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Landtagswahl 2021 Wie die AfD in Sachsen-Anhalt stärkste Kraft werden will

Führende Mitglieder der AfD in Sachsen-Anhalt gelten als rechtsextrem, doch das schadet der Landespartei in den Umfragen offenbar nicht. Bei der Landtagswahl 2021 rechnet sich die Partei Chancen aus, zur stärksten politischen Kraft im Land aufzusteigen. Eine Betrachtung zum Zustand der Landespartei.

Von Johannes Vetter Aktualisiert: 21.4.2021, 05:11
AfD-Landesvize Hans-Thomas Tillschneider sitzt nicht nur im Bild ganz rechts. Er gilt als ein führender Kopf des „Flügels“,  den der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hat. Links im Bild: AfD-Chef Martin Reichardt.
AfD-Landesvize Hans-Thomas Tillschneider sitzt nicht nur im Bild ganz rechts. Er gilt als ein führender Kopf des „Flügels“, den der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hat. Links im Bild: AfD-Chef Martin Reichardt. Foto: dpa

Magdeburg. Ein kalter Märztag im Lockdown, eisig pfeift der Wind durch die Wolmirstedter Fußgängerzone. Alles geschlossen, kaum jemand unterwegs. Aber es gibt einen kleinen Pavillon. Davor einige Menschen, darunter ein schimpfender Mann mit grauem Bart.

„Ich habe mich noch nicht testen lassen und ich werde es auch nicht tun“, sagt er. Denn mit der Pandemie, poltert er weiter, wolle die Regierung vor allem ihre „Agenda der Unfreiheit“ durchsetzen. „Wollt ihr die totale Corona-Diktatur?“, schmettert er seinen Zuhörern entgegen. Zurück kommt ein Nein. „Natürlich wollen wir das nicht“, bestätigt der Redner, Hans-Thomas Tillschneider von der AfD.

So sieht er aus, der Straßenwahlkampf der AfD im Lockdown. Längst hat die Partei dafür ihr Thema gefunden: Lockdown beenden, in vollem Umfang. Was natürlich so ziemlich jeder in diesem Land will.

Wahlkampf mit Anti-Lockdown-Kurs in Sachsen-Anhalt

Nur will es die AfD sofort, trotz vieler Neuinfektionen. „Es muss jeder auf sich selbst aufpassen und das machen, was er für richtig hält“, sagt Oliver Kirchner, Spitzenkandidat der Partei. Die Eigenverantwortung der Menschen stärken, das wolle er, wenngleich die Risikogruppen geschützt werden müssten.

Und wenn die Intensivstationen voll sind? Dann müsse man „nachjustieren“, sagt Kirchner. Was genau das heißt, sagt er nicht. Darüber müsse man sich dann unterhalten, er sehe so eine Situation derzeit nicht kommen, betont der Spitzenkandidat.

Es ist ein strikter Anti-Lockdown-Kurs, den die Partei seit Monaten fährt. Ob das gut ankommt bei den Menschen im Land? Die Umfragen seit Beginn der Corona-Krise könnten darauf hindeuten, dass die AfD mit dieser Strategie Pluspunkte sammelt. Als die Unsicherheit wegen ansteigender Infektionszahlen groß und der Lockdown hart war, kam die Partei in Befragungen auf 23 bis 25 Prozent in Sachsen-Anhalt. Während des vergangenen Sommers, als es weniger Einschränkungen gab, waren es nur 19 Prozent. Bei der Landtagswahl 2016 holte die AfD in Sachsen-Anhalt rund 24 Prozent.

AfD-Chef Meuthen will Wahlsieg in Sachsen-Anhalt

Kirchner sagt, er wäre zufrieden mit einem Ergebnis zwischen 23 und 25 Prozent. Doch die Bundesspitze der Partei denkt größer. AfD-Chef Jörg Meuthen betonte kürzlich auf dem Bundesparteitag in Dresden: „Wir haben, wenn wir es richtig angehen, bei dieser Wahl die große Chance, erstmals und sogar mit beträchtlichem Abstand zur stärksten politischen Kraft in einem Bundesland zu werden“. Der Partei-Chef verwies auf die zuletzt schwächelnde CDU und ein mögliches AfD-Ergebnis von 30 Prozent oder mehr. Er mahnte seine Partei, geschlossen in die kommenden Wahlkämpfe zu ziehen.

