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Pfusch Schleuse in Wusterwitz mit Löchern

Kapitäne müssen weiter warten. Einer der Gründet: Pfusch an der Schleuse Wusterwitz. Im August soll endlich ein Reparaturplan vorliegen.

29.06.2019, 01:00

Magdeburg l Es ist eine große Wanne aus Beton. 220 Meter lang. Zwölfeinhalb Meter breit. Elf Meter tief. Der Blick hinein ist ein Blick in den Abgrund. Denn die Wanne ist leer. Fast leer. Tief unten bedeckt eine grün-braune Brühe flach den Boden. Ein paar Frösche quaken.

Die Betonwände sind übersät mit Löchern. Mal handgroß, mal ein paar Meter lang. An einigen lugt rostbrauner Stahl hervor. „Etwa 1000 solcher Stellen haben wir“, sagt Burkhard Knuth. Die Sonne strahlt, er blinzelt durch die Brille und macht dabei kein fröhliches Gesicht. Knuth ist Chef vom Wasserstraßenneubauamt. Die Bundesbehörde ist der Bauherr. Wir stehen an der neuen Schleuse in Wusterwitz, zwischen Genthin und Brandenburg. Hier sollten längst große 2000-Tonnen-Pötte und bis zu 185 Meter lange Schubverbände durch. Güterschiffe auf dem Weg von Hannover über Magdeburg nach Berlin. Doch daraus wird so schnell nichts.

Wer hier durch will, muss die alte Schleuse nebenan nutzen. Die ist fast 90 Jahre alt. „Arbeitet aber tadellos“, sagt Knuth. Nur zu wenig Tiefgang bietet sie für vollbeladene Frachter.

Ein Rückblick: Bereits 2014 soll das neue Bauwerk öffnen. 2013, kurz vor dem Start, montieren Arbeiter ein paar Haltestangen an die Schleusenwände. Es platzt Beton ab. Auffällig viel. An den Stellen ist es weich wie Kreide. Das Neubauamt ist alarmiert. Lässt die Wände mit einem Hochdruck-Wasserstrahl bearbeiten. Danach sehen sie aus wie ein Schweizer Käse. „Das hatten wir noch nie“, erinnert sich Knuth. Der Lochbeton ist allen ein Rätsel. Das Bauunternehmen – ein erfahrener Konzern – bietet an, die Löcher zu verschmieren. Das Neubauamt lehnt ab. Zu riskant. Es geht nicht um Optik, es geht um Stabilität für die nächsten 80, 90 Jahre. Die wäre gefährdet, wenn Wasser durch den löchrigen Beton in die Stahlbewehrung dringen würde. Ein Sanierungskozept soll her. Es beginnnt ein jahrelanges Hin und Her.

2015 einigen sich Amt und Unternehmen schließlich auf ein Beweisverfahren und eine gemeinsame Expertise. Baufirma und Zulieferer haben zwei Dutzend Rechtsanwälte eingeschaltet. Es geht um Millionen. 2016 bestellt das zuständige Gericht in Bonn einen Gutachter. Den erfahrenen Betonexperten Professor Peter Schießl aus München. Im Frühjahr 2017 lässt er erste Betonproben nehmen. Alle sind auf die Analyse gespannt. Die Schifffahrt und auch die Baubranche.

Denn Lochbeton wie in Wusterwitz gab es noch nicht in 100 Jahren Wasserstraßenbau. Dann der Rückschlag im Sommer 2017. Der Beton-Experte stirbt während seines Urlaubs in Norwegen. Ein neuer Gutachter muss bestellt werden. Man einigt sich auf Professsor Christian Sodeikat – ebenfalls aus München und lange Zeit Schießls Geschäftspartner. Der nimmt 2018 weitere Proben. Jetzt, 2019, liegt ein erstes Zwischenresultat vor. Im August wird das Endergebnis erwartet.

