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Nach Ausstieg Burkhard Lischka zieht Bilanz

Burkhard Lischka zieht sich aus der Politik zurück. Mit ihm verliert Sachsen-Anhalt seinen profiliertesten Vertreter in Berlin.

Von Steffen Honig 04.10.2019, 01:01

Berlin l „Time to say Goodbye“, twittert Burkhard Lischka am Mittwochmorgen der Vorwoche aus dem Bundestag. Dazu stellt er ein Foto, das ihn lächelnd zusammen mit dem gleichfalls fröhlichen Innenminister Horst Seehofer zeigt.

SPD-Mann Lischka und CSU-Grande Seehofer – beste Freunde? Die Antwort auf diese Frage, die Lischka zwei Stunden später in seinem Arbeitszimmer gibt, sagt viel über den Stil, mit dem der geborene Sauerländer Politik betreibt.

Seehofer, meint Lischka, sei zu seinem Missfallen am Anfang in der Bundeshauptstadt eingeritten „wie ein bayerischer König“. Es gab Streit, ausgetragen auf offener Bühne im Bundestag. Näher gekommen seien sie sich in der weiteren innenpolitischen Arbeit: Er habe Seehofer menschlich schätzen gelernt.

„Horst Seehofer hat für einen Unionspolitiker ein erstaunliches soziales Gewissen“, bekennt Lischka. Sie werden sich wiedersehen: Der künftige Notar will seine Magdeburger Gesprächsreihe „Lischka trifft“ fortsetzen. Horst Seehofer hat als Gast schon mal zugesagt.

Das Format ist seit Jahren eine feste Größe im politischen Leben der Elbestadt. Vor allem, weil der Chef-Innenpolitiker der SPD im Bundestag Vertreter der ersten Reihe der deutschen Politik auf seiner Couch hatte – beileibe nicht nur aus seiner Partei. Ex-Präsident Christian Wulff war da, Linken-Ikone Gregor Gysi und ziemlich alles, was in der SPD wichtig war und ist. Auch der damalige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen diskutierte 2016 mit in Magdeburg. Damals noch Randfigur, füllt Maaßen heute selbst Säle. Nur sitzen keine Freunde der SPD mehr drin.

Es hat sich einiges geändert im Land. Auch für Lischkas Partei, die SPD. In Sachsen-Anhalt ging es nach dem verheerenden Rutsch nach unten bei der letzten Landtagswahl 2016 um die Existenz. Die Landesvorsitzende Katrin Budde musste gehen, Lischka übernahm – Resultat einer quälenden, auch sehr persönlichen Auseinandersetzung.

Das ist nicht vergessen, aber überwunden, sagen beide, die seit der letzten Wahl als Bundestagsabgeordnete eine Bank im Plenarsaal teilen. „Es ist nicht so schlimm, wenn man sich mal streitet. Ansonsten war es immer eine verlässliche, angenehme Zusammenarbeit“, sagt Budde. „Sie beherrscht das politische Handwerk. Was sie an Kulturmitteln für Mitteldeutschland zusammengebracht hat, ist außerordentlich“, sagt Lischka.

Mit der Bundes-SPD geht er weniger pfleglich um. Insbesondere die Art und Weise, wie die Partei mit ihren Vorsitzenden verfährt, hält Lischka für verhängnisvoll. „Ich bin nicht unbedingt im Fanclub von Andrea Nahles. Aber wie man ihr vom ersten Tag das Leben im Amt schwer gemacht hat, ja sie förmlich weggeschossen hat, finde ich menschlich schäbig.“

Lischka hat eine gute Nase für Stimmungen und deren (häufige) Umschwünge in der SPD. Es zahlt sich aus, wenn er sich bei Bundesparteitagen auch ohne Delegiertenkarte sehen lässt.

Er könnte für die Sozialdemokratie weiter einiges bewegen, seine Vorstellungen vom Miteinander in der Partei und der Republik in der oberen SPD-Ebene einbringen. Das will er aber nicht mehr.

„Es war für mich eine grundlegende Entscheidung, entweder bis zur Rente in der Politik zu bleiben oder in den Beruf zurückzukehren“ – mit dieser Begründung gab er im Januar den überraschenden Rückzug aus der aktiven Politik bekannt. Die Ankündigung gab Anlass zu allerlei Spekulationen und Vorwürfen. Der häufigste: Ausgerechnet jetzt, wo der SPD im freien Umfrage-Fall schwindlig werde, mache er sich davon.

Es kann hier bezeugt werden, dass Lischka immer betont hat, Politik nicht auf Dauer betreiben zu wollen und zu müssen. Mit diesem Argument, erzählte er einmal beiläufig, habe er sich immer Sigmar Gabriel vom Leibe gehalten, wenn der ihn mit ultimativen Forderungen bearbeitete. Außerdem hätte Lischka vor drei Jahren, als die Sozialdemokratie in Sachsen-Anhalt ihre deftigste Niederlage seit der Wende bezog, ohne jede Rechtfertigung gehen können.

Doch es hielt sich der Verdacht, Lischka habe für den Absprung nur auf eine der raren und lukrativen Notarstellen gewartet. Eine solche besetzt er nun in Haldensleben.