AfD-Antrag aus Sachsen-Anhalt will Meuthens Amtszeit begrenzen

Doch die Gräben sind tief in der AfD. Meuthen, der sich in der Partei eher als bürgerlich-konservativ sehen will, ist umstritten. Beim Bundesparteitag kam aus dem Landesverband Sachsen-Anhalt ein Antrag zur Begrenzung von Amtszeiten. Mitglieder des Bundesvorstandes sollten höchstens zweimal unmittelbar in dasselbe Parteiamt wiedergewählt werden können.

Meuthen hätte demnach im November nicht erneut für den Vorsitz kandidieren dürfen. Doch zur Abstimmung kam es nicht. Der Antrag wurde mit Verweis auf die fortgeschrittene Zeit beim Parteitag nicht behandelt.

Ex-Parteichef Poggenburg rät zur Teilung in Ost- und West-AfD

André Poggenburg, einstiger AfD-Chef in Sachsen-Anhalt, rät der Partei eine Teilung in Ost- und West-AfD. Zu groß seien die Unterschiede. „Im Westen mag die etwas biedere Opposition funktionieren, hier im Osten ist lauter Protest angesagt“, sagt er. Innerparteiliche Machtkämpfe hatten den angeschlagenen Parteichef im Jahr 2018 zu Fall gebracht. Er trat von allen Ämtern zurück, verließ die AfD und gründete eine neue Partei, die aber erfolglos blieb.

Dass Meuthen im Jahr 2020 so rigoros den Ausschluss des Brandenburger Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz betrieben hatte, kam bei einigen nicht gut an. Kalbitz soll seine Mitgliedschaft in einer später verbotenen neonazistischen Vereinigung verschwiegen haben, hieß es in der Begründung für den Parteirauswurf. Der offiziell aufgelöste „Flügel“ der AfD, die völkisch-nationalistische Strömung in der Partei, verlor mit ihm einen seiner wichtigsten Leute.

AfD Sachsen-Anhalt mit Protestnote gegen Rauswurf von Andreas Kalbitz

Kirchner schrieb dazu im Internet auf Facebook: „Wer ernsthaft in Erwägung zieht, Andreas Kalbitz aus der Partei zu entfernen, entfernt dieser Partei das Rückgrat und den Schneid“. Der AfD-Landesverband reagierte geschlossen mit einer Protestnote. „Sachsen-Anhalt ist sich einig“, teilte Kirchner damals mit, „Andreas Kalbitz muss in der AfD bleiben“.

Die AfD in Sachsen-Anhalt stellte sich hinter Andreas Kalbitz, als der aus der Partei geworfen wurde.
Die AfD in Sachsen-Anhalt stellte sich hinter Andreas Kalbitz, als der aus der Partei geworfen wurde.
dpa

Der „Flügel“ der AfD wurde vom Verfassungsschutz zuletzt als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ geführt. Die Ankündigung seiner Auflösung hat Experten zufolge wenig Gewicht. „Der Flügel ist eine Gesinnungsgemeinschaft, er ist nicht an eine Organisationsform gebunden“, betont der Magdeburger Rechtsextremismus-Experte David Begrich.

Ähnlich sieht das Kirchner: „Diese Flügeltreffen, die wir hatten, die waren eigentlich ein Zusammenschluss aus Menschen, die so denken wie wir“. Mitgliedsnummern habe es nicht gegeben, sagt Kirchner. Gründungspapier des Flügels ist die sogenannte Erfurter Resolution. Kirchner hat sie unterzeichnet. Er verbirgt das nicht. In seiner Kurzbiografie auf der Webseite der AfD-Fraktion, die nur aus drei Sätzen besteht, ist ihm der Verweis auf die Unterzeichnung einen Halbsatz wert.

