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Theater Neue Inszenierung am Anhaltischen Theater: Im Labyrinth der Spiegel

Trotz allem: Anhaltisches Theater bringt Kreutzfeldt-Inszenierung der Kammeroper „Orphée“ auf die Bühne. Heutzutage ist allein schon eine Generalprobe mit einer Handvoll Journalisten im Saal als Zuschauer ein Erfolg. Das Anhaltische Theater Dessau mit Philip Glass’ Kammeroper „Orphée“ verbuchen.

Von Joachim Lange Aktualisiert: 19.4.2021, 09:47

Dessau. Für die reguläre Premiere (na ja, was man so regulär nennen kann) gab es unter dem Schutzschirm eines „Modellprojektes“ sogar 100 vor Ort getestete, ausschließlich Dessauer Zuschauer. Im November war das ambitionierte Projekt eigentlich schon fertig, musste aber wieder in den Standby-Modus. Mit Mehrfachtesten der Protagonisten, Abständen, Hygieneregeln und den privilegierten Bedingungen eines Riesenhauses im Rücken kam es am Freitag – wenigstens einmal vor dem erneut drohenden Lockdown – auf die Bühne.

Anpassung an aktuelle Corona-Bedingungen

Die Sage vom Sänger, der seine Geliebte aus dem Totenreich zurückholt, gehört zum Kanon der uralten, ewigen Geschichten. Sie ist lebendig geblieben, weil es um Liebe und Tod, um die Macht der Kunst und um Unsterblichkeit geht. Die berühmtesten Opernversionen stammen von Monteverdi und Gluck. Jean Cocteau hat sie 1949 - adaptiert und aufgepeppt für die Gegenwart - zu einem Filmklassiker gemacht. Seither gehört der Spiegel zu den beliebtesten Metaphern, wenn ein Übergang von der Welt der Lebenden in die der Toten gebraucht wird.

Der mittlerweile 83-jährige US-amerikanische Minimalmusik-Star Philip Glass hat daraus wiederum eine Kammeroper gemacht, die 1993 uraufgeführt wurde. Und er hat den Dessauern jetzt gestattet, seine Komposition den aktuellen Bedingungen anzupassen. Die Orchesterbesetzung erfüllt die Mindestanforderungen des Komponisten. Dass Wegfall und Straffung von Ensembleszenen eine Konzentration auf die Beziehungen zwischen den Hauptfiguren erlaubt, hat er akzeptiert. Der Dessauer GMD Markus L. Frank und die Musiker der Anhaltischen Philharmonie lassen sich respektvoll, aber mit Lust auf den geschmeidig suggestiven Sound ein, der die französische Konversation auf der Bühne umspült.

Bei Glass bzw. Cocteau ist Orpheus ein Pariser Literat mit Fans beim Publikum und Neidern unter den Kollegen. Eine veritable Lebens- und Schaffenskrise führt zu einer Liebelei mit dem Tod. Der gehört zum Personal des einigermaßen verwickelten Hin und Her zwischen Lebens- und Unterwelt. Da der Tod im Französischen weiblich, gar eine Prinzessin ist, besteht der Clou des Ganzen darin, dass die Prinzessin am Ende des 80-minütigen Abends auf ihre Liebe zu Orpheus verzichtet und es so zu einem verblüffend friedlichen Happyend in der irdischen Kleinfamilie (mit Nachwuchshoffnung!) kommt.

Elena Fink ist eine markant auftrumpfende Prinzessin der Dunkelheit, Natasha Salès die jugendlich irdische Euridike. Philipp Jekal ist als Orpheus nicht nur der kriselnde Mann zwischen zwei Frauen, sondern auch der Dichter unter konkurrierenden Kollegen. David Ameln verunglückt als betrunkener Kollege Cégeste. Er landet als erster in der Unterwelt. Matthew Pena ist der dubiose Chauffeur Heurtebise aus dem Gefolge der Prinzessin. Eindrucksvoll donnernd gibt Jon Lee den Unterwelt-Richter und Ulf Paulsen den Caféhaus-Poeten auf der anderen Seite des Spiegels. Die permanent repetierende Musik entfaltet im Grundton zwar gleichförmig, aber parlandofreundlich ihre suggestive Wirkung. Lässt man sich auf deren kontemplative Ambition ein, dann kommt das dem dauernden Wechsel zwischen den Welten ebenso nahe, wie das Auf und Ab der Spiegel in der gespenstisch atmosphärischen Bühnendunkelheit.

Zeitgeistige Dimension durch Einsatz von Plexiglas

Der offensive Plexiglaseinsatz der Spiegelimitate wird hier nicht nur zum metaphorischen Leitmotiv für den Weg in die Unterwelt (und zurück). Der eskalierende Kampf gegen das Virus auch mittels der allgegenwärtigen Spuckschutzwände verleiht ihm obendrein eine zeitgeistige Dimension, auf die alle gerne (wieder) verzichten würden. Regisseur und Ausstatter Malte Kreutzfeldt hat nicht nur diese Kammeroper den widrigen Umständen der Pandemie abgerungen, er liefert damit zugleich einen hintersinnigen Kommentar zur Lage.

Die eigentlich für den 25. April vorgesehene zweite Vorstellung musste pandemiebedingt wieder gestrichen werden. Bleibt die Hoffnung auf die Zeit „danach“...