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Stahlindustrie Mit Video: Ilsenburger Grobblech will ab 2026 „grüne“ Bleche produzieren

Die deutsche Stahlindustrie will klimaneutral werden. Dafür muss sich auch die Ilsenburger Grobblech GmbH im Harz wandeln. Was der Umbau für den Standort und die 700 Mitarbeiter vor Ort bedeutet.

Von Robert Gruhne Aktualisiert: 19.01.2024, 08:33
Per Zug kommen die Brammen, also die Stahlblöcke, aus den konzerneigenen Stahlwerken der Salzgitter AG nach Ilsenburg.
Per Zug kommen die Brammen, also die Stahlblöcke, aus den konzerneigenen Stahlwerken der Salzgitter AG nach Ilsenburg. Foto: IMAGO/Frank Drechsler

Ilsenburg - Die Brammen lagern in Ilsenburg mit Brockenblick. Grau und schwer liegen die Stahlblöcke unter freiem Himmel auf dem Werksgelände.

 
Ilsenburger Grobblech will ab 2026 klimaneutral werden. (Bericht/Kamera: Robert Gruhne, Schnitt/Sprecher: Christian Kadlubietz)

Sie sind flach und länglich wie Schokoladentafeln. Nur wiegt eine einzige Bramme bis zu 32 Tonnen und ist maximal zwölf Meter lang. Hier draußen im Lager warten die Blöcke auf ihre Verarbeitung. Denn ein Stahlklotz nützt Herstellern von Maschinen und Industrieanlagen nichts. Sie brauchen Bleche in der richtigen Form und mit den passenden Eigenschaften. Damit Kräne besonders formfest sind, Druckbehälter kältebeständig und Baggerschaufeln verschleißarm. Hier kommt Ilsenburger Grobblech ins Spiel.

Ilsenburger Grobblech: Metallverarbeitung in Ilsenburg seit 1595

„Wir stellen gezielt Produkte her, die weltweit nicht viele können“, sagt Robert Kühn bei einem Rundgang. Der Ingenieur für Verfahrenstechnik führt das Werk seit einem Jahr als Vorsitzender der Geschäftsführung. Knapp 700 Mitarbeiter produzieren hier pro Jahr 700.000 Tonnen Grobblech, also große Stahlplatten. Das Unternehmen erarbeitet einen Umsatz von rund 800 Millionen Euro jährlich.

Kühn erzählt von der langen Historie des Standorts. Bereits 1595 begann in Ilsenburg die Herstellung von Blechen, Schalen und Kesseln aus Kupfer. Ab 1948 wurde hier im großen Stil Stahl gewalzt. Nach der Wiedervereinigung kaufte die Preussag das Werk. Das Geschäftsfeld Stahl wurde im Jahr 1998 in die Salzgitter AG ausgegliedert. Die Ilsenburger Grobblech GmbH ist heute eine 100-prozentige Tochter des niedersächsischen Stahlkonzerns. Viele Mitarbeiter arbeiten in zweiter, dritter oder vierter Generation im Blechwerk.

Eine historische Abbildung zeigt die alte Feuerbuchsenwerkstatt in Ilsenburg um das Jahr 1885.
Eine historische Abbildung zeigt die alte Feuerbuchsenwerkstatt in Ilsenburg um das Jahr 1885.
Foto: Salzgitter AG

Die Brammen in Ilsenburg kommen zum Großteil per Bahn aus den konzerneigenen Stahlwerken in Salzgitter und Duisburg. Per Kran und Zugvorrichtung bewegen sich die Blöcke in die Werkshalle. Vier Stunden lang wandert der Stahl durch den Ofen und wird auf bis zu 1.150 Grad Celsius erhitzt.

Glühend und leuchtend orange fährt die Bramme dann auf Rollen Richtung Walzgerüst. Vor und zurück wird sie durch das Walzenpaar geführt, in dem Kräfte bis zu 8.000 Tonnen auf das Material wirken. Mit jedem Mal nimmt die Dicke etwas ab und die Länge zu. Die dünnsten Grobbleche sind fünf Millimeter dick.

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Ilsenburger Grobblech fordert Brückenstrompreis

Plötzlich zischt es. Ein Wasserstrahl trifft auf den glühenden Stahl. Eine dampfende Wolke steigt empor und erfüllt die Werkshalle. „Damit wird während des Walzens der Zunder abgewaschen“, erläutert Kühn. Dieser bildet sich, wenn Sauerstoff mit dem heißen Stahl reagiert. Zunder verunreinigt das Material und stört bei der Bearbeitung. Nach dem Walzen muss das Blech bis zu drei Tage abkühlen.

