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Twitter-Oma Renate Bergmann hat vieles verändert

Autor Torsten Rohde verlegte für seine Figur Renate Bergmann den Lebensmittelpunkt von Genthin nach Berlin.

Von Simone Pötschke 19.11.2017, 00:01

Berlin/Genthin l Entspannt schlürft Autor Torsten Rohde an dem Esstisch seiner guten Stube an einer Tasse selbstgebrühtem Kaffee. Seltene Augenblicke der Ruhe, die er in sich aufsaugt. „Als Beiwerk gibt es heute leider nur gekauftes Gebäck, zum Plätzchenbacken bin ich noch nicht gekommen. Noch keine Zeit gehabt“, sagt er entschuldigend.

Vor gut einem Jahr ist der Single von der sachsen-anhaltischen Kleinstadt Genthin in die Bundeshauptstadt gezogen. Von Berufs wegen. Über Internet und monatliche Besuche hat er immer noch einen guten Draht in die alte Heimat. Nicht zuletzt sorgen dafür auch seine Facebook-Fans. Einmal im Monat treibt es ihn noch in die Kanalstadt. Schließlich muss er seiner Friseurin die Treue halten, eine bessere hat er in Berlin noch nicht gefunden.

Doch Rohde ist längst in der Berliner Szene angekommen, beherrscht so auch als gefragter Autor die Spielregeln im Gespräch mit Journalisten. Er plaudert, aber verplaudert sich nicht. Er erzählt heiter, bleibt aber voll konzentriert. Er hat gelernt, sich seiner Eloquenz bewusst zu werden. Irgendwie komisch. Der 43-Jährige ist ein beherrschter Charakter, dagegen dreht seine Buchheldin, Twitter-Oma Renate Bergmann, gern mal tüchtig am Rad.

Seit fast vier Jahren erstürmen seine Bücher die Bestseller-Listen, neun sind es mittlerweile, die eine Auflage von einer Million Exemplaren erreicht haben. Oma Bergmann (82), Trümmerfrau, Reichsbahnerin, Haushaltsprofi und vierfache Witwe aus Berlin-Spandau, erklärt unverblümt und offen heraus, wie das Leben funktioniert. Sie philosophiert nicht, sondern schlaumeiert und bedient nach allen Regeln der Kunst Vorurteile und Klischees. Liebenswert, humorig, witzig. Immer im direkten Dialog mit ihrer Leserschaft. Ihre persönliche Ansprache „Wissen Se“ ist Programm. „Dabei war ich mir anfänglich nicht sicher, ob das als Gestaltungsidee gut geht“, sagt Rohde. Renate Bergmann ist die liebe Oma, die durchtriebene Nachbarin, die verkniffene Alte, in der sich viele mit ihren Schwächen und Macken wiedererkennen. „In jedem Buch habe ich eine Handvoll Geschichten aufgeschrieben, die wirklich passiert sind“, versichert der Autor.

Wie das Weihnachtsfest 2013. Genervt von so viel Familie stellte Rohde einen Account unter dem Namen Renate Bergmann ins Netz. Mit einem Freund witzelte er schrullig schön per Whatsapp über den familiären Weihnachtsfrieden in der virtuellen Welt. Die Twitter-Oma ging mit ihren Frotzeleien online und ein unerwartetes Echo stellte sich mit Tausenden Followern ein.

Eine wahrhaft schöne Bescherung. Denn eines Tages habe sich daraufhin ein Agent bei ihm gemeldet, erzählt Rohde. Er war begeistert von der Twitter-Oma und bat ihn, drei Probegeschichten für ein Buch zu schreiben. Er sei schon ein wenig verunsichert gewesen, räumt Rohde ein, habe sich aber dennoch darauf eingelassen. „Warum nicht, ich hatte doch nichts zu verlieren“, so ging Rohde an die Sache heran.

Renate Bergmann, die sich mit „Händy“ und „Fäcebuck“ rumschlägt, kam schließlich in der realen Welt an. Warum seine Kunstfigur immer wieder aufs Neue begeistert? Torsten Rohde muss sich nicht mit langen Erklärungen aufhalten. Er macht schlichtweg seine besondere Nähe zu seiner Großmutter, deren Gedankenwelt er sich erschließen kann, dafür verantwortlich: „Ich liebe meine Großmutter, die im wirklichen Leben Ruth heißt und demnächst wie Renate Bergmann ihr 82. Lebensjahr vollenden wird. Ein bisschen von ihr steckt schließlich in mir drin, wenn ich dies in den Büchern auch mit einer Portion Frechheit anreichere. “ Trotzdem liegt es Rohde fern, sich über die mit Dauerwelle gelockte Oma Bergmann zu definieren. „Bei Lesungen, aber auch in Hotels und öffentlichen Auftritten bin ich Torsten Rohde und nicht etwa Oma Bergmann. Ich bleibe ich.“

Rohdes Erfolge sind keine Eintagsfliegen geblieben, seine szenischen Lesungen gemeinsam mit der Schauspielerin Anke Siefken füllen inzwischen landauf, landab Säle, als Promi werden ihm mittlerweile rote Teppiche ausgerollt. Bekannte Schauspielerinnen wie Carmen-Maja Antoni und Marie Gruber geben in Hörbüchern seiner schrulligen Alten ihre Stimmen. Bekanntheit hat sich in das Leben des Autors geschlichen. Fernsehauftritte, keine Woche ohne Interviews.