Eine mögliche Ursache für die Löcher: Die Chemie hat nicht gestimmt. Davon ist reichlich in modernem Beton. Zum einen Fließmittel, damit die Mischung sich gut in der Stahlbewehrung verteilt. Und zum anderen „Luftporenbildner“ – der schützt vor Frost. Möglicherweise war die Mixtur nicht perfekt. Weitere denkbare Fehlerquellen: Der Beton wurde zu lange transportiert. Oder zu lange gerüttelt. Zement, Sand und Kies können sich bei falscher Behandlung wieder „entmischen“. Der Gutachter wird auch Reparatur-Varianten vorschlagen.

Eine Möglichkeit: Gut 20 Zentimeter des löchrigen Betons kommen runter – und werden mit Spritzbeton wieder aufgefüllt. Bauzeit: ein gutes Jahr. Kosten etwa 5 Millionen Euro. „Das wäre unsere Vorzugsvariante“, meint Knuth. Zweite Möglichkeit: Bis zu 40 Zentimeter Beton samt Stahlbewehrung kommen ab und werden komplett neu gebaut. Das kostet mindestens das Doppelte. Variante drei: Abriss und Neubau. Doch das will möglichst niemand. Die Schleuse hat 65 Millionen Euro gekostet – 63 Millionen Euro sind bereits bezahlt.

Liegt die Expertise vor, beginnt der gerichtliche Streit um Schuld und Geld. Ehe ein Urteil vorliegt, vergeht meist eine Ewigkeit. Beispiel Trogbrücke am Wasserstraßenkreuz bei Magdeburg: Da streitet sich die Bundesbehörde bis heute mit einem Unternehmen wegen fehlerhafter Bauteile. Das geht so seit 15 Jahren. So viel Zeit hat der Bund für die Reparatur der Schleuse Wusterwitz nicht. Der gesamte Schifffahrtsweg von Magdeburg nach Berlin soll in fünf Jahren auf modernstem Stand sein. Daher wird der Bund wohl in Vorleistung gehen. Das heißt: Die Reparatur wird zunächst aus der Bundeskasse bezahlt. Danach versucht Berlin, das Geld vom Unternehmen einzufordern.

Lohnt sich der ganze Ausbau-Aufwand? Einen großen Schub erleben die Häfen am Mittellandkanal. Von 2016 zu 2017 verdreifachten sie ihren Umschlag auf mehr als 10 Millionen Tonnen. Die beiden Spitzenreiter liegen mit Bülstringen und Haldensleben in Sachsen-Anhalt. Vor allem gehen Kalisalz-Dünger aus Zielitz, Getreide, Stahl und Zement über die Kaikanten. „Letztens hatten wir Granitblöcke aus Südafrika“, sagt Eckhard Kurfeld, Chef vom Logistiker UHH im Hafen Haldensleben.

Allerdings: Der West-Verkehr brummt, der Frachtverkehr nach Osten schwächelt. So werden an der Schleuse Sülfeld (Braunschweig) im Jahresmittel 17 000 Schiffe und 10 Milionen Tonnen registriert. An der Schleuse Hohenwarthe bei Magdeburg sind es nicht halb so viele. Das hat zwei Gründe: Der Schiffsweg nach Berlin ist noch nicht durchgehend modernisiert, weswegen die Tonnagen begrenzt sind. Und: Berlin zieht deutlich weniger Schiffs-Fracht an, als noch in den 90er Jahren gedacht. Die Prognosen wurden von 19 Millionen auf 5 Millionen Tonnen im Jahr gesenkt. Die Kapitäne wollen daher noch weiter nach Osten – zum Seehafen Stettin in Polen.

Logistik-Chef Kurfeld sieht erhebliche Potenziale, da immer mehr Firmen umdenken. „Viele hatten das Schiff lange nicht auf dem Zettel – das ändert sich.“ Das sei ein längerer Prozess, aber ein sinnvoller. „Bei Massengütern gibt es nichts Umweltverträglicheres als das Schiff.“ Ein großer Pott lädt 2000 Tonnen Fracht – und ersetzt 80 Laster.