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Landwirtschaft Warum Glyphosat nur Teil des Problems ist

Glyphosat steht in der Kritik. Sachsen-Anhalts Landwirtschaft sucht nach Alternativen und findet Antworten in einem größeren Problem.

Von Christoph Zempel 08.01.2018, 00:01

Magdeburg l Almuth von Bodenhausen steuert ihren Geländewagen durch die Rapsfelder von Brumby. Während der Raps links des Weges sprießt, wirkt er auf der gegenüberliegenden Seite regelrecht kümmerlich. Er ist gestresst, so nennen sie das in der Landwirtschaft.  Um so wenig wie möglich mit Glyphosat arbeiten zu müssen, nutzt die Kartoffelaufbereitungs- und Handels GbR Brumby, geführt von Familie von Bodenhausen, ein anderes Pflanzenschutzmittel. Immerhin steht Glyphosat im Verdacht, krebserregend zu sein und entzieht Kleintieren Nahrungsgrundlagen. Doch statt einer braucht es drei Spritzungen, statt fünf bis acht Euro pro Hektar kostet es rund das Elffache. Ob es umweltfreundlicher ist, bleibt ungewiss.

Hätten sie Glyphosat angewandt, wäre der Raps-Bestand bereits kräftiger. Wenngleich dort mit anderer Fruchtfolge und Pflug gearbeitet wurde, zeigt es doch ein Problem. Es gibt kaum praktikable Alternativen für die konventionelle Landwirtschaft. Denn mit dem Pflug, „kostet die Bodenbearbeitung sogar 70 Euro pro Hektar", sagt Almuth von Bodenhausen. Dabei ist das Pflügen nicht unbedingt umweltschonender. „Es verursacht mehr Erosion, stört das Bodenleben und verbraucht Diesel", erklärt sie. Deswegen habe das Landwirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts es schon vor Jahren gefördert, ohne Pflug zu arbeiten. 

Mit Pflug oder Grubber, Hacke und Striegel, dafür ohne Glyphosat, arbeitet indes die ökologische Landwirtschaft.  Im konventionellen Landbau theoretisch ebenfalls möglich - denkt Öko-Landwirt Gebhard Rusch von der Lindenhof Ökolandbau & Service GbR Möckern. „Seit 20 Jahren bin ich in der ökologischen Landwirtschaft tätig und meiner Erfahrung nach könnte man auf Totalherbizide verzichten", sagt er.

Als Alternative gebe es zum Beispiel den sogenannten „Queckenkiller". Eine Maschine, mit der spezielle Unkräuter bekämpft werden können, die den Kulturpflanzen das Wasser nehmen. Mit allerdings einer Einschränkung: Der finanzielle und personelle Aufwand ist ungleich höher. „Für konventionelle Landwirte wäre das derzeit nicht zu leisten, die Preis- und Personalstruktur ist im Keller", sagt Gebhard Rusch.

Ein Roboter wäre eine weitere Möglichkeit. Der könnte per Kamera Unkraut erkennen und mit mechanischem Stempel das Unkraut so tief in den Boden drücken, dass es keine Konkurrenz mehr zur Kulturpflanze darstellt. Doch das ist eher Zukunftsmusik.

Ganz gleich, wie die Landwirtschaft arbeitet, sie ist immer das letzte Glied in der Nahrungskette. Handel, Verbraucher, Politik – sie geben die Richtung vor, die Landwirtschaft muss sich anpassen. „Der Verbraucher will kostengünstige Nahrungsmittel, der Handel zwingt den Erzeugern Niedrigpreise auf", kritisiert Alexander Rusch, Sohn und Geschäftspartner von Gebhard Rusch.

