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Verstoß gegen tarifliche Vorschriften Neue Vorwürfe gegen Halles suspendierten OB Wiegand: Hat er einer Angestellten mehr bezahlt, als erlaubt?

Das Landesverwaltungsamt weitet Ermittlungen zum Disziplinarverfahren aus. Währenddessen steht die Staatsanwaltschaft Halle, die mögliche strafrechtliche Aspekte in der Impfaffäre prüft, mit ihren Ermittlungen vor dem Abschluss.

Von Dirk Skrzypczak Aktualisiert: 14.10.2021, 14:45
Gegen Oberbürgermeister Bernd Wiegand und seine Büroleiterin Sabine Ernst gibt es neue Vorwürfe.
Gegen Oberbürgermeister Bernd Wiegand und seine Büroleiterin Sabine Ernst gibt es neue Vorwürfe. (Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Halle (Saale)/MZ - Sechs Monate nach seiner Suspendierung durch den Stadtrat gerät Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) weiter unter Druck. Nach MZ-Informationen hat das Landesverwaltungsamt, das ein Disziplinarverfahren gegen den 64-Jährigen führt, die Ermittlungen jetzt nochmals ausgedehnt. So soll der OB bei einer Personalangelegenheit, die mittlerweile sechs Jahre zurückliegt, gegen tarif- und haushaltsrechtliche Vorschriften verstoßen und der Stadt dadurch erheblich geschadet haben.

Schwere Vorwürfe: Wiegand soll gegen tarifliche Vorschriften verstoßen haben - Akten belasten den OB

In dem Fall soll es sich um die Versetzung einer hochrangigen Mitarbeiterin handeln, die mit dem OB über Kreuz lag. Damit sie die Versetzung akzeptiert, soll die Betroffene höher eingruppiert worden sein, als es die neue Stelle vorsah. Die Vorwürfe stammen aus 2013 - 2015, als der Landesrechnungshof bei einer überörtlichen Prüfung über die Angelegenheit gestolpert war. Da die Stadt offenbar erst jetzt die Akten dazu vorlegte, kam der Stein auch erst jetzt ins Rollen. Wiegand sieht sich zu Unrecht am Pranger. „Das Landesverwaltungsamt sucht krampfhaft nach vermeintlichen Vergehen von mir“, sagte er am Mittwochabend der MZ.

Die Ermittlungen gegen den OB würden sich zu einer unendlichen Geschichte entwickeln, heißt es aus Kreisen des Stadtrats und des Landesverwaltungsamtes. Scheinbar trauten sich Mitarbeiter erst jetzt, über mögliche Unregelmäßigkeiten zu sprechen.

Impfaffäre von Halle bringt Ermittlungen ins Rollen

Das Disziplinarverfahren gegen Wiegand umfasst mittlerweile mehrere Vorwürfe. So prüft die Behörde, ob der OB Anfang des Jahres im Zuge der „Impfaffäre“ bewusst gegen die gesetzlich festgelegte Impfreihenfolge verstoßen hat. Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter hatten Impfungen erhalten, obwohl sie nicht an der Reihe waren. Zudem wird Wiegand vorgeworfen, gelogen und Unterlagen manipuliert zu haben, um die Hintergründe zu verschleiern. Wiegand hat die Vorwürfe stets bestritten.

Seit August geht es im Disziplinarverfahren zudem um Wiegands Verstrickungen im Fall des ehemaligen Geschäftsführers der Entwicklungs- und Verwaltungsgesellschaft (EVG), Jan Hüttner. 2019 war Hüttner vom Aufsichtsrat abberufen worden. Die Umstände wurden in drei Gerichtsverfahren beleuchtet. Dort stellten die Richter nicht nur fest, dass Hüttner bis 2021 Anspruch auf sein volles Gehalt hat. Wiegand soll zudem durch falsche Aussagen erst dafür gesorgt haben, dass Hüttner im Aufsichtsrat in Ungnade fiel.

