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Trotz Abschaltung von acht Atomkraftwerken gibt es Strom im Überschuss / Bürger zahlen Deutschland verschenkt Strom ins Ausland

03.04.2013, 01:19

Der Atomausstieg produziert seltsame Effekte. Der Export von Strom klettert trotz acht abgeschalteter Atomkraftwerke so stark wie seit 2008 nicht mehr. Aber immer öfter muss Strom ins Ausland verschenkt werden - und die Bürger müssen mehr bezahlen.

Berlin (dpa) l Für Jochen Stay ist der Fall klar. "Deutschland hat massive Überkapazitäten in der Stromerzeugung. Deshalb fordern wir eine deutliche Beschleunigung beim Atomausstieg", meint der Sprecher der Anti-Atombewegung "ausgestrahlt". Auftrieb geben ihm Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Sie bestätigen: Die Energiewende macht Deutschland immer mehr zum Stromexport-Meister. Trotz der Stilllegung von acht Atomkraftwerken gibt es an vielen Tagen zu viel statt zu wenig Strom im Netz.

Deutschland hat 2012 netto so viel Strom in das Ausland verkauft wie zuletzt 2008, als noch 17 Atomkraftwerke liefen. Doch ganz so einfach, wie Stay es darstellt, ist der Fall nicht. Der Jubel bei den Energieversorgern hält sich in Grenzen. Obwohl Deutschland 2012 einen Strom-Handelsüberschuss von 1,4 Milliarden Euro erwirtschaftete, verbrennen sie wegen der schwer kalkulierbaren Erzeugung von Wind- und Solarstrom mit ihren Kraftwerken auch Geld.

Plastisch ausgedrückt verkaufte Deutschland netto 2012 die Stromproduktion von über zwei großen Atommeilern an die Nachbarn, vor allem an die Niederlande, Österreich und die Schweiz. Zwar konnte die Stilllegung von acht Atomkraftwerken 2011 nach der Katastrophe in Fukushima aufgefangen werden; Warnungen vor Engpässen erwiesen sich als unbegründet. Auch massenhafte Atomstromimporte sind in der Regel nicht notwendig. Aber der überraschend hohe Überschuss hat auch Schattenseiten.

Beispiel 24. März. Zum ersten Mal wurden an diesem Tag negative Preise "in signifikanter Höhe zur Mittagszeit beobachtet", hat der Energieexperte Marco Nicolosi vom Beratungsunternehmen Ecofys in einer Studie für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ermittelt. Das bedeutet, es mussten gegen 14 Uhr rund 50 Euro pro Megawattstunde draufgezahlt werden, damit das Ausland den überschüssigen Strom abnahm - in der Spitze waren es sogar bis zu 200 Euro. Im Jahresverlauf 2012 registrierte die europäische Strombörse EPEX Spot an 15 Tagen solche negativen Strompreise - das Phänomen kann wegen des Ökostrom-Booms zunehmen. Ohne Stromspeicher droht hier ein Hauptknackpunkt der Energiewende.

Prognosen zu Sonne und Wind waren zu niedrig

Für den 24. März gab es eine zu geringe Vortagsprognose zur Einspeisung erneuerbarer Energien - dadurch waren zu viele Kohle- und Atomkraftwerke am Netz, die nicht einfach heruntergefahren werden können. An Solarenergie wurden für den 24. März 11900 Megawatt (MW) vorhergesagt, tatsächlich waren es aber mittags 14100. Für Windenergie ging man laut Wetterprognosen von 15900 MW aus, es waren aber 16900.

Die je nach Wetter schwankende Ökostromeinspeisung macht es immer komplizierter, die als Ergänzung notwendige konventionelle Kraftwerksproduktion abzuschätzen, moniert der BDEW. Es fehle ein Rezept zur bedarfsgerechten Einspeisung erneuerbarer Energien. Gerade die teureren Gaskraftwerke werden so immer unrentabler, E.ON denkt laut über ein Aus für das hochmoderne Gaskraftwerk Irsching (Bayern) nach. Doch genau diese Kraftwerke werden als Ersatz für die Atomkraftwerke bei wenig Sonne und Wind gebraucht. Sonst droht der Energiewende wegen vieler Kohlekraftwerke ein klimapolitisches Nullsummenspiel - die CO2-Emissionen könnten sogar dauerhaft steigen.

Und der Verbraucher hat von dem hohen Stromüberschuss auch kaum etwas, eher im Gegenteil. Zwar senken die erneuerbaren Energien die Einkaufspreise deutlich für Strom. Aber so paradox es klingen mag: Genau durch diesen Effekt drohen den Bürgern weiter steigende Strompreise - wegen der Erneuerbare-Energien-Umlage.