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Volksstimme Lesertelefon Sachsen-Anhalts Grüne wollen Klimaneutralität bis zum Jahr 2035

Über das Waldsterben im Harz, die Herausforderungen der Energiepolitik und viele weitere Themen hat Cornelia Lüddemann am Lesertelefon der Volksstimme gesprochen. Sie ist die Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt. Fragen und Antworten hat Volksstimme-Reporter Johannes Vetter notiert.

Von Johannes Vetter 08.05.2021, 15:27
Im Harz hat der Borkenkäfer nach drei trockenen Jahren ganze Arbeit geleistet, großflächig sind Fichten abgestorben.  Für Sachsen-Anhalts Grüne ein Resultat der Klimakrise.
Im Harz hat der Borkenkäfer nach drei trockenen Jahren ganze Arbeit geleistet, großflächig sind Fichten abgestorben. Für Sachsen-Anhalts Grüne ein Resultat der Klimakrise. Foto: dpa

Magdeburg

Die Grünen sind den Umfragen nach im Höhenflug, sie könnten ihr Ergebnis bei der Landtagswahl mehr als verdoppeln. Dass die Menschen in Sachsen-Anhalt von der Partei Antworten erwarten, hat sich auch am Volksstimme-Lesertelefon gezeigt. Die Leitungen waren für eineinhalb Stunden beinahe permanent belegt.

Erich Benecke aus Osterweddingen: Das ganze Jahr sind Avocados und Erdbeeren im Supermarkt verfügbar, Textilien sind teils Wegwerfartikel. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die deutsche Bevölkerung von ihrem umweltschädlichen Konsumverhalten befreien?

Wir müssen an das wachsende Umweltbewusstsein in der Bevölkerung anknüpfen. In Umfragen wächst etwa der Anteil der Menschen, die sich umweltbewusster ernähren wollen. Beim Kauf treffen viele dann trotzdem andere Entscheidungen. Das ist verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre. Das müssen wir aufbrechen.

Benecke: Wollen Sie Importzölle, so dass der Kauf dieser Produkte unattraktiv wird?

Es muss immer darum gehen, dass man Menschen überzeugt. Schon mit der Kennzeichnung von Eiern gab es beispielsweise einen durchschlagenden Erfolg. Seitdem die Menschen im Supermarkt nachvollziehen können, welche Eier aus Freilandhaltung stammen oder Bio sind, können sie eine vernünftige Kaufentscheidung treffen. Davon brauchen wir mehr.

Thorsten Pohlan aus Ebendorf:Nehmen Sie Kinder als Opfer für die Kobaltgewinnung in Kauf, um die Elektromobilität in Deutschland durchzusetzen?

Kinderarbeit ist nicht akzeptabel. Wir kämpfen sehr für ein europäisches Lieferkettengesetz, das alle Importe von Rohstoffen in den Blick nimmt. Und selbstverständlich müssen alle Kriterien der internationalen Arbeitsschutzverordnung eingehalten werden.

Pohlan:Was ist für Sie Patriotismus und wie stehen Sie zu der Aussage Ihres Bundesvorsitzenden Robert Habeck, wonach er Patriotismus und Vaterlandsliebe „stets zum Kotzen“ gefunden habe?

Was Habeck gesagt hat, muss Habeck interpretieren. Ich stehe dazu, dass wir ein starkes Europa mit starken Nationalstaaten sind. Ich bin gerne Sachsen-Anhalterin und darüber hinaus Europäerin.

Astrid Hollert aus Magdeburg:Ich würde die Grünen gerne wählen, aber mir gefällt ihr Verhältnis zu Russland nicht. Putin wird immer wieder provoziert. Die Nato hat an der Grenze Manöver abgehalten. Wenn er ein Manöver auf der Krim macht, ist das doch nur ein Resultat davon, dass er provoziert wird.

Es geht grundsätzlich um die Frage, unter welchen Vorzeichen Außenpolitik gemacht werden soll. Ich glaube, dass man als demokratisches Deutschland auch die Menschenrechte zum Grundsatz machen muss. Darüber muss man mit Russland reden. Estland und Litauen haben Menschenrechtsaktivisten aus der Ukraine aufgenommen. Diese Länder sind durch Putins Politik bedroht, die den russischen Einflussbereich erweitern will. Da muss die Nato unterstützen und klarstellen dass man dort keinerlei Einmischung duldet.

Hollert:Aber man sollte es nicht noch weiter provozieren. Ich denke, man sollte mehr schlichten. Dann wird der Putin auch etwas zurückhaltender sein.

Einen Diktator darf man nicht unterschätzen. Aber ich gebe Ihnen recht, gerade bei explosiv erscheinenden Konflikten kommt es auf jeden Zungenschlag an.

Birgit Schrader aus Blankenburg:Im Harz sieht es aus wie nach einer Katastrophe. Die Bäume sind weg oder umgeknickt. Was ist die Ursache für dieses Waldsterben, und was wollen die Grünen dagegen tun?

Ich gebe Ihnen völlig Recht, das ist eine katastrophale Lage. Die Ursache ist schnell umrissen: Das ist tatsächlich die Klimakrise. Fichtenwälder sind eben sehr anfällig in Dürreperioden. Wir unterstützen, dass nicht wieder Monokulturen angepflanzt werden, sondern Mischwälder. Einst gab es die dort auch. Diese Situation müssen wir wieder herstellen. Das dauert. Wir müssen dem Wald nun ein bisschen Zeit geben, damit er sich regeneriert.

