Nur wenige in Möckern hoffen noch, dass die Verantwortlichen gefunden werden. Von Winfried Borchert und Stephen Zechendorf Müllskandal: Am Ende zahlt der Bürger
Seit Frühjahr 2008 beschäftigt der Müllskandal im Jerichower Land Ermittler, Politiker und Staatsanwälte im Land. Mit der ersten Anklage gegen vermeintliche Drahtzieher beginnt jetzt die juristische Aufarbeitung.
Magdeburg l Bereits lange bevor der Müllskandal im Jerichower Land öffentlich wurde, waren Behörden und Ämter informiert. Schon in den 1990-er Jahren hatten sich besorgte Anwohner immer wieder über den von den Tongruben in Möckern und Vehlitz ausgehenden Gestank beschwert, hatten über Fahrzeuge mit verdächtiger Fracht berichtet und einen Stopp der Transporte gefordert.
Doch lange Zeit passierte nichts. Der Landkreis Jerichower Land und das zuständige Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) erklärten, mit den Lkw-Lieferungen in die Tongruben habe alles seine Ordnung. Das Gesetz erlaube eine Verfüllung der ausgebeuteten Tongruben.
"Man hat uns als Querulanten abgewimmelt."
"Man hat uns Bürger einfach nicht ernst genommen", sagt Helmut Unger aus Möckern. "Mehr noch, Einwohner wurden vom Landesbergamt regelrecht als Querulanten abgestempelt und abgewimmelt."
Als sich im Jahr 2007 die Lkw-Transporte massiv häuften, gab es erste Anfragen im Kreistag des Jerichower Lands und Anzeigen. Im Februar 2008 konnten die Einwohner einen ersten Erfolg verbuchen: Der Umweltzug der Feuerwehr im Landkreis nahm, alarmiert wegen der Vermutung austretender Giftgase, Messproben in einigen Tiefbrunnen auf der Deponie Möckern und wurde fündig. Im Grundwasser wurden unter anderem stark erhöhte Blausäure-Werte festgestellt.
"Die Ergebnisse hat das Landesbergamt aber mit dem Hinweis abgetan, die Messtechnik der Feuerwehr sei ungenau", erinnert sich Unger.
Im März 2008 berichtete das ZDF-Magazin "Frontal 21" über die Zustände auf der Deponie im benachbarten Vehlitz und zeigte dabei Ausschnitte eines Videos, das Umweltaktivisten heimlich nachts auf dem Deponiegelände aufgenommen hatten. Dabei war zu sehen, wie einer der Akteure mit der Hand knapp unter der Erdoberfläche Abfallreste findet, wie sie auch Hausmüll enthält. Vom Fernsehteam befragte Experten schätzten ein, dass es sich um organische Abfälle mit hohem Kunststoffanteil handele, vermutlich geschredderter Haus- oder Gewerbemüll. Dessen Einlagerung auf Tongruben ist seit 2005 verboten, er gehört laut Gesetz in eine Müllverbrennungsanlage.
Befragt zu den Vorgängen räumte Umweltministerin Petra Wernicke (CDU) ein, dass in ihrem Ministerium der Verdacht der illegalen Müllentsorgung in der Tongrube Vehlitz bereits seit Oktober 2007 bestehe. "Frontal 21" zitierte die Ministerin mit einem brisanten Vorwurf an das Wirtschaftsministerium: "Wir haben das Landesamt für Umweltschutz dort hingeschickt, um eine unvorbereitete, unangekündigte Kontrolle durchzuführen. Das ist erfolgt, und die Probenentnahme hat ergeben, dass dort tatsächlich gegen geltendes Recht verstoßen worden ist."
Wernicke erklärte, sie habe daraufhin gegenüber dem für die Bergaufsicht zuständigen Wirtschaftsministerium die Stilllegung der Grube gefordert, bislang allerdings erfolglos. "Das Ergebnis der Kontrolle lag am 1. Oktober 2007 vor. Daraufhin ist das Wirtschaftsministerium zum Handeln aufgefordert worden durch mein Haus und ist am 30. November ins Haus gebeten worden, weil wir feststellen mussten, dass man zögerlich an das Handeln herangegangen ist."
