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Musik Zwischen Beats und Taktstock

Theodor Striese vom Landesgymnasium für Musik in Wernigerode wird Musikproduzent in Berlin.

Von Julia Bruns 08.04.2018, 01:01

Wernigerode l Er trägt Anzüge, komponiert erfolgreich Elektromusik und dirigiert ganze Orchester – Theodor Striese ist ein bisschen anders als andere 18-Jährige. Der Schüler des Musikgymnasiums in Wernigerode geht im Sommer nach Berlin, um Musikproduzent zu werden.

Er singt Schuberts „Winterreise“, erhebt im Rundfunk-Jugendchor seine Stimme zu Volksliedern und lateinischer Chorliteratur und er dirigiert ganze Staatsorchester – doch in seiner Freizeit schlägt Theodor Striese ganz andere Töne an. Der 18-jährige Schüler des Landesgymnasiums für Musik in Wernigerode komponiert elektronische Musik. „Ich habe damit in der fünften Klasse angefangen“, erinnert sich der junge Mann, der aus Salzgitter kommt und seit einigen Jahren in einer kleinen Wohnung in Wernigerode lebt, um das Landesgymnasium zu besuchen.

Schon als Kleinkind klimperte er begeistert auf dem Klavier herum. Mit elf Jahren entwickelte der junge Mann schließlich eine Affinität für professionelle Musikproduktion. „In meiner Freizeit habe ich mich in ein spezielles Programm für Musikproduzenten reingefuchst“, sagt er. In der neunten Klasse hielt er einen Vortrag über sein Lieblingsprogramm – und wie der Zufall es wollte, arbeitet der Sohn einer Lehrerin bei eben jenem Unternehmen.Ein wertvoller Kontakt für Theodor Striese. Er absolvierte ein Praktikum bei der Berliner Firma „Ableton“, und seit zwei Jahren darf er als professioneller Produkttester die neuesten Programmversionen auf Herz und Nieren prüfen.

Vor fünf Jahren stellte er seinen ersten durch und durch selbst komponierten Titel fertig. „Wenn ich ihn heute höre, muss ich mit dem Kopf schütteln“, gesteht er. „Mir fallen zig Fehler auf.“ Mittlerweile habe er sich einen festen Arbeitsablauf angeeignet: So legt er unter anderem Stücke einige Tage zurück, um sie später unvoreingenommen zu hören und weiter daran zu arbeiten.

Ob plätscherndes Wasser, das Geräusch, wenn er zur Schule geht, eine Kuhglocke, Waldrauschen, Klopfen auf der Tischplatte oder das Gluckern beim Kaffeekochen – Theodor Striese entdeckt die Schönheit der Musik auch in ungewöhnlichen Klängen und vor allem an ungewöhnlichen Orten. Er nimmt sie mit einem Aufnahmegerät auf und verarbeitet sie in seinen Titeln. Dabei legt er mehrere Lagen an Klangschichten übereinander, verschmilzt die Geräusche, Instrumente, Bässe miteinander.

Die musikalische Ausbildung an der Spezialschule, die den Schwerpunkt auf Chormusik legt, nützt ihm dabei auch in der Musikproduktion: So spielt er für seine Titel ganze Sequenzen am Klavier ein. Daneben beherrscht er Elektrobass, Geige und Indianerflöte. All diese Instrumente nutzt er für seine Kompositionen. Ungerade Taktzahlen, Synkopen und ausgefallene Rhythmen reizen ihn. „Dadurch entsteht ein sehr individueller Sound. Ich finde es hochspannend, mit eigenen Audioaufnahmen zu arbeiten“, sagt er.

„Meine Musik ist sehr experimentell, nicht das, was sich jeder alltäglich anhören würde.“ Was er produziert, ist keine Musik zum Tanzen und Loslassen. Es sind Titel zum Träumen und Sinnieren, zum Entdecken und Suchen.

