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Sachsen-Anhalt Frauenanteil ist ausbaufähig

Weibliche Beschäftigte und Auszubildende sind in der Baubranche in Sachsen-Anhalt immer noch die Ausnahme.

Von Massimo Rogacki 19.11.2020, 00:01

Magdeburg/Wernigerode l Stundenlang Steine oder Platten im Knien verlegen – Lisa Ilgenstein hat damit kein Problem. Die 18-Jährige absolviert eine Ausbildung zur Straßenbauerin. Sie ist im zweiten Lehrjahr. Dass ihr Job als anstrengend und als ausgewiesene Männerdomäne gilt, darüber habe sie nie so richtig nachgedacht. „Ich habe die Ausbildung begonnen, weil ich Lust drauf hatte“, sagt sie, lächelt, und greift nach dem Hammer. Die nächste Platte wartet.

Wenn Ilgenstein nicht gerade im Berufsbildungszentrum-Bau (BBZ) Wernigerode lernt, ist die angehende Straßenbauerin für ihren Ausbildungsbetrieb in Altmersleben (Altmarkkreis Salzwedel) im Einsatz. Frank Wilke ist Geschäftsführer des Bauunternehmens. In 19 Jahren hat er über 75 Azubis betreut, Ilgenstein ist die erste weibliche Auszubildende.

„Sie hat ausgestrahlt, dass sie die Ausbildung unbedingt machen möchte.“

Frank WIlke, Geschäftsführer Astka Bauunternehmen

Kurz vor Toresschluss stand sie auf der Matte. Für sie hat Wilke eine Ausnahme gemacht und fünf statt vier Lehrlinge eingestellt. „Frau Ilgenstein hat großes Interesse signalisiert und ausgestrahlt, dass sie die Ausbildung unbedingt machen möchte“, erinnert sich der Bauunternehmer. Dass der Ton auf dem Bau mitunter rau sei, habe er ihr gesagt. Mehr als mit den Schultern gezuckt hat Ilgenstein da nicht. In den folgenden anderthalb Jahren erreicht den Chef aus der Praxis nur positives Feedback. „Sie macht sich richtig gut“, sagt er.

Als Auszubildende in einem Bauberuf ist Lisa Ilgenstein eine Ausnahme. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala der Ausbildungsberufe rangiert in Sachsen-Anhalt die Kauffrau für Büromanagement. Gefragt seien laut Statistischem Landesamt auch die Ausbildung zur Verkäuferin, zur Kauffrau im Einzelhandel und die Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten.

621 Auszubildende in Bauberufen gab es im vergangenen Jahr. Darunter nur 90 Frauen – rund 14 Prozent. Bei den Malern und Lackierern gibt es noch den meisten weiblichen Nachwuchs.

Im Kammerbezirk der Handwerkskammer Magdeburg (HWK) gibt es laut jüngster Struktur-Umfrage nur knapp neun Prozent weibliche Azubis. Der Anteil von Frauen in der Branche ist insgesamt gering. In den mehr als 12 000 Mitgliedsunternehmen der HWK sind 14 Prozent der Beschäftigten im Bauhaupt- und Ausbauhandwerk weiblich. Deutschlandweit sehen die Zahlen ähnlich aus.

Einzig in der Bauplanung, Architektur und in den Vermessungsberufen stellt sich das Verhältnis etwas besser dar. Neben den 4147 Männern arbeiten in diesem Bereich 1454 Frauen. Etwas mehr als jeder dritte Job im Land ist also mit einer Frau besetzt.

Planen ist in Ordnung, die beschwerliche Arbeit auf dem Bau ist für Frauen aber eher kein Thema – klingt anachronistisch, war bis 1994 in der Bundesrepublik Deutschland aber tatsächlich Realität.

Für Frauen galt in der BRD bis vor 26 Jahren ein Beschäftigungsverbot auf dem Bau. Es hieß, Frauen seien nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen durch eine Beschäftigung im Bauhauptgewerbe körperlich überfordert. Auf den Baustellen der DDR gab es diese Art von Restriktion nicht. Der Gesundheitsschutz für Frauen war aber auch geregelt.