Und dann wären da noch das Insektensterben und die Artenvielfalt, die immer weiter abnimmt. Neueste Studien stellen fest: Seit 1989 haben Insekten mehr als drei Viertel ihrer Population eingebüßt. Binnen 20 Jahren sank die Anzahl von Vögeln in Europa um 300 Millionen. Die Politik reagierte unter anderem mit Blühstreifen, die an den Feldrändern neue Vegetation schaffen sollen oder Lerchenfenstern, die den vom Aussterben bedrohten Vögeln unbespritzte Stellen sichern sollen, damit sie dort brüten können.   

Als ob man Schusswunden mit Pusten heilen wollte, sagt Helmut Zacharia, Geschäftsführer der Börde-Gärtnerei Erxleben. Und zugleich sind es nur Symptome eines grundlegenden Problems. Ein System, dessen Kern schier grenzenloses Wachstum ist. „Nicht nur wird immer mehr Fläche beackert, sondern es geht auch immer mehr Fläche durch Siedlungsbau verloren", sagt Gebhard Rusch.

Die Flächenvergrößerung macht es den Kleintieren stetig schwerer. „Alles wächst wie Hefeteig, aber was man auch tut, die Natur wächst nicht mit", sagt Helmut Zacharia. Der Saum mit dem Lebensraum für Tiere gehe kaputt, nur damit alles sauber aussehe und noch mehr Ertrag erzielt werden könne, beklagt er. So vernichte man das Netzwerk, über das Kleintiere von einem Biotop in den anderen gelangen. „Die großflächige Landwirtschaft hat viel von den natürlichen Verbundsystemen zerstört", bestätigt Gebhard Rusch.

Auch wegen solcher Probleme spricht Almuth von Bodenhausen beim Glyphosat von einem „Schlaglicht auf einen Punkt, während das Umfeld verdeckt bleibt". „Landwirte müssen mehr kommunizieren, unter welchem Zwang sie stehen", fordert Öko-Gärtner Zacharia deshalb. Denn Verständnis habe er für seine konventionellen Kollegen definitiv. „Es ist klar, dass die Landwirtschaft nicht auf Glyphosat verzichten will. Wenn du 30 Jahre mit Sicherheitsgurt gefahren bist, willst du nicht plötzlich ohne fahren", sagt er. Im ökologischen Landbau bleibe hingegen immer ein Risiko.

Obwohl Glyphosat in Sachsen-Anhalt ohnehin nur punktuell eingesetzt wird, bekräftigt Olaf Feuerborn, Präsident des Bauernverbands Sachsen-Anhalts. Almuth von Bodenhausen bestätigt das. „Wir nutzen Glyphosat auf 30 Prozent unserer 480 Hektar Land großen Fläche, aber nur einmal im Jahr."  

Dennoch, damit Landwirtschaft ohne Glyphosat funktionieren würde, brauchte es Personal. Und das wird kontinuierlich weniger, kostet überdies Geld. „Früher beackerten 500 bis 1000 Leute einen Hektar Land, heute drei oder vier", sagt er. Man dürfe die Natur nicht als Hindernis zwischen sich und dem eigenen Bankkonto sehen, betont Zacharia. Das sehen konventionelle wie ökologische Landwirte so und trotzdem können sie für sich allein die Entwicklung nicht stoppen.

Einig sind sich daher alle: Glyphosat ist nicht das größte Problem. „Wir müssen Landwirtschaft neu denken. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das der Komplexität Rechnung trägt", fordert Öko-Landbauer Gebhard Rusch. Einen runden Tisch wünscht sich auch Öko-Gärtner Helmut Zacharia. Dann müsse geklärt werden: Wie groß darf ein Feld sein, damit das biologische Netzwerk erhalten wird? Wie groß muss ein Feld sein, damit es sich für Landwirte rentiert? Wie kann nachhaltige Landwirtschaft vom Erzeuger bis zum Verbraucher gelingen, ohne dass jemand um seine Existenz fürchten muss? Denn Helmut Zacharia warnt:  „Wie weit wollen wir unter dem Dogma des wirtschaftlichen Arbeitens noch unsere Natur ausbeuten? Die schert sich schließlich nicht um Produktivität." Dafür um Flächen, die ihr überlassen sind.