Seine Titel lädt er unter dem Alias „Rottheo“ auf der Soundcloud (zu deutsch Klangwolke) hoch, einer Plattform im Internet, wo sie jedermann kostenfrei hören kann. „Dort sind andere Produzenten auf mich aufmerksam geworden. Mit einem New Yorker tausche ich mich seitdem regelmäßig über die Musik aus“, sagt er. „Das ist keiner, der alles nur toll findet. Er gibt mir ehrliches Feedback, was sehr viel wert ist.“

In seiner Wohnung in der Kochstraße, in der er seit der zehnten Klasse alleine wohnt, hat er sich ein kleines Studio eingerichtet. Mittlerweile komponiert er dort zielgerichtet für Aufträge. Stücke anderer Musiker mischt er ab, gibt ihnen gegen ein kleines Honorar den letzten Schliff.

Ob bei all dem nicht die Schule auf der Strecke bleibt? Immerhin ist er dort mit zahlreichen Spezialfächern wie Musiktheorie, Musikgeschichte, Stimmbildung und den Chorproben auch nachmittags stark ausgelastet. Das Abitur will auch vorbereitet werden. „Ich lege nicht so viel Wert auf Schule, weil ich der Meinung bin, jeder kann für sich selbst am besten lernen“, sagt der Salzgitteraner. Theodor Striese ist kein Musterschüler, das weiß er allemal. „Allerdings ist mir sehr bewusst, dass ich an einem normalen Gymnasium nicht diesen Weg eingeschlagen hätte“, sagt er. „Am Musikgymnasium wurde ich immer unterstützt. Besonders mein Stimmbildungslehrer Bertram Zwerschke hat mich darin bestärkt, meinen Weg zu gehen.“

Er hat über die Jahre eine Faszination für die Welt der Klangästhetik entwickelt und beschäftigt sich intensiv mit Künstlern wie John Cage. „Was ist Musik? Diese Frage versuche ich für mich zu beantworten“, erläutert er. „Ich habe für mich ein Schema aufgestellt mit Eigenschaften, die Musik kennzeichnen: Melodik, Harmonik, Textur zum Beispiel.“ Auf die Textur, die Beschaffenheit und Tiefe der Komposition, lege er bei seinen eigenen Werken besonders großen Wert.

Der junge Mann, der wie selbstverständlich im Anzug zur Schule geht, hat sein Ziel immer im Blick: Wenn er sein Abitur im Sommer in der Tasche hat, will Theodor Striese nach Berlin ziehen, um dort am renommierten Abbeyroad Institute ein Diplom in Music Production and Audio Engineering (Musikproduktion und Audio-Ingenieurwesen) zu machen. Die Aufnahmeprüfung hat er bereits bestanden. Danach strebt er an, möglicherweise noch Filmmusik/Komposition/Dirigieren zu studieren.

Noch ist er hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Musikproduzent zu werden und einer aussichtsreichen Zukunft als Orchesterleiter: Denn jetzt schon wirkt der junge Mann, der das Genius eines Johann Sebastian Bach bewundert, in der Komponistenklasse des Landes Sachsen-Anhalt mit, schreibt dort Kammermusik und arbeitet mit bekannten zeitgenössischen Lehrern und Mentoren zusammen. Im vergangenen Jahr gewann er den ersten Preis und Verlagspreis im Jugend-Kompositionswettbewerb Sachsen-Anhalt, durfte das Staatsorchester Braunschweig beim Theaterfest zu „In der Halle des Bergkönigs“ aus Peer Gynt dirigieren. Es war nicht sein erster Erfolg als seriöser Komponist: Schon 2013 und 2014 gewann er den Kompositionswettbewerb des Landes.

Seine Eltern finden es gut, dass ihr Sohn Musik produziert. „Weil ich davon auch einen Teil meines Lebensunterhaltes bestreite“, sagt er. Dabei höre sein Vater persönlich lieber AC/DC statt elektronischer Musik und seine Mutter sei ein begeisterter Jazzfan. Musikproduktion ist nicht der einzige Job, dem der Gymnasiast neben der Schule nachgeht: Mit seinen Eltern und dem kleinen Bruder hat er vor Kurzem eine eigene Immobilienfirma gegründet.

Klangproben gibt es hier.