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Modellprojekt des Bundes Größere Chancen mit anonymer Bewerbung

20.07.2011, 04:38

Celle (dpa). Fotos, Altersangaben und Namen sind passé: Seit Anfang des Jahres nehmen acht Arbeitgeber am Modellprojekt "Anonymisierte Bewerbungen" des Bundes teil. Steffen Müller ist nach einem Unfall fast blind und glaubt, dass ihm die namenlose Bewerbung zum Job verholfen hat. In seiner rechten Augenhöhle steckt seit einem Unfall ein Glasauge, auf seinem linken Auge hat er nur noch 40 Prozent Sehkraft. Auf Bewerbungen hat der 46-Jährige seit- dem ausschließlich Absagen kassiert. Bis ihm die Stadt Celle (Niedersachsen) durch das bundesweite Modellprojekt "Anonymisierte Bewerbungen" eine Chance gegeben hat.

Geschlecht, Name, Jahreszahlen sind in anonymisierten Bewerbungen seit Anfang des Jahres tabu. Acht Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber beteiligen sich an dem einjährigen Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie wollen bei der Vergabe ihrer offenen Stellen penibel auf die Voraussetzungen der Bewerber achten und sich von einem sympathischen Foto, einem Namen oder der Angabe "alleinerziehend, zwei Kinder" nicht ablenken lassen. Auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch soll es mehr Gerechtigkeit geben.

Im Celler Rathaus sind so bislang fünf Stellen besetzt worden. "Das Verfahren ist eine Chance, über Diskriminierung nachzudenken und Vorurteile zu reflektieren", meint Personalleiter Jockel Birkholz. Der Vorteil bestehe nicht nur darin, dass manchmal Menschen im Vorstellungsgespräch säßen, die es anders schwerer gehabt hätten. Auch Augenwischerei im Bewerbungsschreiben werde vermieden. "Wir setzen uns nicht der Gefahr aus, dass jemand auf krummen Wegen zum Bewerbungsgespräch kommt – zum Beispiel wegen Beziehungen oder einer tollen Mappe", meint Birkholz.

Mit im Projekt sind unter anderem die Deutsche Post, das Kosmetikunternehmen L‘Oréal und die Arbeitsagentur Nordrhein-Westfalen. Sie alle trennen seit Januar die anonymen Bewerbungsformulare mit allgemeinen Angaben zur Qualifikation und einem Motivationsschreiben von den Kontaktdaten der Bewerber.

Steffen Müller hatte sechs Monate lang vergeblich nach einem Job gesucht. Der gelernte Metzger hatte sich vor vier Jahren die Augen mit Natronlauge verätzt und musste eine Umschulung machen. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass meine Behinderung Grund für die Absagen war", meint Müller. Um als Verwaltungsfachangestellter arbeiten zu können, braucht er Hilfsmittel wie ein Lesegerät und eine Software zur Vergrößerung am Computer. "Eine beliebte Ausrede war: Der Arbeitsplatz ist zu eng", sagt er.

Die federführende Antidiskriminierungsstelle verweist auf andere Länder, in denen anonymisierte Bewerbungen erfolgreich sind. Ein Modellversuch in Schweden zeige: "Lässt man persönliche Angaben weg, haben Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund deutlich bessere Einstiegschancen." In den USA, Kanada und Belgien gehöre die anonyme Bewerbung längst zum Alltag.

Auch Anja Dörlitz hat positive Erfahrungen mit dem anonymisierten Bewerbungsverfahren gemacht. Die 42-Jährige arbeitet inzwischen als Vollstreckungsbeamtin im Außendienst der Stadt Celle. "Bei der Bewerbung war es schon ein Vorteil, das Geschlecht nicht angeben zu müssen." Schließlich gebe es immer noch Menschen, die bei Frauen Vorurteile haben. "Ich finde das Verfahren gerecht."

Kritiker der anonymisierten Bewerbungen halten dagegen. Das Verfahren sei zu aufwendig, und spätestens beim Bewerbungsgespräch würden Personalchefs wieder von ihren Vorurteilen eingeholt.