Pandemie Mehr Streit an Sachsen-Anhalts Gartenzäunen
In der Corona-Pandemie haben die Menschen viel Zeit zu Hause verbracht. Schiedsleute mussten 2020 wieder öfter in Streitfällen schlichten.

Magdeburg - Wenn der Nachbar einen Vogel hat, kann es schon mal Zoff geben. Erst recht, wenn es sich um gleich mehrere Vögel handelt, genauer: um eine ganze Papageienzucht. So erlebt hat das Dieter Lattke, der als Schiedsmann dort hilft, wo sonst nichts mehr hilft. „Die Papageien haben ein ziemliches Spektakel veranstaltet, die zerstrittenen Nachbarn fanden zu keiner Einigung. Da blieb am Ende nur der Gang zur Schiedsstelle.“
Das ist nur einer von vielen Fällen, die der Veltheimer (Landkreis Harz) in seiner langen Laufbahn als Schiedsmann erlebt hat. 1967 wurde Lattke erstmals in eine Schiedskommission gewählt, seit 1994 übt er das Amt nach bundesdeutschem Recht aus. Heute ist er Vorsitzender der Bezirksvereinigung Magdeburg im Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) und einer der Dienstältesten seines Fachs. 2020 war für Lattke dennoch kein gewöhnliches Jahr.
„Die Leute waren mehr zu Hause und haben sich deshalb häufiger gestritten“, sagt der Experte. Eine Einschätzung, die von Zahlen aus dem Justizministerium untermauert wird. 523 Anträge auf Schlichtungsverhandlungen in sogenannten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gab es 2020 landesweit; ein Plus von 38 Fällen im Vergleich zum Vorjahr (485 Anträge). In den Jahren vor der Pandemie hatte sich noch eine negative Tendenz abgezeichnet: So ging die Zahl der Verfahren zwischen 2017 und 2019 um 95 zurück.
Doch nicht jeder Gang zu einer Schiedsstelle führt am Ende auch zu einem Verfahren. Tatsächlich könnte es im vergangenen Jahr also noch weitaus mehr Streit unter Nachbarn gegeben haben als die Statistik nahelegt. „Im Durchschnitt habe ich jedes Jahr 15 bis 20 sogenannte ,Tür-und-Angel-Fälle’, bei denen es bei einem ersten Beratungsgespräch bleibt. Bei den tatsächlichen Schiedsverfahren komme ich jährlich auf drei bis vier“, sagt Lattke.
Ein weiterer Faktor könnte in der Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben: „Die Leute haben sich zwar mehr gestritten. Aber in einem Schiedsverfahren hätten sie mit ihrem Kontrahenten und dem Schlichter in einem Raum sitzen müssen. Das hat einige abgeschreckt“, sagt Lattke.
Schiedsämter mit Nachwuchssorgen
Dieter Lattke ist einer von 311 aktiven Schiedsleuten in Sachsen-Anhalt. 154 Schiedsstellen gibt es laut Justizministerium in den Städten und Gemeinden des Landes. Aufgabe der Schiedsleute ist es, die Gerichte zu entlasten, indem sie Bagatellen – die Hecke zu hoch, die Musik des Nachbarn zu laut – schon im Vorfeld schlichten.
Schiedsleute werden vom Gemeinderat für eine Dauer von fünf Jahren gewählt. Sie stehen als neutrale Vermittlungsinstanz zwischen den Konfliktparteien. „Ich bin Schlichter, kein Richter“, formuliert es Dieter Lattke.
25 Euro werden bei Beantragung eines Verfahrens fällig, bei einer Einigung erhöht sich die Gebühr auf 50 Euro. Hinzu kommen die Kosten für mögliche Auslagen des Schlichters, zum Beispiel für Schreiben und Porto. Eine erste Beratung kostet hingegen nichts. Können sich die Parteien nicht einigen, kann die Angelegenheit immer noch vor Gericht gehen.
Doch die Zahl derer, die das Ehrenamt übernehmen wollen, sinkt landesweit. Laut Justizministerium gab es 2017 noch 352 Schiedsleute, 2020 waren es nur noch 311. In einigen Bezirken gibt es schon keine Schiedsstellen mehr – hier sank die Zahl zwischen 2017 und 2020 von 166 auf 154.
Dieter Lattke will nicht von einem Nachwuchsproblem sprechen. Doch er sagt: „Viele Schiedspersonen der ersten Stunde sagen sich irgendwann: ,Jetzt reicht es.’“ Bei manchen Schiedsämtern gebe es eine hohe Fluktuation. „Man darf nicht vergessen: Es ist immer noch ein Ehrenamt.“