Achim Förster aus Schwanefeld (Landkreis Börde):Wir haben hier Wölfe, man sieht sie in den Fotofallen der Jäger. Aber es heißt, hier gibt es keine. Meiner Meinung nach versucht das Wolfsmanagement, die Zahlen nach unten zu korrigieren.

Ich erlebe viele Tierschützer, die sehr stolz darauf sind, dass Wölfe ihren Platz auch hierzulande wieder gefunden haben. Ich würde nicht sagen, dass die Zahlen runtergerechnet sind. Wenn ich mit Landwirten und Schäfern rede, erlebe ich, dass sie zunehmend Vertrauen haben zum Wolfskompetenz-Zentrum.

Brigitte Schmidt aus Berßel im Harz:Mir brennt da was auf der Seele. Ihre Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, hat eine sehr dumme Äußerung gemacht. Sie sagte: „30 Prozent der Kinder und Jugendlichen heute haben bereits einen Migrationshintergrund, und dabei habe ich die Ossis jetzt noch nicht mitgerechnet.“ Das ist eine Ohrfeige, oder?

Ja, die Äußerung ist 2015 gefallen, sie ist aus dem Zusammenhang gerissen. Katrin Göring-Eckardt ist ja selber aus Thüringen. Sie hat das schon so oft erklärt. Ich kann Ihnen nichts anderes sagen, als dass ich Katrin Göring-Eckardt als glühende Streiterin für Gleichberechtigung und den Osten erlebt habe.

Schmidt:Mich stört auch der Begriff Ossi. Wir sind Deutsche. Wir sind doch nicht irgendwie minderwertiger.

Ich bin 1989 auf die Straße gegangen, damit wir alle in Deutschland die gleichen Rechte haben. Und da ist es mir völlig egal, wo jemand geboren wurde. Man muss versuchen, sich vorurteilsfrei zu begegnen.

Rainer Bölicke aus Burg:Wie stellen Sie sich die Sicherheit der Energieversorgung vor?

Wir brauchen mehr erneuerbare Energien. Sonst werden wir es nicht schaffen, dass Sachsen-Anhalt bis spätestens 2035 klimaneutral ist. Das ist das Ziel, das wir Grüne verfolgen. Dafür müssen wir dringend in Speichertechnologien investieren. Das muss deutlich schneller gehen. Und wir müssen einiges dafür tun, dass wir deutlich weniger Energie verbrauchen.

Bölicke:Wie wollen Sie Dumpinglöhne verhindern?

Wir brauchen einen Landesmindestlohn. Wir haben sehr dafür gekämpft, dass wir das Vergabegesetz im Land ändern und dort einen Landesmindestlohn festlegen. Bundesweit muss der Mindestlohn eine Untergrenze von zwölf Euro haben. Das ist aus unserer Sicht das Mindestmaß, um von seiner Arbeit halbwegs leben zu können.

Detlef Skerat aus Biederitz (Jerichower Land): Die Grünen plädieren für ein Wahlalter ab 14 Jahren. Ich habe da kein Verständnis für. Das sind Kinder, noch keine Jugendlichen.

Ich erlebe sehr viele junge Menschen, die sehr reflektiert sind. Warum sollen junge Menschen mit 14 Jahren, wenn sie strafmündig und religionsmündig sind, nicht darüber entscheiden, wer ihre Bildungspolitik bestimmt? Sie sind von der Bildungspolitik unmittelbar betroffen.

Daniela Münzer aus Barleben:Der Grünen-Landesvorsitzende Sebastian Striegel hat sich laut einer Aussage „Zuwanderung bis zum Volkstod“ gewünscht. Wie stehen Sie dazu?

Herr Striegel hat sich dafür entschuldigt. Das war eine ganz blöde Wortwahl. Grundsätzlich geht es darum, dass wir Zuwanderung in Sachsen-Anhalt brauchen und vernünftig organisieren müssen. Wir haben überall freie Ausbildungs- und Arbeitsstellen. Wir werden unseren Lebensstandard ohne Zuwanderung nicht halten können.

Münzer:Ich nehme bei Ihrer Partei eine Deutschland-Feindlichkeit wahr. Mich erschüttern solche Einstellungen zum eigenen Land.

Nur wenn wir als gemeinsamer Wirtschaftsraum und auch als Wertegemeinschaft Europa wachsen, können wir gegen Amerika und Asien bestehen. Es gibt viele jüngere Menschen, die sich zuerst als Dessauer, Magdeburger oder Stendaler und dann als Europäer identifizieren.

Münzer:Aber warum darf ich denn mein Land nicht toll finden?

Natürlich dürfen Sie das toll finden, ich finde es auch toll. Aber man muss doch auch akzeptieren, dass es Menschen gibt, denen diese Ebene persönlich nicht so wichtig ist. Weil sie sich eher mit ihrer Kommune identifizieren und sich ansonsten im europäischen Kulturkreis verortet fühlen. Oder weil sie vorsichtig sind. Denn immer, wenn Deutschland sich in der Geschichte zu stark gefühlt hat, führte das zu größeren Auseinandersetzungen in Europa, die niemand wollen kann.

Cornelia Lüddemann,  Spitzenkandidatin der Grünen in  Sachsen-Anhalt,  stellte sich beim Leser-Forum der Volksstimme den Fragen. Rechts: Volksstimme-Reporter Massimo Rogacki.
Cornelia Lüddemann, Spitzenkandidatin der Grünen in Sachsen-Anhalt, stellte sich beim Leser-Forum der Volksstimme den Fragen. Rechts: Volksstimme-Reporter Massimo Rogacki.
Foto: Uli Lücke