft werde man das kaum erreichen können, sagt Lüddemann. Unternehmen gezielt fördern, aber Verstöße auch sanktionieren. Nur so geht’s. Im Gespräch kommt sie selbst auf die vermeintliche „Industriefeindlichkeit der Grünen“ zu sprechen. Sollte es die mal gegeben haben – längst vorbei. „Alle gemeinsam müssen wir jetzt eine Schippe drauflegen. Bei Energie, Mobilität, in so vielen Bereichen“, sagt sie.
Von Angesicht zu Angesicht
Wahlkampf in Corona-Zeiten ist nicht ideal für sie. „Ich bin schon jemand, dem der Kontakt von Angesicht zu Angesicht wichtig ist. Ich denke, in diesen Momenten kann ich meine Ideen sehr gut vermitteln.“ Das spontane Gespräch auf dem Marktplatz – in Zeiten der Pandemie ist es seltener geworden.
Auf digitalen Kanälen haben Lüddemann und die Grünen stattdessen ihre Botschaften unters Volk gebracht. Die Formate hießen: Grüner Feierabend, Grünes Gärtnern, die Grüne Küche, Feminist Fight Club oder Town Hall. Wichtig: Immer geht es bei den Grünen um Dialog. Bewusst hat die Partei die Entwicklung des Programms auf mehrere Schultern verteilt. Experten, Vertreter verschiedener Disziplinen redeten mit.
Bis zur Wahl will Cornelia Lüddemann noch viele Menschen für die grünen Ideen begeistern. Das kann sie gut, in der Unterhaltung mit einem Angestellten wie mit dem Top-Manager. Sie kann zwischen den Perspektiven wechseln.
In Gesprächen formuliert sie ruhig, bewusst, äußert sich aber auch mal mit Nachdruck. Hürden abbauen - das sei entscheidend. Dabei müsse man am Schluss auch aushalten, mal nicht recht zu haben oder sich nicht komplett einig zu sein, sagt sie.
Die Vermittlerposition liegt der Grünen-Spitzenkandidatin. In Dessau wuchs sie in einem christlich geprägten Elternhaus auf. Seit 1989 Engagement im Neuen Forum. 1992 Eintritt bei den Grünen, wo sie sich peu á peu hochgearbeitet hat.
In der Fraktion, die sie seit 2016 führt, ist Cornelia Lüddemann für alle nur „Conny“. Der „Conny-Gebrauch“ sei in den letzten Jahren exponentiell angestiegen, sagt sie und lächelt. „Stört mich aber nicht.“ Ein Thema, das ihr über die Jahre immer besonders wichtig war: Frauenrechte. 1990/91 hat sie das erste Frauenhaus in Sachsen-Anhalt mitgegründet, war Geschäftsführerin im Landesfrauenrat des Landes. Sie spricht sich unter anderem für die gezielte Erfassung frauenfeindlicher Straftaten in der Kriminalstatistik aus.
Mehr Frauen im Landtag
Ginge es nach ihr, Sachsen-Anhalt hätte schon lang ein Gesetz, das Geschlechtergerechtigkeit im Landtag regelt. Derzeit sind nur 22 Prozent der Abgeordneten weiblich. Frauen gingen anders an Gesetzgebungsfragen heran. Sie hätten auch andere Themen auf dem Radar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung im Land ist weiblich. Die nächste Landesregierung sollte das abbilden, findet sie. Auch weil zu wenige Frauen vertreten sind, setzten Parteien wie die AfD Themen, die völlig an der Realität vorbeigingen.
Gern betont sie, dass es bei den Grünen schon lange eine klar geregelte Rangfolge gebe, wie Listen paritätisch besetzt werden. Auf dem ersten Listenplatz steht – eine Frau.
Vor zwei Wochen hat Cornelia Lüddemann ihren 53. Geburtstag in „kleinem Rahmen“ in Dessau gefeiert. Corona lässt keine großen Sprünge zu, außerdem ist Wahlkampf. Ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk könnte es geben, wenn sich die guten Umfrage-Ergebnisse bewahrheiten.
Werden es wirklich rund 12 Prozent – mehr als doppelt so viel wie vor fünf Jahren – dürften die Grünen erneut ihren Platz in der Regierung finden. „Das ist ganz klar das Ziel“, sagt Lüddemann. Ob es die Kenia-Neuauflage gibt oder ein anderes Bündnis zustande kommt – mit Prognosen hält sie sich zurück. Fest steht: Man habe in den letzten Jahren gute Arbeit gemacht. Sachsen-Anhalt sei ökologischer, nachhaltiger, demokratischer geworden. Das Klima- und Energiekonzept etwa hätten die Grünen gegen Widerstand der CDU auf den Weg gebracht, betont sie. In der Koalition hat es nicht nur einmal lichterloh gebrannt. Beim Gerangel um den Status des Grünen Bandes, beim Rundfunkbeitrag und und und. Häufig konnte Cornelia Lüddemann ihr diplomatisches Geschick in die Waagschale werfen. Ein besonderes Vertrauensverhältnis hat sich in zehrenden Kenia-Jahren zu CDU-Mann Siegfried Borgwardt entwickelt. „Zusammen haben wir einige Klippen umschifft“, sagt Lüddemann.
Rainer Haseloff (CDU) wiederum wurde erst kürzlich von Lüddemann scharf kritisiert. Es ging um Öffnungen der Gastronomie im Harz im Zuge eines Modellprojekts. „Mir kommt es so vor, als ob die CDU in einem Bus sitzt, mit Ministerpräsident Haseloff als Geisterfahrer, der sich wundert, dass ihm alle anderen entgegenkommen“, sagte Lüddemann. Kam nicht überall gut an.
Kritisiert hat die Grünen-Politikerin häufig Verkehrsminister Thomas Webel (CDU). Dass es etwa für die Verbesserung der Radinfrastruktur nun eine hauptamtliche Planerin gebe – Verdienst der Grünen. Im Gespräch mit Webel ging es einmal um den Zustand der Radwege im Land. Wann er denn mal auf dem Rad gesessen habe?, fragte Lüddemann. Kürzlich bei mir im Keller, soll Webel – jovial wie eh und je – erwidert haben. Eine bezeichnende Episode.
Lesen fehlt
Radfahren ist eines der Hobbys der schlanken Frau. In Wahlkampf-Zeiten schwingt sie sich allerdings nur für Strecken vor der Haustür in Dessau in den Sattel. Auch im Kanu- und Kajakclub sind ihr Lebenspartner und sie in diesen Tagen nicht gemeinsam anzutreffen. Die Lieblingsunternehmung – das Paddeln auf der Mulde – ist aber schon vorgemerkt für die Zeit nach der Wahl.
In einigen Wochen wird die Bücher-Enthusiastin wieder etwas Zeit haben, privat in Lektüre einzutauchen. Zuletzt ist sie Weihnachten dazu gekommen. Gelesen hat sie „Die Welt neu denken“ von Maja Göpel. Darin geht es um die Folgen des Klimawandels und die Wirtschaft.
In Leuna ist nach anderthalb Stunden das Gespräch beendet. Ob sie mit Robert Habeck noch mal wiederkommen könne, hat sie am Schluss gefragt. „Er findet das sicher auch sehr spannend.“
Es wartet ein weiterer Termin. Das E-Auto zischt davon, darauf zu lesen „Mit klarem Ziel: Klima retten“. Conny Lüddemann arbeitet daran.