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Richter Arbeitsgericht Stendal droht das Aus

Am Arbeitsgericht Stendal könnte bald das Licht ausgehen. Bereits jetzt glimmt das Lämpchen nur noch schwach.

Von Bernd Kaufholz 28.01.2020, 00:01

Stendal l Die Direktorin des Arbeitsgerichts Stendal, Elisabeth Quick, ist frustriert und wirft im September dieses Jahres das Handtuch. Sie geht in den vorzeitigen Ruhestand. Und es ist kein Geheimnis, dass die Situation am Arbeitsgericht der Altmarkstadt keinen geringen Anteil für ihren Entschluss ist.

„Die Stimmungslage beim Arbeitsgericht Stendal ist bekannt“, kommentiert Mark Udo Born, der beim Landesverband der Richter und Staatsanwälte die Arbeitsrichter vertritt, den Schritt seiner Kollegin. „Das Arbeitsgericht ist chronisch unterbesetzt. Neben der Direktorin, die einen Teil ihrer Tätigkeit mit Verwaltungsarbeit verbringen muss, gibt es nur noch einen Richter.“ Das Ergebnis sei: Bis es zu einer Arbeitsrechtsverhandlung kommt, kann ein Jahr vergehen. „Zurzeit werden Termine für Anfang 2021 vergeben. „Ein unhaltbarer Zustand“, so Born.

Die Zahlen des Justizministeriums sehen hingegen anders aus und sprechen für Stendal von einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von nur zwei Monaten. Eine Einschätzung, die vor Ort als „völlig unrealistisch“ zurückgewiesen wird. Hier würden die Arbeitsbedingungen „mit viel Phantasie künstlich schöngerechnet“, formuliert es ein Jurist, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Laut Justizministerium dauern Verfahren in Magdeburg am längsten – mit mehr als fünf Monaten. Die Verfahrensdauer in Sachsen-Anhalt, die alle vier Arbeitsgerichte (Magdeburg, Halle, Dessau, Stendal) berücksichtige, betrage durchschnittlich 4,4 Monate.

Arbeitsgerichtdirektorin Quick, die seit 1994 in Stendal in Sachen Arbeitsrecht unterwegs ist, hat den schrittweisen Niedergang im Gerichtsbezirk erlebt. Die jüngste Richterstelle wurde vakant, als ein Stendaler Kollege ans Landesarbeitsgericht in Halle berufen wurde. Der Posten wurde kurzerhand vom Justizministerium gestrichen. Christian Hoppe, Landesvorsitzender des Richter- und Staatsanwaltsbundes, hat einen anderen Blick auf die Personalsituation bei den Arbeitsgerichten: „Am 31. Dezember 2016 gab es einen Bedarf von 73 Stellen bei einem Bestand von 90. Die Entwicklung zeigt, dass es Ende 2030 30 Richter geben wird bei einem Bedarf von 66. Jeder Arbeitsrichter muss dann für zwei arbeiten.“

Ralf Troeger, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Stendal, erlebt die Misere fast wöchentlich. „In anderen Bundesländern dauert es bei Fällen, die nicht sehr aufwendig sind, vier, fünf Monate bis zu einer Entscheidung, hier bis zu einem Jahr.“ Er befürchtet, dass das Arbeitsgericht in Stendal „langsam ausbluten“ soll. Denn die Arbeitsgerichte in Halberstadt und Naumburg wurden in der Vergangenheit bereits geschlossen.

Der Anwalt hat sich im September 2019 mit einer Beschwerde an das Justizministerium gewandt. „Die Personalpolitik und die dadurch verursachten Zustände am Arbeitsgericht“ zwängen ihn zu diesem Schritt. Der Jurist pocht darauf, dass das Land „den Rechtsweg zu garantieren hat“. Dazu gehöre auch, richterliche Entscheidungsprozesse „in angemessener Zeit“ möglich zu machen.

Anders gesagt: Das Ministerium muss dafür sorgen, dass alle Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Fälle nicht überbordend lange auf den Schreibtischen liegen bleiben.

In der Antwort von Staatssekretär Hubert Böning (CDU) heißt es unter anderem: „dass das Arbeitsgericht Stendal trotz des in den letzten Jahren zu verzeichnenden Personalabgangs immer noch personell auskömmlich ausgestattet ist.“ Eine Möglichkeit für die „Minimierung der Verfahrenslaufzeit“ sehe das Ministerium nicht.

Im Gegensatz zu dieser Aussage steht, dass anderer Gerichtsbezirke in Stendal aushelfen. Damit den Kollegen des personell gut ausgestatteten Arbeitsgerichts in Dessau-Roßlau keine zu langen Fahrzeit zugemutet wird, gibt es sogar eine Art Ringtausch: Die Dessauer fahren nach Magdeburg, dieselbe Zahl Magdeburger Richter dafür nach Stendal.

Elisabeth Quick sagt, dass sie das Gefühl habe, die Altmärker seien aufgrund der Situation „Rechtssuchende dritter Klasse“. Die Lage entspannen, könnte sich aus ihrer Sicht, dass Proberichter, die in jüngster Zeit vermehrt eingestellt wurden, gezielt nach Stendal geschickt werden. Und nicht verschiedene Stellen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten durchlaufen. In Stendal seien bisher allerdings noch keine Richter auf Probe eingesetzt worden. Meinung