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Leser helfen  Mit dem Wünschewagen zur Bobbahn

Jutta M. wurde ein letzter Wunsch erfüllt. Die Genthiner Schülerfirma ist Besitzer eines mobilen Verkaufswagens. So half "Leser helfen".

Von Janette Beck 12.07.2019, 01:01

Magdeburg l Noch einmal die Berge und Schnee sehen und auf der Terrasse des bekannten Panorama-Hotels einen Cappuccino trinken. Davon träumte Jutta M. aus Magdeburg. Doch der Krebs machte ihr das Leben schwer, ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Dank der Spendengelder aus der gemeinsamen Aktion der Volksstimme und des Paritätischen „Leser helfen“ konnte der 66-Jährigen dieser letzte Herzenswunsch erfüllt werden. Mit dem „Wünschewagen“ ging es auf die Reise. Das Projekt des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) war mit 8000 Euro aus dem mit insgesamt 37.600 Euro gefüllten Spendentopf unterstützt worden - noch weitere sechs Initiativen wurden gefördert.

Luisa Garthof, die zusammen mit ihrer Kollegin Constanze Dietzold das 2018  in Sachsen-Anhalt gestartete Wünschewagen-Projekt des ASB betreut, hatte die an Lungenkrebs erkrankte Jutta M. bei ihrem letzten, großen Abenteuer begleitet. Und das war es in der Tat für die lebenslustige Magdeburgerin. „Jutta hatte uns im Vorfeld erzählt, dass sie begeisterter Wintersport-Fan sei und mit Leidenschaft und Interesse die Weltcups unterschiedlicher Sportarten im Fernsehen verfolge“, blickt die Projekt-Leiterin auf die Planungsanfänge zurück. „Schnee war von Kindesbeinen ihr Element, und die Tage, die sie selbst auf Skiern unterwegs war, habe man nicht zählen können.“

Und so schnürte das Wünschwagen-Team gemeinsam mit Ronny Knoll vom Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum ein Überraschungspaket für die Krebspatientin. Als es Anfang April losging, schien wie bestellt die Sonne. Mit dem Wünschewagen ging es nach Oberhof – zuerst zur Schanzenanlage im Kanzlersgrund, dann weiter zur Bobbahn. Hier wartete Alexander Rödiger, seines Zeichens Weltmeister und zweifacher Silbermedaillen-Gewinner bei Olympischen Spielen. Der Anschieber hatte nicht nur seine Medaillen mitgebracht, sondern machte Jutta M. auch ein super Angebot: „Wie wär‘s mit einer Probefahrt?“ Angst? Zweifel? „Jutta doch nicht“, erinnert sich Garthof schmunzelnd. Die todkranke Frau habe sich mutig in den Zweierbob gesetzt – und los ging es mit dem Bob-Spezialisten auf der 150 Meter langen Übungsstrecke. Die gleiche Begeisterung löste der Besuch der Skihalle aus. Denn hier konnte die Magdeburgerin mit dem rollstuhlgerechten Skischlitten selbst eine Runde drehen. Garthof: „Das Sport-Programm war ganz nach Juttas Geschmack. Da war nur pure Lebensfreude zu spüren, und die Krankheit war plötzlich ganz weit weg.“

Und am Ende doch so nah: Nur wenige Tage später verlor Jutta M. den Kampf gegen den Krebs. Dass es so schnell ging, gehört zu den Erfahrungen, die das ASB-Team im letztem Jahr oft gemacht hat: 95 Prozent versterben kurz nach der Fahrt mit dem Wünschwagen. Sei es ans Meer, zum Konzert, der Wunsch, einfach nur noch mal nach Hause zu fahren und im Garten zu sitzen oder den ebenfalls in einem Krankenhaus liegenden Ehepartner in die Arme zu schließen, zählt die Projektleiterin auf, wohin die Spendengelder geflossen sind: „Es ist so, als ob viele erst danach loslassen konnten“. So wie Jutta. Bei den Gedanken an sie, lächelt Luise Garthof: „Es war ein bewegender Tag – nicht nur für sie und ihren Mann, sondern für uns alle.“ Sie sehe immer noch ihre strahlenden Augen: „Sie war so glücklich, so dankbar. Ich bin froh, dass wir Jutta den letzten Wunsch noch erfüllen konnten.“

