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Rechtsextremismus Rechte Gewalt in Heimat des Halle-Täters

Der Attentäter, der in Halle zwei Menschen erschoss, stammt aus der Nähe von Eisleben - einer Region mit rechter Alltagskultur.

22.10.2019, 10:47

Halle (dpa) l Zwei Tote, mehrere Verletzte und eine traumatisierte jüdische Gemeinde: Der Attentäter von Halle hat eine tiefe Wunde in die Stadt geschlagen. Der Mann, der am 9. Oktober versuchte, eine Synagoge zu stürmen, stammt aus dem Mansfelder Land, aus der Nähe von Eisleben. Aus Expertensicht ist die Region von einer rechten Alltagskultur geprägt. Aber gibt es eine Verbindung zu den Taten?

Es gebe häufig rechte Konzerte und Kameradschaftsabende in Eisleben und Umgebung, sagt Torsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander in Halle, die rechte Kampfsportszene sei stark. Das Mansfelder Land sei Schwerpunkt in der Arbeit der AfD. Das trage dazu bei, dass rechte Gewalt begünstigt werde. Zivile Gegenwehr sei selten. In Halle sei das anders.

Die Saalestadt habe zwar auch ein Problem mit rechter Gewalt, sagt Hahnel. Zu Beginn der 1990er Jahre entwickelten sich rechte Netzwerke, vor allem in den Plattenbauten am Rande der Stadt. Organisationen wie die verbotene Neonazi-Vereinigung "Blood & Honour" versuchten, sich zu mobilisieren. Die Identitäre Bewegung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, habe in Halle ihre Deutschland-Zentrale.

Aber: "In Halle gibt es in den vergangenen 30 Jahren auch viel Widerstand", sagt Hahnel. Die linke Szene sei lebendig. Studentische Initiativen riefen zur Gegenwehr auf. Bündnisse setzten sich für Weltoffenheit ein. Dadurch seien rechte Strukturen aufgebrochen worden und hätten sich nicht so etablieren können wie woanders.

Der Innenexperte der Grünen im Landtag, Sebastian Striegel, sieht rechte Denkmodelle – nicht zuletzt auch wegen der AfD – um Eisleben herum besonders präsent. Bei der Kommunalwahl im Mai wurde die AfD mit 19,3 Prozent im Landkreis Mansfeld-Südharz stärkste Partei. Der Landstrich war bis 1990 vom Kupferbergbau geprägt. Mit dem Strukturwandel wurde der Erzabbau stillgelegt. Zehntausende Menschen waren vom Jobverlust betroffen. Bis heute hat sich die Region davon nicht erholt – trotz Luther-Tourismus.

Laut Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt wurden 2018 wie im Vorjahr 1300 Rechtsextremisten im Land gezählt. Allerdings: "Rechte Gewalt und Rechtsterrorismus sind ein bundesweites Phänomen", sagt die Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Heike Kleffner.

Nach Angaben von Bundeskriminalamt und Bundesinnenministerium wurden 2018 deutschlandweit 20 431 rechts motivierte Straftaten registriert. Das waren 0,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Gewaltdelikte von Neonazis und anderen Rechten stiegen nach einem starken Rückgang im Vorjahr um 2,3 Prozent wieder leicht an.

Die 14 im Verband zusammengeschlossenen Beratungsstellen registrierten 2018 allein in Ostdeutschland und Berlin mehr als 1200 rechte, rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalttaten. In Sachsen-Anhalt ereigne sich statistisch an jedem dritten Tag ein Angriff, sagt Kleffner. Opfer seien meist Menschen, die nicht aus Deutschland kämen – vom Studierenden bis zum Imbissbudenbetreiber.

Die Täter würden nicht nur Menschenleben, sondern auch die wirtschaftliche Existenz ihrer Opfer bewusst aufs Spiel setzen. So wurde 2013 ein Imbissbetreiber in Bernburg lebensgefährlich verletzt. Der Besitzer konnte das Geschäft nicht weiterbetreiben. In Chemnitz überfielen Neonazis 2018 ein jüdisches Restaurant. "Rassistisch motivierte Gewalt betrifft die Angegriffenen dann doppelt."

Zwar reagierte die Stadt Eisleben und sprach Angehörigen und Betroffenen nach der Tat von Halle ihr Mitgefühl aus. "Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und rechtes Gedankengut gehören nicht in unsere demokratische Gesellschaft", erklärte Oberbürgermeisterin Jutta Fischer (SPD).

Doch in der Gesellschaft werde rechte Gewalt vielerorts hingenommen, erklärt Expertin Kleffner. Bedrohungen und Angriffe würden auf der Straße und im Internet gefeiert und so potenzielle Nachahmer ermutigen. Dies zeige sich auch bei dem Attentäter von Halle, der seine Tat live im Internet übertragen hatte. Damit habe er sich in den Kontext weiterer rechtsextremer Attentäter, wie etwa des Angreifers von Christchurch, gestellt.

Nach den bisherigen Ermittlungen hat der Mann als Einzeltäter gehandelt. "Die Taten werden unter Umständen von Einzelnen verübt, aber natürlich sehen sich diese Einzelnen, und das hat der Täter in Halle deutlich gemacht, als Teil von einer Bewegung", sagt Kleffner.

Gegen Rechtsextremismus müsse stärker vorgegangen werden, sagt der Grüne Striegel. Wichtig sei, auch die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften kritisch zu beleuchten. "Es darf kein Signal mehr an die Täter geben, dass sie mit rechten Gewalttaten ungeschoren davonkommen." Dafür brauche es eine "Null-Toleranz-Strategie."