Staatsanwaltschaft Halle steht bei Ermittlungen zur Impfaffäre vor dem Abschluss

Angesichts der neuen Vorwürfe lässt sich nicht abschätzen, wie lange Wiegand im bezahlten Zwangsurlaub bleibt und ob er vor Ende seiner Amtszeit 2027 überhaupt in den Ratshof zurückkehrt. „Wir halten uns an das gesetzlich festgeschriebene Beschleunigungsgebot“, teilt das Landesverwaltungsamt auf MZ-Nachfrage mit. Man habe keine Veranlassung, die Ermittlungen zu verzögern. „Mit jeder Ausdehnung und vor Abschluss der Ermittlungen erhält der Beamte die Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Davon hat Herr Wiegand bereits Gebrauch gemacht.“ Ein Abschluss des Verfahrens lasse sich aktuell nicht prognostizieren.

Bei der Staatsanwaltschaft Halle, die mögliche strafrechtliche Aspekte in der Impfaffäre prüft, stehen die Ermittlungen übrigens vor dem Abschluss. Noch in diesem Jahr will die Behörde entscheiden, ob sie Anklage erhebt oder das Verfahren einstellt. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits erklärt, dass bei der eigenen Impfung des OB keine strafrechtlich relevante Handlung vorliege.

Wiegand bleibt bei seiner Aussage - Staatsanwaltschaft stellt Verfahren gegen Landrat ein

Allerdings befassen sich die Ermittler nach wie vor mit der Frage, ob das auch für die Impfungen der Stadträte gilt, oder ob es sich um eine „veruntreuende Unterschlagung“ von Impfstoff handelt. „Unser Anfangsverdacht ist nicht aus der Luft gegriffen. Sonst hätte das Gericht auch nicht die Durchsuchung des Ratshofs beschlossen“, sagt Oberstaatsanwalt Ulf Lenzner. Am 22. Februar hatte die Staatsanwaltschaft Halle als Reaktion auf die Berichterstattung der MZ Büroräume im Ratshof durchsuchen sowie Akten beschlagnahmen lassen.

Wiegand selbst bleibt dabei, dass nur Impfdosen etwa für die Immunisierung von Stadträten verwendet wurden, die sonst hätten vernichtet werden müssen. Der OB verweist zudem auf den Donnersbergkreis in Rheinland-Pfalz. Dort hatten der Landrat und andere Funktionsträger außerhalb der Impfreihenfolge ihre Spritzen bekommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Landrat, stellte das Verfahren aber ein.

Staatsanwaltschaft Halle wehrt sich nach Kritik

Angesichts dieser Beispiele sieht sich die Staatsanwaltschaft Halle massiver Kritik ausgesetzt. Anwalt und Stadtrat Johannes Menke (Hauptsache Halle/Freie Wähler) warf der Staatsanwaltschaft im MDR Trödelei vor. „Aus meiner Sicht folgt die Staatsanwaltschaft einer politischen Agenda gegen einen parteilosen Oberbürgermeister.“

Heike Geyer, Leitende Oberstaatsanwältin, reagiert auf derartige Vorwürfe gelassen. „Diese Behauptung ist haltlos. Wir haben mit der Suspendierung des OB nichts zu tun. Was wir machen, ist gründlich zu ermitteln“, sagt sie der MZ. Auch Oberstaatsanwalt Ulf Lenzner widerspricht Menke: „Uns zu unterstellen, wir würden geltendes Recht bewusst beugen, um einen parteilosen OB aus dem Amt zu drängen, können wir nicht widerspruchslos hinnehmen.“

Stadt zeigt Büroleiterin an

Unterdessen gerät Wiegands Büroleiterin Sabine Ernst immer stärker in den Fokus der Ermittlungen. Die Stadt Halle hat die einst mächtigste Frau der Verwaltung nach MZ-Informationen wegen des Verdachts der Urkundenfälschung in der Impfaffäre angezeigt.

Auf Ernst warten im Ratshof zwei Befragungen: Sie soll über die Impfaffäre berichten und sich zum Fall Hüttner äußern. Auf ihre Anweisung hin soll eine Mitarbeiterin der EVG, von Hüttner beurlaubt, dennoch Zugriff auf sensible Daten der Gesellschaft erhalten haben. Ernst hatte zuletzt im Ratshof den Antrag auf Freistellung gestellt. Nach MZ-Informationen wurde das abgelehnt.