Wirtschaftsminister war seinerzeit der heutige Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Der wies die Vorwürfe seiner Kabinettskollegin zwar zurück. Kurz darauf aber feuerte Haseloff den Chef des Landesbergamtes, Armin Forker.
Kurz darauf wurden alle weiteren Einlagerungen gestoppt, knapp drei Monate später beschloss der Landtag mit den Stimmen der Oppositionsfraktionen Linke und FDP die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Untersuchungsausschuss tat sich schwer
Der tat sich schwer, die politischen Verantwortlichkeiten herauszufinden, machte aber die zwischen diversen Landes- und Kommunalbehörden zersplitterten Verantwortlichkeiten für Mülldeponien, Sortier- und Entsorgungsanlagen sowie Kies- und Tongruben als eine Ursache aus, warum die Drahtzieher des Müllskandals jahrelang unbehelligt blieben.
Klar wurden indes die Strukturen, mit deren Hilfe die Organisatoren des Müllskandals jahrelang glänzend verdienten: In einer Sortieranlage in Rietzel, betrieben von der Sporkenbach Ziegelei GmbH Möckern, wurden Abfälle zur Entsorgung angeliefert, geschreddert und zum Teil später mit Bauschutt oder Erde vermengt. Das Gemisch oder auch bloßer Abfall wanderten dann in die Tongruben und wurden mit Erde überdeckt. Alles andere als eine geordnete Deponie. Weil der Müll unterirdisch unkontrolliert verfault, bilden sich zunehmend Gase, die ungefiltert an die Oberfläche dringen. Zugleich besteht die Gefahr, dass Giftstoffe aus dem Abfall in den Boden und unterirdische Wasserströme gelangen.
Politische Folgen hatte der Untersuchungsausschuss dennoch, aber anders als vermutet.
In die Kritik geriet zunehmend Lothar Finzelberg, der parteilose Landrat des Jerichower Lands. Vorwürfe wurden laut, Finzelberg habe am Müllskandal mitverdient, indem, er gegen Schmiergeld Genehmigungen ausstellte. Die Staatsanwaltschaft Stendal ermittelt gegen den Landrat, unter anderem wegen Bestechlichkeit. Finzelberg beteuert seine Unschuld und sieht sich von der Landesregierung zum Sündenbock gemacht. Seine wiederholte Ankündigung, er werde "auspacken" und Regierungsmitglieder belasten, blieb bisher eine leere Drohung.
Vor dem Amtsgericht Burg verantworten muss er sich zurzeit aber aus anderem Grund: Wegen Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss. Dort hatte er erklärt, die Aussagen von Mitarbeiterinnen seiner Verwaltung nicht zu kennen. Später gab es Indizien für das Gegenteil.
Pikant: Ausgerechnet Jürgen Stadelmann, Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss, hatte Finzelberg heimlich mit Akten aus dem Ausschuss versorgt, so dass dieser sich für seine Aussage im Mai 2009 präparieren konnte. Stadelmann, zwischenzeitlich zum Umwelt-Staatssekretär aufgestiegen, verlor im April 2011 sein Amt.
Am Ende bleiben die Fragen, wie die auf kriminelle Weise aufgetürmten Umwelt-Altlasten in Möckern und der weitaus größeren Grube in Vehlitz beseitigt werden und was das kostet.
Das Landesbergamt LAGB hat einen Plan ausgearbeitet, die Gruben abzudichten und die in den nächsten 20 Jahren entstehenden Gase abzufackeln. Nach Angaben von Amtssprecher Bodo Carlo Ehling lägen die Arbeiten in Möckern im Plan.
In der Grube Vehlitz gibt es nach Angaben der Bürgerinitiative Möckern dagegen Probleme.
Die Arbeiten dürften wohl 25 bis 50 Millionen Euro kosten.
Die Idee, den gesamten Müll auszubaggern und zu verbrennen, wurde aus Kosten- und Sicherheitsgründen verworfen.
Sicher ist, wer die Kosten tragen muss: der Steuerzahler. Denn die illegal gescheffelten Gelder sind verschwunden. "Dass die Verantwortlichen für den angerichteten Schaden aufkommen werden, glaubt hier kaum noch jemand", sagt Helmut Unger.