Spurlos vorbeigegangen ist das Geraune am Sauerländer, der sich mit Arbeitstagen bis 22, 23 Uhr für seine Partei im Bundestag und die der Börde eingesetzt hat, nicht. „Das bedrückt mich schon. Diese Interpretation bereitet mir ein schlechtes Gewissen.“

Auch eine ganz andere Variante wurde kolportiert: Lischka wolle den Rücken frei haben, um 2021 den Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper ablösen zu können.

Das findet der so Verdächtigte eher schräg. „Ich habe nicht die Absicht, Lutz Trümper zu beerben.“ Lischka meint – bei aller Zurückhaltung in dieser heiklen Frage – dass sich Magdeburg in den vergangenen 30 Jahren besser entwickelt habe als Halle. Dies liege vor allem an der kontinuierlichen Arbeit der Oberbürgermeister, von denen es mit Willi Polte und Lutz Trümper nur zwei gab.

Kommunalpolitik, Stadtrat – bei diesem Thema blüht Lischka auf. Er ist seit 2004 gewählter Volksvertreter in der Landeshauptstadt. „Das hat mir immer Spaß gemacht.“ Aus seinen kommunalpolitischen Erfahrungen hat er auch Nektar für den Bundestags-Wahl- kreis gesaugt. Zehn Jahre lang war er von Magdeburg-Rothensee bis Barby auf Achse, kennt Hinz und Kunz und deren Sorgen. Legendär sind seine Kuchen-Besuche bei Wählern, bei denen er mit hunderten Leuten am Kaffeetisch plauderte.

Nun hätte der Quereinsteiger versuchen können, sich ganz nach oben in der Partei zu kämpfen. Noch kann die SPD Staatssekretärs- und Ministerposten vergeben. Lischka winkt ab: „Ich habe mich nie beworben und nach vorn gedrängt, wenn es um Funktionen ging“, sagt der 54-Jährige. „Mir fehlt dafür das Alpha-Gen. Ich bin eher der Berater der zweiten und dritten Reihe.“ Für die erste Reihe seien dagegen Machtwille, Instinkt und Trickreichtum vonnöten.

Die Bundestagsjahre, verbunden mit dem Engagement im Land, sind gesundheitlich nicht spurlos am SPD-Politiker vorbeigegangen. Er habe sich einen Schutzmantel zugelegt und doch kurz vor dem Burnout gestanden, sagt Lischka: „Der Akku war einfach leer.“ Der Zeitaufwand forderte anderweitig Tribut: Seine Tochter ist hoffnungsvolle Kanutin. Lischka wollte zu einem wichtigen Rennen kommen. Zu spät: Die 14-Jährige war schon im Ziel. An dieser persönlichen Niederlage trägt der Politiker schwer.

Die Landes-SPD beschäftigt derzeit die Lischka-Nachfolge, auch die Bundespartei ist mal wieder auf Vorsitzendensuche. Wer ist geeignet? Lischka hat da eine klare Meinung und sagt sie: „Boris Pistorius ist als früherer Bürgermeister von Osnabrück ein hemdsärmliger Anpackertyp, mit Petra Köpping wäre der Osten sehr gut vertreten.“

In eben jenen Osten ist Lischka ist als junger Mann gekommen. Hier hat er Karriere gemacht. Er bezeichnet sich als typischen „Wossi“. Ein großer Teil seines Freundeskreises seien Ostdeutsche.

Obwohl er denkt, dass sich die Deutschen nach 30 Jahren in einem Staat nähergekommen seien, als sie manchmal meinten, macht er in seiner Generation noch beträchtliche Unterschiede aus. Bei seinen Kindern sei das anders. Ostdeutsche hätten beispielsweise ein größeres Gerechtigkeitsempfinden. Sie redeten nicht lange um den heißen Brei herum.

Die enormen Änderungen, die seit der Wende zu bewältigen waren, machen für Lischka den Unterschied in den AfD-Resultaten von 15 Prozent in Baden-Württemberg und 24 Prozent in Sachsen-Anhalt bei den jeweiligen Landtagswahlen aus.

Katalysator für diese Ergebnisse war die Flüchtlingskrise 2015. Ihre Bewältigung fiel auch in das Arbeitsfeld des innenpolitischen Sprechers der SPD. Was ist aus dem dramatischen Herbst vor vier Jahren zu lernen? Burkhard Lischka: „Es gibt Grenzen der Aufnahmefähigkeit, die man nicht verschieben kann.“ Und: „Ohne einen starken Staat funktioniert es nicht. Der muss Regeln durchsetzen und das kontrollieren.“ Dadurch, dass es einen wochenlangen Kontrollverlust gegeben habe, sei viel Vertrauen verspielt worden. Inzwischen seien die Dinge wieder geordnet. „Wenn die staatliche Maschinerie in Deutschland läuft, dann ist sie sehr effektiv.“

Um die Maschinerie zumindest richtig zu ölen, ist für ihn die SPD in Deutschland unverzichtbar. Lischka hängt an seiner Traditionspartei, weil sie in der Lage sei, die „Dinge zusammenzubringen“, wie aktuell bei Klimaschutz. Getreu dem Credo: „Wirtschaftlich den Starken auf die Füße treten und die den Schwachen hin und wieder auf die Füße helfen.“

Trotz Lischkas ungebrochenen Eifers muss der SPD-Kreisvorsitzende in der Börde nicht um seinen Posten bangen: Der Aussteiger macht die Politik erst mal zur Nebensache. Gilt das für immer? „Schaun wir mal!“