Hans-Thomas Tillschneider und die „Identitäre Bewegung“

Als einer der zentralen Akteure des „Flügels“ gilt der Landtagsabgeordnete Tillschneider. Von ihm sind zahlreiche Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen dokumentiert. Zeitweise hatte er im einstigen Haus der „Identitären Bewegung“ (IB) in Halle ein Büro.

Mitglied der rechtsextremen Gruppierung war Tillschneider nach eigener Aussage nicht. Er betonte aber in einem Fernsehbeitrag im Jahr 2018: „Wenn ich jetzt noch einmal 25 Jahre wäre, wäre ich vielleicht auch bei den Jungs dabei“. Die AfD hatte eine Zusammenarbeit mit der IB schon vorher mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss grundsätzlich ausgeschlossen. Tillschneider hingegen hatte 2018 erklärt, dass sich das Programm der IB „nicht von den Zielsetzungen der AfD unterscheidet“.

Die Partei hat den Rechtsaußen auf Platz drei der Landesliste gesetzt. Außerdem wurde er im September mit einer Zustimmung von rund 83 Prozent zum stellvertretenen Landesvorsitzenden gewählt. Politische Beobachter sahen darin einen Rechtsruck der AfD Sachsen-Anhalt. Vier Monate später wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz den gesamten Landesverband beobachtet. Damit ist eine nachrichtendienstliche Überwachung möglich. Das Anwerbung von V-Leuten sowie die Überwachung der Kommunikation gehören dazu.

Thema Zuwanderung bleibt vielen Menschen in Sachsen-Anhalt wichtig

Ob das der Partei in der Wählergunst schadet? „Der Abschreckungseffekt dürfte sich in Ostdeutschland in Grenzen halten“, sagt Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler und Forschungsdirektor am Zentrum für Sozialforschung in Halle. Holtmann beobachtet die Parteienlandschaft in Sachsen-Anhalt seit langem. Auch bei der erst vor acht Jahren gegründeten AfD stellt er mittlerweile eine relativ stabile Parteibindung fest. „Der AfD ist es offenbar gelungen, eine Stammwählerschaft aufzubauen“, sagt Holtmann. Als „gefestigt“ würde er diese allerdings nicht bezeichnen.

Bei zurückliegenden Wahlen gelang es der Partei besser als anderen, Nichtwähler zu mobilisieren. Das schaffte sie bei der Landtagswahl 2016 vor allem mit dem Thema Zuwanderung. Vielen Menschen im Land ist das Thema laut Sachsen-Anhalt-Monitor weiterhin wichtig. Bei der Studienfrage, was im Jahr 2020 die drängenden Probleme im Land seien, gaben 16 Prozent der Befragten die Corona-Pandemie an. Schon an zweiter Stelle folgte mit rund 15 Prozent das Thema Zuwanderung.

Regierungskoalitionen mit der AfD nicht in Sicht

Gefragt wurden die Studienteilnehmer außerdem, welcher Partei sie die größte Lösungskompetenz bei den jeweiligen Themen zuschreiben. Beim Thema Zuwanderung landete die AfD mit 21 Prozent auf Platz zwei hinter der CDU (28 Prozent). Beim Thema Corona sahen hingegen nur neun Prozent der Befragten bei der AfD die größte Lösungskompetenz.

Dass die Partei als Teil einer neuen Landesregierung die Probleme lösen muss, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die anderen im Landtag vertretenen Parteien haben eine Zusammenarbeit mit der AfD in der Vergangenheit immer wieder abgelehnt. Auch Kirchner sieht vorerst keine Koalitionsmöglichkeiten für seine Partei, auch nicht mit der CDU: „Ich kann mir eine Koalition mit dieser CDU unter den führenden Köpfen nicht vorstellen“, betont er.

Spitzenkandidat Oliver Kirchner will in den kommenden Wochen des Wahlkampfs klare Kante zeigen gegen die Corona-Politik der Regierung.
Spitzenkandidat Oliver Kirchner will in den kommenden Wochen des Wahlkampfs klare Kante zeigen gegen die Corona-Politik der Regierung.
Foto: dpa