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Nationalpark Harz Als Besucher auf den Spuren der Langohren

Das Harzer Nationalparkzentrum in der Brockenmoschee, dem früheren Stasi-Abhörzentrum, will sich mit einer Modernisierung voranbringen.

Von Dennis Lotzmann 07.07.2018, 01:01

Brocken l Heinz-Peter Roßmann und Klaus Krebs sind früher mal Kollegen in der Metallbranche in Halberstadt gewesen. Nach der Wende verschlug es Krebs und seine Frau Susanne jobbedingt gen Westen. Heute sind sie im Bergischen Land verwurzelt, der Kontakt zu den Freunden in der alten Heimat ist freilich nie abgerissen. Im Gegenteil: Roßmann und dessen Frau Marita freuen sich regelmäßig über Besuch und stehen dann vor der naheliegenden Frage: Was unternehmen im Harz?

Diesmal war die Antwort darauf ziemlich einfach. Das Nationalparkzentrum im Brockenhaus – dem einstigen Abhörstützpunkt des DDR-Geheimdienstes hoch oben auf dem Berg – hat vor wenigen Tagen die Ziellinie bei der ersten Etappe der Neugestaltung der Ausstellung erreicht. Grund genug für das Quartett, 29 Jahre nach Mauerfall und friedlicher Erstürmung des Brockens am 3. Dezember 1989 zum Gipfelsturm mit geschichtlicher Zeitreise zu starten.

Die beiden Familien sind an diesem Vormittag in guter Gesellschaft und werden auf der gerade sanierten Aussichtsplattform des Brockenhauses mit einer traumhaften Aussicht belohnt.

Letztere war vor gut drei Jahrzehnten wenigen „Langohren“ des DDR-Geheimdienstes vorbehalten. Das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) stampfte zwischen 1983 und 1986 das kastenförmige Gebäude mit jenem Radom aus dem Boden. Unter der Kuppel, die aus glasfaserverstärktem Kunststoff und unter strengster Geheimhaltung in den Filmstudios in Potsdam-Babelsberg gefertigt wurde, waren Antennen und Abhöranlagen installiert. Und: Jenes Radom verhalf dem heutigen Brockenhaus zum Spitznamen Brockenmoschee.

Facetten, die dem Gebäude – stasiinterner Deckname „Urian“ – bis heute anhängen und die das Team um Christoph Lampert nun verstärkt in den Focus rücken will. Allein der Codename „Urian“ steht für sich und hat historischen Bezug zum Brocken. Goethe gab einst einem Teufel in seinem „Faust“ diesen Namen. Den Stasi-Leuten war offenbar bewusst, welch‘ teuflischem Werk sie hier oben nachgingen, als sie unter anderem Telefonate von BRD-Altkanzler Helmut Kohl (CDU) sowie NATO, Bundeswehr und anderen westdeutschen Sicherheitsbehörden abhörten.

Die innerdeutsche Teilung und die gegenseitige Bespitzelung samt der eingesetzten Technik – beides wurde in der Brockenmoschee im Rahmen der Ausstellung bislang irgendwie mit thematisiert – sollen nun im Radom und in der dritten Etage modern und anschaulich thematisiert werden.

Obwohl offiziell bereits eingeweiht, laufen noch die letzten Arbeiten, fehlen vor allem im rund 120 Quadratmeter großen Radom noch Exponate wie Abhörantennen und -technik. Ein großer Parabolspiegel, auf den unterschiedliche Formen von Spionage- und Abhörantennen projiziert werden, lässt aber erkennen, wohin die Reise gehen wird: Ein Museum – teilweise zum Anfassen, vor allem aber für Augen und Ohren.

Letztere sind im Radom schon gefragt, wenn Zeitzeugen zu Wort kommen. DDR-Grenzer, die hier oben bei zuweilen widrigen Witterungsbedingungen Dienst schoben, berichten ebenso wie Gustav Witte, der über Jahrzehnte als Funkmonteur die Ausstrahlung von Rundfunk und Fernsehen abgesichert hat. Oder Ingo Nitschke, seit 1980 Meteorologe in der Wetterwarte der damals hermetisch abgeschotteten Gipfelkuppe. Er erinnert an jenen 3. Dezember 1989, als die Menschen das eingemauerte Gipfelplateau stürmen wollten und er zusammen mit seiner Frau an der Wetterwarte ein Laken mit der Forderung „Mauer weg“ enthüllte. Diesseits wie jenseits von Mauern wollten die Menschen damals deren Fall.

