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Rückblick Terror in Halle - Eine Tür rettet Leben

Der Anschlag in Halle am 9. Oktober war der Versuch eines Mordes an 51 Juden. Auch wenn der nicht gelang, mussten zwei Menschen sterben.

Von Matthias Fricke 31.12.2019, 00:01

Halle l Es ist eine schmale unscheinbare kleine Holztür, die am Seiteneingang zur Synagoge in Halle zu einer Berühmtheit wird. Sie rettet 51 jüdische Gläubige vor einem Massaker. Hätte diese braune schmale Tür den Schüssen aus den selbstgebauten Gewehren und Granaten des Angreifers nicht standgehalten, wäre es vermutlich zu einem Blutbad gekommen.

Seine offensichtlich gut vorbereitete Tat filmt der 27-jährige Stephan B. aus Benndorf bei Eisleben mit der Helmkamera und streamt knapp 36 Minuten live auf einem Internetportal. Nach Angaben des Streamingdienstes sahen fünf Menschen dem Täter live zu. Erst später sehen 2200 Personen die Aufzeichnung, bis sie nach rund einer halben Stunde gelöscht wird.

Zu Beginn der Aufzeichnung spricht „Anon“, wie er sich selbst bezeichnet, deutsch und wechselt dann ins Englische. Er ist der Ansicht, der Holocaust habe nie stattgefunden. „Der Jude“ sei die Ursache aller Probleme. Außerdem gibt er dem Feminismus Schuld daran, dass der Westen eine niedrige Geburtenrate habe und dies zur Masseneinwanderung führe.

Mit seinen im 3-D-Drucker selbstgebauten Waffen und mehreren Dutzend Sprengvorrichtungen, wie Rohrbomben und Handgranaten, fährt Stephan B. vor die Gemeinde, stellt dort seinen Mietwagen ab und versucht die Tür zunächst aufzuschießen. Das gelingt nicht, so dass er selbstgebastelte Sprengsätze zündet. Er scheitert damit und flucht immer wieder über sein eigenes Versagen. Auch der Versuch, über drei andere Eingänge in die Synagoge zu gelangen, scheitert.

Die 51 Personen in der Synagoge, die am Jom-Kippur-Gottesdienst teilnehmen, sind in höchster Angst. Sie können nicht nur die Schüsse hören, sondern auch den mit einem Helm als Kämpfer uniformierten Stephan B. durch die Überwachungskamera beobachten.

Als eine Passantin an ihm vorbei geht, schießt er auf die 40-jährige Hallenserin. Während sie am Boden liegt, gibt er weitere Schüsse ab und trifft dabei auch das Hinterrad seines Mietwagens. Als ein weiterer Passant auf ihn zukommt, versucht er auch diesen zu erschießen. Die Waffe hat Ladehemmung, so dass der Mann entkommen kann. All dies wird später die Bundesanwaltschaft auf dem Video von seiner Helmkamera auswerten können.

Fluchend fährt er etwa 600 Meter vom Tatort weg in die Schillerstraße. „Döner, nehmen wir“, sagt er und stoppt vor dem „Kiez Döner“ in der Ludwig-Wucherer-Straße. Erst versucht er einen Sprengsatz in den Döner-Imbiss zu werfen, der prallt aber am Türrahmen ab und detoniert auf der Straße. Dann erschießt er einen 20-jährigen Gast. Ein Mitarbeiter und andere Passanten können fliehen, weil die Waffe von B. immer wieder Ladehemmung hat.

Beim Eintreffen der Polizei am Tatort gibt es einen Schusswechsel. Der Attentäter wird durch eine Polizeikugel am Hals verletzt. Getroffen kann er sich dennoch in das Auto ziehen und flüchten.

Die Polizei verliert den Wagen aus den Augen, der Richtung Landsberg unterwegs ist. Etwa eine Stunde später nach den ersten Schüssen an der Synagoge trifft er im Ortsteil Wiedersdorf ein. Er will den Wagen tauschen, sucht ein Auto. Mit mehreren Schüssen verletzt er ein Ehepaar schwer, weil es sich weigerte, ein Auto zur Verfügung zu stellen. Daraufhin begibt er sich in die Werkstatt und stiehlt ein Taxi. Damit setzt er seine Flucht über die A 14 und A 9 nach Süden fort. Über die Abfahrt Weißenfels gelangt er auf die B 91. Dort stößt er mit einem Lkw zusammen und wird von Streifenpolizisten festgenommen.

Stephan B. sitzt aktuell in Halle in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Prozess wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuches. Wann Anklage am Oberlandesgericht erhoben wird, ist noch nicht klar. Dennoch bereitet sich die Justiz in Sachsen-Anhalt bereits auf den Prozess vor. Ab Frühjahr ist der größte Saal des Magdeburger Landgerichtes für das Verfahren bereits geblockt.