Trotzdem behütet Rohde sein anonymes Leben in einem vornehmen Berliner Mietshaus, das gealtert, aber unbeschadet den Zweiten Weltkrieg überstanden hat wie die Twitter-Oma ihre vier Ehemänner. Ruhige Straßenlage, trotzdem zentral an der U-Bahn, gemütlich eingerichtet, selbstverständlich ein Arbeitszimmer. Stinknormal, also doch ein wenig Oma Bergmann. Aber sicherlich unauffälliger, denn einen Schluck aus der Flasche Korn, auf den die Twitter-Oma steht, mag Rohde als ambitionierter Marathonläufer überhaupt nicht. „Ich bin nicht der, der den erfolgreichen Autoren herauskehren muss“, sagt er und nippt dabei aus seiner Kaffee-Tasse. Im Übrigen, ergänzt er, trage er immer noch H&M-Shirts.

Der gebürtige Brandenburger hätte es sich noch vor vier Jahren nicht träumen lassen, Bücher zu schreiben. Beruflich ging es für ihn zunächst in eine ganz andere Richtung, als er in der Havelstadt nach dem Abitur Betriebswirtschaft studierte. „Die Wendezeit war aufregend, da wollte ich natürlich einen sicheren Weg gehen“, erinnert sich Rohde. Als Controller arbeitete er nach dem Studium in einem großen Genthiner Unternehmen. Es sei nicht schlecht, in seinem jetzigen Business einen beruflichen Hintergrund zu haben und eine gewisse Bodenständigkeit zu bewahren, zeigt Rohde wieder seine ernsthafte Seite.

Als studierter Betriebswirtschaftler sitzt der Freiberufler bis auf den heutigen Tag selbst über seiner Steuererklärung. Viel spannender und aufregender sei sein Leben mit dem Sprung vom Buchhalter zum Buchautoren, wie er seine Karriere kurz auf den Punkt bringt, geworden. Ein geregelter Arbeitstag „rund um den Genthiner Kirchturm“ ist einem unruhigen Tagewerk, das vor den Wochenenden keinen Halt macht und keinen Feierabend kennt, gewichen. „Von nichts kommt nichts, drei Jahre gab es für auch mich keinen Urlaub“, gibt Rohde auch die Schattenseiten des Erfolgs preis.

Als großer Schriftsteller sieht sich allerdings Rohde nicht. „Ich schreibe Geschichten aus dem Leben auf und freue mich, wenn sie den Lesern gefallen. Es ist schön, wenn sie über ihre kleinen Schwächen, die in meinen Büchern Eingang finden, lachen können“, formuliert der geistige Vater Oma Bergmanns, der Schriftstellerinnen wie Juli Zeh und Elke Heidenreich bewundert, sein Credo.

Wer Geschichten aus dem Leben schreiben will, muss wie der Autor mittendrin sein. Das nimmt ein Torsten Rohde durchaus wörtlich. Zum Schreiben zieht es ihn schon einmal in ein Café, wo er zwei bis drei Stunden unerkannt am Laptop arbeitet und kreative Ideen ausbrütet. Zwischen 30 und 40 Dateien zwitscht er dann auf seinem Computer. „Ein bisschen Druck muss dabei schon sein, sonst geht es nicht voran. Nach einem Vierteljahr krame ich meine Geschichten nocheinmal raus, wenn ich dann noch lachen kann, sind sie o.k. Wenn nicht, verwerfe ich sie.“ Rohde hat die Gabe, intuitiv zu erfassen, was bei seinen Fans ankommt. Er hat seinen ganz individuellen Humor-Kompass gefunden.

Aber mal im Ernst. Demnächst wolle er Plätzchen backen, verrät er. Im großen Stil. Man nehme nach Renates Backrezept ein Kilogramm Mehl, 500 Gramm Butter, 500 Gramm Zucker, acht Eigelb, acht Vanillezucker, ein Backpulver und verschenke die fertigen Plätzchen an viele Freunde, lacht Rohde verschmitzt. Die Plätzchen gibt es dann auch zum Kaffee.