Das Nationalpark-Besucherzentrum erfährt mit der Neugestaltung von Radom und der darunter liegenden dritten Etage eine Verjüngung, die längst überfällig war. „Im Schnitt“, sagt Leiter Christoph Lampert, „muss man alle fünf Jahre inhaltlich überarbeiten, soll ein Museum seine Magnetwirkung behalten und nicht veralten.“

Bislang wurde die Ausstellung in der Moschee im Kern gezeigt wie seit der Grundsanierung des Hauses im Jahr 2000. Damals wurde ein Teil des Quaders geöffnet und das einst selbst auf dem Brocken streng abgeschirmte Stasi-Gebäude mit Licht geflutet. Ein Schritt, der kurzzeitig eine einmalige Chance mit sich brachte, die Lamperts Vorgänger Gerd Borchert zu nutzen wusste. Damals wurde ein tonnenschweres Mauersegment ins Erdgeschoss „gezaubert“.

Die Mauer und die deutsche Teilung sind bis heute tragende Elemente der Ausstellung, die letztlich auf vier Säulen fußt: Im Erdgeschoss wird an die Geschichte des Sehnsuchtsbergs erinnert. Dichter sind ebenso Thema wie der Bau der Brockenbahn oder eben die spätere Teilung, für die der Brocken geradezu exemplarisch steht. Dazu gehören auch DDR-Grenzer und Beamte des Bundesgrenzschutzes, die sich an der Nahtstelle von Warschauer Pakt und NATO gegenüberstanden.

In Etage zwei rücken die bundesweit 16 Nationalparks und speziell der Harzer mit seinem Ansinnen und der Tier- sowie Pflanzenwelt in den Fokus. In der neu gestalteten dritten Etage sowie im Radom stehen Teilung und gegenseitige Bespitzelung im Mittelpunkt. Eigens dafür wurde ein Stück Mauer nachempfunden – mit Sichtschlitzen in beiden Richtungen. Aus West-Perspektive sind DDR-Grenzer auszumachen, die den Westen scannen.

Ermöglicht wurde die Neugestaltung mit 500.000 Euro, die dem Nationalparkzentrum aus der letzten Tranche der Mauerfonds-Gelder zuflossen. Diese Mittel stammen aus dem Verkauf von Grenzgrundstücken.

Wobei die teilweise Neugestaltung der Ausstellung nur eine Facette ist. Das frühere Stasi-Gebäude, das dem Land gehört, ist in den vergangenen zwei Jahren saniert worden. Ein Grund waren Feuchtigkeitsschäden im Bereich des Radoms. Die Sanierung und die umfassende Erneuerung der Aussichtsplattform wurden mit dem Einbau eines zweiten Fluchtwegs aus dem Radom verbunden. „Für uns war das gewissermaßen die Initialzündung, um auch die Ausstellung in diesem Bereich zu überarbeiten“, erklärt Brockenhaus-Geschäftsführer Lampert.

Letztlich bekomme die jüngere deutsche Geschichte samt Mauer und Bespitzelung damit die verdiente Beachtung. Wobei die Bespitzelung im Harz einst auf Gegenseitigkeit beruhte. Während Stasi und sowjetische Armee vom Brocken aus Hunderte Kilometer weit und teilweise mit Westtechnik den Westen abhörten, spitzten in Sichtweite auf dem Wurmberg, dem Ravensberg und am Stöberhai die Westmächte und der Bundesnachrichtendienst die Ohren.

Aspekte, die dem Brockenhaus heute übrigens ein Alleinstellungsmerkmal bescheren: „Ich kenne weltweit kein Nationalparkzentrum, das in einem früheren Geheimdienst-Gebäude untergebracht ist“, sagt Nationalparksprecher Friedhart Knolle. Ein Markenzeichen, das letztlich in eine Frage mündet: Warum hat es die Brockenmoschee mit diesem geschichtlichen Hintergrund als Landesimmobilie noch nicht auf die Denkmalliste geschafft?

Fragen, die Janina-Stella Ernst ziemlich wurscht sind. Die Achtjährige stammt aus Gera und verbringt gerade mit Oma Rita im Harz ihre Ferien. Die beiden haben in der Jugendherberge Schierke – ehemals Ferienheim für Offiziere der DDR-Armee – Quartier bezogen und sich heute für eine Tour rauf zum Brocken entschieden. „Toll“, ruft die Achtjährige, als sie eingangs der Ausstellung auf dem Hexenbesen zur Rundflug-Animation über den Harz startet. Andächtig lauscht sie im nächsten Raum den Worten ihrer Oma, die versucht, der Enkelin kindgerecht die damalige Dramatik zu verdeutlichen. Ob Janina schon was mitgenommen hat? „Abwarten“, meint die Oma. „Der Brocken ist schließlich immer wieder einen Besuch wert.“ Was Christoph Lampert gern hört. Im kommenden Jahr soll übrigens die Ausstellung in der ersten Etage des Zentrums überarbeitet werden, um die Anziehungskraft zu erhalten. „Danach erleben die Besucher ein zu 80 Prozent überarbeitetes Haus“, verspricht er.