Vorstoß von Arbeitgebern Sachsen-Anhalts Ärzte protestieren gegen mögliches Aus für Krankenschein per Anruf
In Sachsen-Anhalt wächst der Widerstand gegen das geplante Ende der telefonischen Krankschreibung. Arbeitgeber und Politiker argumentieren für eine Rückkehr zur persönlichen Attestpflicht, doch Ärzte warnen vor überfüllten Praxen.

Magdeburg - Sachsen-Anhalts Ärzte weisen Kritik von Arbeitgebern und Teilen der Politik an der telefonischen Krankschreibung sowie Forderungen nach deren Abschaffung zurück: „Die Kritik ist nicht haltbar“, sagte Thomas Dörrer, Hausarzt in Teutschenthal mit rund 1.400 Patienten bei Halle.
„Fakt ist nun einmal, dass wir seit drei, vier Jahren immer wieder mit Infektwellen konfrontiert sind“. Das gehe seit Corona so. „Würden sich nicht wenigstens einige Patienten per Telefon krankschreiben lassen, wären die Praxen noch voller“, sagte Dörrer.
Dass jemand vorsätzlich „blaumache“, möge vorkommen. „Aber das ist die Ausnahme“, betonte der Mediziner, der auch Vizepräsident der Landesärztekammer ist.
Ärzte warnen vor höheren Risiken in vollen Wartezimmern
„Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann“, sagte auch Holger Fischer, Hausarzt in Quedlinburg und Vizechef des Landes-Hausärzteverbands zu einer möglichen Abschaffung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) per Telefon.
Diese helfe bei Infektionswellen mit Grippe, Corona oder RSV, das Risiko für Ansteckungen im Wartezimmer zu senken. Genutzt werde die Telefon-AU zudem ohnehin nur von einer sehr überschaubaren Zahl an Patienten. „Ein Wirtschaftsfaktor ist das nicht“, betonte Fischer. Ähnlich äußerte sich die Kassenärztliche Vereinigung.
Man wird für die Krankmeldung zukünftig wieder zum Arzt gehen müssen und das nicht einfach nur telefonisch erledigen können.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP)
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte zuvor die Abschaffung der Telefon-AU ins Gespräch gebracht: „Man wird für die Krankmeldung zukünftig wieder zum Arzt gehen müssen und das nicht einfach nur telefonisch erledigen können“, sagte Lindner. Er wolle niemandem vorwerfen, die Regelung auszunutzen.
Bundesfinanzminister fordert Rückkehr zur klassischen AU-Bescheinigung
Es gebe aber leider „eine Korrelation zwischen dem jährlichen Krankenstand und der Einführung der Maßnahme, die als guter Bürokratieabbau gedacht war“.
Auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) forderte nun die Abschaffung: „Lasst uns zurückkehren zum bewährten Verfahren“, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter.
Krankenstand in Sachsen-Anhalt auf Höchststand
Nach Daten der AOK hatte der Krankenstand auch in Sachsen-Anhalt zuletzt wiederholt Rekorde erreicht. Bereits im August wurde dabei erneut der Höchststand von 237 Arbeitsunfähigkeitsfällen je 100 Versicherten von 2023 überschritten.
Noch im Zeitraum 2014 bis 2021 lag der Wert im Bundesschnitt bei 160 Arbeitsunfähigkeitsfällen je 100 AOK-Versicherten. Als Hauptursache für den jüngsten Anstieg macht die Kasse seelische Erkrankungen aus. Die Barmer im Land bestätigte zuletzt zudem eine Häufung von Infektwellen im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie.
Krankheitsausfälle führen zu Rekordausgaben für Unternehmen
Für Unternehmen führen die Rekord-Krankmeldungen zu steigenden Ausgaben für Lohnfortzahlungen. Laut Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln lagen sie 2023 bei geschätzt 76,7 Milliarden Euro. Binnen 14 Jahren hätten sich die Ausgaben damit mehr als verdoppelt, hieß es.

Die Ursachen aber seien vielfältig, urteilt das IW. Neben Infektionswellen infolge der Pandemie und psychischen Erkrankungen könnte etwa auch die Alterung der Arbeitsbevölkerung eine Rolle spielen.
Sachsen-Anhalts Arbeitgeberverbände äußerten sich zum Beitrag der telefonischen Krankschreibung zum hohen Krankenstand ebenfalls eher zurückhaltend: „Die Bundesregierung hat festgelegt, die Maßnahme im Rahmen ihrer Wachstumsinitiative für die Wirtschaft zu überprüfen“, sagte Sprecher Jan Pasemann. Das Ergebnis müsse man abwarten.
Wirtschaft erwartet Überprüfung der telefonischen Krankschreibung
Auch die AOK in Sachsen-Anhalt hält die telefonische Krankschreibung trotz aller Kritik für sinnvoll: „In der Corona-Pandemie hatte sich gezeigt, dass der Umgang mit der telefonischen Krankschreibung gewissenhaft war“, sagte Kay Nitschke, Leiter ambulante und stationäre Versorgung, der Kasse.
Und so könne man auch heute davon ausgehen, dass Ärzte das Instrument verantwortungsvoll nutzen.