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Untergang des Traditionsunternehmens ist in Statistiken kaum noch zu sehen Ein Jahr nach Quelle-Insolvenz haben viele Mitarbeiter einen Job

Von Elke Richter 19.10.2010, 04:16

Vor einem Jahr erschütterte das Ende des insolventen Versandhändlers Quelle die Region Nürnberg. Die Folgen wurden in den schwärzesten Farben gemalt. Heute ist die Bilanz unerwartet gut. Viele der damals Gekündigten haben wieder einen Job.

Fürth (dpa/ko). Als die Quelle starb, herrschte in der Region Nürnberg pure Angst und Verzweiflung: Mitarbeiter weinten in der Öffentlichkeit, betroffene Politiker standen der Situation hilflos gegenüber, Experten malten Arbeitslosen- quoten von weit über zehn Prozent an die Wand. Heute ist das Bild ein ganz anderes. Viele der gekündigten Quelle-Mitarbeiter haben wieder einen Job, neues Leben füllt die aufgegebenen Gebäude, und der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) sagt erleichtert: "Wir stehen jetzt besser da als in der Zeit mit Quelle."

Dass er einmal diese Bilanz würde ziehen können, damit hatte Jung im vergangenen Herbst nicht gerechnet. Denn nach dem Niedergang von Grundig und der Schließung der AEG-Fabrik standen zum dritten Mal binnen weniger Jahre Tausende Menschen in der Region über Nacht auf der Straße – viele hatten ihr komplettes Berufsleben bei Quelle verbracht.

Die Insolvenz des Mutterkonzerns Arcandor am 9. Juni 2009 riss auch die Versandsparte Primondo mit dem Flaggschiff Quelle in den Abgrund. Das Unternehmen war von einem Tag auf den anderen von sämtlichen Geldflüssen abgeschnitten. Nach zähen Verhandlungen mit den Banken kam eine Bürgschaft über 50 Millionen Euro des Bundes und der Länder Bayern und Sachsen zustande. Doch es war zu spät: Das Vertrauen der Zulieferer, Dienstleister und Kunden war kaum noch zurückzugewinnen, die Bestellungen brachen massiv ein.

In einer ersten Welle sollten rund 3700 der 10 500 Quelle-Mitarbeiter gehen. Potenzielle Käufer schauten sich das Unternehmen an, aber es griff keiner zu. Nach wochenlangem Hoffen und Bangen verkündete der Insolvenzverwalter am 19. Oktober kurz vor Mitternacht das Ende für Quelle.

Hektisch richtete die Arbeitsagentur eine Dependance im Versandzentrum ein, allein in der ersten Woche meldeten sich dort mehr als 2200 Betroffene arbeitslos. Manche erhielten ihre Entlassungspapiere per E-Mail, bei anderen wurde die Kündigung wieder zurückgezogen, weil sie für die Abwicklung noch einige Wochen gebraucht wurden. Gegenwärtig sind noch etwa 100 Menschen damit beschäftigt, ihre Zahl wird beständig kleiner.

Wie viele Mitarbeiter insgesamt wegen der Quelle-Pleite gehen mussten, ist bis heute unklar, so chaotisch waren die Zustände damals. Sicher ist, dass rund 4000 Vollzeitstellen wegfielen, die sich oftmals mehrere Teilzeitkräfte geteilt hatten. In den Statistiken ist der Untergang des Traditionsunternehmens jedoch kaum noch zu sehen: Nach einem vorübergehenden Anstieg liegt die Arbeitslosenquote in der Region derzeit bei 5,7 Prozent und damit auf einem besseren Wert als vor der Quelle-Pleite. Konkret sind noch 781 ehemalige Quelle-Mitarbeiter arbeitslos oder in Maßnahmen "geparkt".

Einer der Gründe für die glimpfliche Entwicklung ist die starke mittelständische Wirtschaft in der Region, die vom derzeitigen Wirtschaftsaufschwung kräftig profitiert. Darüber hinaus pumpte die Landesregierung im Rahmen eines Strukturprogramms weit über 100 Millionen Euro nach Mittelfranken und verlagerte etwa das Statistikamt nach Fürth.

Etwa die Hälfte der dort neu Eingestellten hat früher beim Versandhändler gearbeitet. "Die Quelle-Leute sind überwiegend gut qualifiziert", betont OB Jung. Sorgen bereiten ihm vor allem die Über-50-Jährigen. Bei dieser Altersgruppe wirke sich zudem ein Handicap vieler Quelle-Mitarbeiter besonders stark aus: "Bei Quelle gab es eine hohe Arbeitsteilung", erläuterte der Pressesprecher der Nürnberger Arbeitsagentur, Matthias Klar. Deshalb hätten viele über Jahre hinweg nur einen Teilbereich ihres ursprünglich gelernten Berufes ausgefüllt und in anderen Bereichen den Anschluss verloren.

Mit Qualifizierungs- und Schulungsmaßnahmen soll den Betroffenen geholfen werden. Jutta Reck (46), zuletzt stellvertretende Betriebsleiterin im Mode-Hängeversand am Quelle-Standort Frauenaurach, zeigt sich auch nach 150 erfolglosen Bewerbungen keineswegs mutlos. "Ich habe so viel Erfahrung und Wissen, ich bin ohne Weiteres in der Lage, ein Lager zu leiten", betonte sie. Derzeit frische sie bei einem vom Arbeitsamt finanzierten Kurs ihre Englischkenntnisse auf – gemeinsam mit drei früheren Kolleginnen. Bei Quelle, wo die 46-Jährige 29 Jahre tätig war, hat sie eine richtige Karriere hingelegt. "Wenn Quelle nicht pleite gegangen wäre, hätte ich gute Chancen gehabt, in ein paar Jahren Betriebsleiterin zu werden."

Positive Bilanz auch in Magdeburg

Die Insolvenz hatte auch das Magdeburger Callcenter Quelle Communication getroffen. 627 Beschäftigte (plus 61 Studenten) verloren ihren Job. Die meisten fanden eine neue Anstellung, vor allem in anderen Callcentern in der Landeshauptstadt, wie die Arbeits- agentur Magdeburg gestern mitteilte. Aktuell sind 87 der ehemals Quelle-Beschäftigten noch oder erneut ohne Arbeit.