Dann kann das Material weiter veredelt werden. In eine neue Wärmebehandlungslinie in Ilsenburg hat die Salzgitter AG rund 200 Millionen Euro investiert. Das Blech wird dort unter anderem nochmals erhitzt. Je nachdem, wie schnell es abkühlt, ändern sich die Eigenschaften. „Dadurch können wir genau die Materialeigenschaften liefern, die der Kunde haben möchte. Gleichzeitig spart die neue Anlage etwa die Hälfte der früher benötigten Energie“, sagt Kühn.

Glühend heiß kommt der Stahl in Ilsenburg aus dem Ofen. Dann wird er gewalzt. Die fertigen Bleche sind zwischen fünf und 175 Millimeter dick.
Glühend heiß kommt der Stahl in Ilsenburg aus dem Ofen. Dann wird er gewalzt. Die fertigen Bleche sind zwischen fünf und 175 Millimeter dick.
Foto: imago/Frank Drechsler

Der Verbrauch ist im Blechwerk dennoch weiter hoch, vor allem die Öfen benötigen viel Erdgas. Kühn plädiert kurzfristig für einen Brückenstrompreis und hält die im November beschlossene Unterstützung für energieintensive Unternehmen für nicht ausreichend. „Französische Stahlwerke mit staatlich gesicherten Energiepreisen können leichter bestehen“, sagt Kühn.

Die Salzgitter AG arbeitet langfristig an einem fundamentalen Wandel. Der Konzern hat sich zum Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen bis 2033 um 95 Prozent zu senken. Momentan verursacht der Konzern mit seinen Hüttenwerken, die auch Ilsenburg mit Stahl versorgen, etwa ein Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes.

Das „Salcos“ genannte Konzept sieht vor, mit Strom aus erneuerbaren Quellen mittels Elektrolyse Wasserstoff herzustellen. So soll die Kohle aus der konventionellen Stahlherstellung verschwinden. Den Wasserstoff will Salzgitter nicht komplett selbst erzeugen. Der Konzern wird an das Netz angeschlossen, eine Pipeline führt auch durch Sachsen-Anhalt. Die gesamte Umstellung kostet 2,3 Milliarden Euro. Eine Milliarde davon schießen der Bund und das Land Niedersachsen zu.

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Eine Milliarde Zuschuss für klimaneutralen Umbau der Salzgitter AG

Trotz der Zuschüsse meint Robert Kühn: „Die Produktion von Stahl wird in Europa teurer sein als im Rest der Welt.“ Deshalb sei der Grenzausgleichsmechanismus so wichtig, der ab 2026 greife. Dann werden bestimmte Waren wie Stahl bei der Einfuhr in die EU mit ähnlichen CO2-Kosten belastet wie die Produktion in Europa durch den Emissionshandel. „Ohne funktionierenden Grenzausgleich wird der Markt spätestens dann mit Importen aus Ländern geflutet, wo man es mit CO2-Vermeidung und Umweltschutz nicht so genau nimmt“, sagt Kühn.

Mitarbeiter prüfen die in Ilsenburg hergestellten Bleche.
Mitarbeiter prüfen die in Ilsenburg hergestellten Bleche.
Foto: imago/Frank Drechsler

Ende 2025 kommt der erste „grüne“ Rohstahl aus Salzgitter, Anfang 2026 erste grüne Bleche aus Ilsenburg. Wie das Blechwerk selbst in Zukunft ohne CO2-Emissionen auskommen soll, wird laut Geschäftsführer noch entwickelt: „Langfristig ist eine nahezu CO2-freie Produktion auch bei uns das Ziel.“

Ilsenburger Grobblech will Mitarbeiterzahl halten

Robert Kühn, nach dem Rundgang wieder am Brammenlager angekommen, sieht sein Werk als „Mitgestalter der Energiewende“. Die Stahlindustrie sei ein Teil der Lösung. Den Standort Ilsenburg sieht er auch in Zukunft gesichert. Die Nachfrage sei gut: Aktuell liefert das Werk unter anderem Grobbleche für zwei Brücken einer Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke in Spanien.

Die ersten Abnehmer haben sich bereits grüne Bleche aus Ilsenburg vertraglich gesichert. Besonders die Hersteller von Windkraftanlagen zeigen Interesse. Mit 20 Prozent ist die Branche schon heute das größte Standbein für Ilsenburger Grobblech. In einem Turm stecken bis zu 800 Tonnen Stahl, auf See sogar mehr als 1.000 Tonnen plus Gründung.

Die Mitarbeiterzahl von 700 in Ilsenburg wolle man halten, was vor allem durch eigene Ausbildung gelinge, schildert Kühn. „Wir gehen nicht davon aus, dass der Personalbedarf sinkt. In den letzten zwei Jahren haben wir sogar rund 100 Stellen aufgebaut.“ Auch für sich persönlich sieht er die Zukunft in der Region: Er zieht mit seiner Familie demnächst aus Sachsen nach Sachsen-Anhalt.