Kritiker des Industriepatriarchen mehren sich angesichts der Krise des Stahlriesen Götterdämmerung: Krise bei ThyssenKrupp setzt Beitz unter Druck
Essen (dpa) l Berthold Beitz ist der letzte Industrie-Patriarch des deutschen Wirtschaftswunders: Fast 100 Jahre alt, mächtig und scheinbar unanfechtbar. Ein Mann, der mit einem leise gesprochenen Satz Karrieren beenden kann. Doch jetzt erreicht auch den Ehrenvorsitzenden des Thyssen-Krupp-Aufsichtsrats und Krupp-Stiftungschef die Krise seines Konzerns. "Größenwahn" und "Eitelkeit" im Konzern, wie Beitz es selbst nennt, habe nicht nur der geschasste Aufsichtsratschef Gerhard Cromme viel zu lange geduldet. Auch Beitz hätte die Krise eher erkennen müssen, sagen Kritiker.
Doch der will seine Arbeit fortsetzen: "Ich mache das weiter, solange ich es kann und noch klar im Kopf bin", betont der 99-Jährige in einem seiner seltenen Interviews in der "Süddeutschen Zeitung". Die Stiftung ist mit 25,3 Prozent der Anteile größter Einzelaktionär des Großkonzerns, der zuletzt vor allem wegen misslungener Auslandsgeschäfte Milliardenverluste einfuhr und mit Korruptions- und Kartellvorwürfen zu kämpfen hat.
Beitz leitet zugleich die mächtige Stiftung und ihr Kuratorium. Er steht schon seit 1968 nach dem Wunsch des 1967 gestorbenen letzten Krupp-Eigentümers Alfried Krupp von Bohlen und Halbach an deren Spitze. Viele Kritiker von heute gingen da noch in die Schule.
Respekt flößen auch die großen Verdienste von Beitz im Zweiten Weltkrieg ein, als er unter Lebensgefahr für sich und seine Familie Hunderte Juden vor der Deportation rettete. Ein solcher Mann schien lange über Kritik erhaben.
Doch angesichts der dunklen Wolken über ThyssenKrupp schwillt der Chor der Kritiker. So meldet sich der Krupp-Nachfahre Friedrich von Bohlen und Halbach - ein langjähriger Gegner von Beitz - im "Focus" wieder öffentlich zu Wort und erklärt den Essener für "gescheitert". Der Düsseldorfer Aktienrechtler Peter Dehnen, Vizepräsident der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD), bemängelt in der "Rheinischen Post", dass Beitz als Stiftungschef an ThyssenKrupp-Aufsichtsratssitzungen teilnimmt und damit möglicherweise Vorteile gegenüber anderen Aktionären genieße.Hinzu kommt ein Bericht der "Welt" über Flüge von Beitz mit dem ThyssenKrupp-Firmenjet nach Sylt oder Salzburg zum Jagdrevier. Das Unternehmen verteidigt Beitz: Er sei als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats und aufgrund seiner Lebensleistung immer auch Repräsentant und Botschafter des Unternehmens und könne deshalb auch den Firmenjet nutzen, heißt es in einer Stellungnahme. Auch die Teilnahme von Beitz an den Aufsichtsratssitzungen sei längst geprüft und rechtmäßig, sagt ein Sprecher.
Die Angriffe dürften nach Einschätzung von Insidern für Beitz nicht wirklich gefährlich werden. Niemand rechnet damit, dass er seine Ämter aufgeben könnte. Unübersehbar wird aber an einem Denkmal der deutschen Wirtschaftsgeschichte gerüttelt. Stiftung und Konzern seien schon länger einig, dass sie die Fragen ihres Verhältnisses überprüfen und - falls erforderlich - auch neu regeln wollen, erklärt ThyssenKrupp. Die Stiftung werde nach seinem Ausscheiden eine neue Struktur haben, sagte Beitz der "Süddeutschen". Künftige Vorsitzende würden wie bei anderen Stiftungen auch vom Kuratorium gewählt. Die derzeitige Krise ändert in rasendem Tempo die Firmenkultur des Stahlriesen - spätestens in der Ära nach Beitz lässt die Firma den alten Geist der Krupps hinter sich und wird zu einem gewöhnlichen internationalen Technologiekonzern.