Stille herrscht auch in der Genthiner Sekundarschule „Am Baumschulenweg“, denn es sind Sommerferien. Damit macht auch die Schülerfirma „Kreativ“, in deren Projekt 4100 Euro aus der Aktion „Leser helfen“ geflossen sind, eine schöpferische Pause. Verdientermaßen, denn die Projektarbeit, die unter anderen die Partnerschaft mit der Töpferwerkstatt des Seniorenzentrums Haus „Georg Stilke“ beinhaltet, hat durch die Spendengelder kräftig Schwung bekommen. Der Kurs erfreue sich wachsender Beliebtheit, berichtet Lehrerin Monika Beudt. So floss ein Teil der Gelder auch in Ton, Glasuren, Farben, Gießformen und Werkzeuge für die Töpferwerkstatt des Heimes. Viele der inzwischen neu entstandenen Kunstwerke wurden im letzten halben Jahr von den Schülern auf regionalen Märkten an den Mann gebracht.

Zudem rauchten die Köpfe, denn es ging um die Frage, wie die neuen 20 Schülerfirmen-T-Shirts aussehen sollen. Und nicht zuletzt mussten die Kinder und Jugendlichen selbst Hand anlegen, um ihre Großinvestition zum Laufen - besser gesagt zum Fahren zu bringen. Beudt: „Unser alter Präsentationsstand war unhandlich und fiel fast auseinander. Also haben wir vom Spendengeld einen neuen, mobilen Verkaufsstand gekauft.“

Damit die Schülerfirma auch im neuen Schuljahr in die Vollen gehen kann, musste aufgrund von Abgängen eine neue Leitung her. In Simav Alali (10.  Klasse) und Rosail Bilal (9.  Klasse), beide syrischer Abstammung, habe man eine gute Wahl getroffen, findet die Projektleiterin: „Sie bringen sich bereits seit langem in der Firma ein, sind fleißig, zuverlässig und gehören zu den Leistungsstärksten ihrer Klasse. Ich bin mir sicher, die Mädchen halten das Projekt am Laufen.“

MuT – Mensch und Tier, tiergestützte Therapie (Der Weg e.V. Magdeburg / 4500  Euro): Das therapeutische Angebot für Menschen mit einer seelischen Behinderung oder psychischen Erkrankung konnte dank der Spendengelder ausgeweitet werden. Nach Aussage von Birgit Reichel, Sozialpädagogische Leiterin der Einrichtung, kommen die Therapiehunde Aaron und Amadeo jetzt alle 14 Tage in der Wohneinheit zum Einsatz.

„Ton-Stärke“ Keramik-Café ohne Barrieren (ASZ Bürgerhaus Kannenstieg / 4000 Euro): Hier liegt das Geld noch unangetastet auf dem Konto. Steffi Albers, Leiterin der Einrichtung, erklärt warum: „Wir wollten das Geld nicht verkleckern, sondern etwas Großes damit anschaffen. Geplant ist ein neuer Brennofen für die Töpferei. Wir konnten uns aber noch nicht darum kümmern, weil unser 20-jähriges ASZ-Jubiläum vorbereitet werden musste.“

Mobile Seniorentafel im ländlichen Raum (Gut Priemern / 6000  Euro): Die Stendaler Tafel in Trägerschaft des Sozialtherapeutischen Zentrums Gut Priemern wollte Senioren im ländlichen Raum zu Hause beliefern. Das Projekt kommt aber nur schwer in die Gänge, so dass ein Großteil der Spende noch keine Verwendung gefunden hat. Leiterin Melanie Märtens: „Die Hemmschwelle ist offensichtlich sehr hoch. Ich denke aber, wenn ein oder zwei Bedürftige den Anfang machen, kommt das Projekt richtig ins Rollen.“ 

„Laut & deutlich“ Lautsprecheranlage für gutes Verstehen (Volkssolidarität MD, ASZ Olvenstedt / 4000 Euro): Laut Annika Beck, Pädagogische Mitarbeiterin im ASZ, wurde das Spendengeld wie geplant in ein Mikrofon und zwei Lautsprecher investiert. Die sollen nun bei Veranstaltungen mit den Innenohrprothesen der hörgeschädigten Besucher gekoppelt werden können.

Demenzgarten in der Tagesstätte (Alzheimergesellschaft Sachsen- Anhalt / 7000 Euro): Nach Auskunft von Jeannette Böhm, Leiterin der Beratungs- und Betreuungsstätte, wurden neben vielen neuen Blumen und Kräutern auch ein Pavilion sowie Gartenmöbel angeschafft. Das geplante zweite Hochbeet ist in Arbeit und soll noch im Herbst erblühen.

Alles rund um die Aktion "Leser helfen" gibt es hier in einem Dossier.