„Handwerk ist sehr abwechslungsreich. Man lernt immer neue Menschen kennen.“

Mandy Wiegmann-Damm

Für Mandy Wiegmann-Damm klingt das heute nach lange vergangenen Zeiten. Dass ein Bau-Beruf für sie zu anstrengend sein könnte, stand für die Fliesenlegerin nie zur Debatte. Schon vor ihrer Ausbildung hatte sie Gelegenheit, zu gucken, wie es in der Praxis zugeht. Die 39-Jährige ist mit dem 1990 gegründeten elterlichen Fliesenfachbetrieb in Osterwieck (Landkreis Harz) großgeworden. Nach dem Abitur denkt sie kurz darüber nach, ein Studium der Anglistik zu beginnen. Schnell merkt sie: Das Interesse am Handwerk ist größer. Nach der Ausbildung arbeitet die Fliesenlegerin im Familienbetrieb. 2005 legt Wiegmann-Damm die Meisterprüfung ab. Fortan ist sie nicht mehr nur auf Baustellen unterwegs. Sie kümmert sich jetzt auch um Ausschreibungen und Rechnungslegung.

Die Begeisterung für ihren Beruf ist bis heute nicht erloschen: „Handwerk ist sehr abwechslungsreich“, sagt sie. „Man lernt immer neue Menschen kennen.“ Und vor allem sehe man am Abend, was man geschafft hat. Ein gutes Gefühl.

Dass sie als Frau auf dem Bau eine nicht alltägliche Erscheinung ist, bekam Mandy Wiegmann-Damm bei ihrem ersten Projekt als Auszubildende zu spüren – die Komplettsanierung einer Schule. Eine Großbaustelle, auf der alle erdenklichen Gewerke beteiligt waren. „Auf dem Bau herrscht auch mal ein etwas rauerer Ton“, sagt sie. Gestört habe sie das nie. „Im Endeffekt geht es immer um Leistung“, sagt die 39-Jährige. Ob Mann oder Frau – wenn die Kollegen sehen, dass man ranklotzt, dass man genauso zupacken kann, dann werde man akzeptiert.

Dass sie einige Jahre später auch in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft noch immer Baustellenbegehungen durchführt, sorgt bei vielen der männlichen Kollegen oftmals für Erstaunen. „In meinen Augen war das das Normalste der Welt“, sagt sie.

Auf Baustellen trifft man die Fliesenlegermeisterin in den vergangenen Jahren seltener an. Im BBZ in Wernigerode ist sie seit 2015 als Ausbilderin gefragt. Auszubildende aus verschiedenen Berufen erhalten dort ihre überbetriebliche Lehr-unterweisung. Die Tätigkeit dort – für Wiegmann-Damm „eine Aufgabe, die extrem viel Spaß macht und bei der man den jungen Leuten viel mitgeben kann“. Frauen sind auch dort rar gesät. Unter den 140 Azubis aus drei Lehrjahren zählt die Ausbilderin derzeit vier „Azubinen“.

„In Klassen mit weiblichen Azubis ist es ruhiger. Die Jungs reißen sich zusammen.“

Mandy Wiegmann-Damm

Ein Nachteil sei die weibliche Präsenz ganz bestimmt nicht, sagt Wiegmann-Damm und lächelt: „In Klassen, in denen wir weibliche Auszubildende haben, geht es immer etwas ruhiger zu. Die Jungs reißen sich da eher zusammen“, beobachtet die Ausbilderin.

Eine von ihren Schützlingen, die wie sie Fliesenlegerin werden will, heißt Jenny Wesemann (20). Sie ist Auszubildende im dritten Lehrjahr. Es sei klasse, eine Frau als Ausbilderin zu haben, findet die Schönebeckerin. So viele weibliche Vorbilder gebe es in dem Beruf ja nicht. Wesemann fühlt sich in der Baubranche wohl. „Man kann sehr kreativ sein, jedes Projekt ist anders“, sagt sie.

Am liebsten verlegt die Zwanzigjährige große Platten. „Da muss man sehr genau arbeiten“, sagt sie. In der Männerdomäne habe sie sich immer gut behaupten können. Auch ihr Eindruck ist: Wer Leistung bringt und nicht zurücksteckt, wird akzeptiert. Für harte Arbeit ist sich Wesemann nicht zu schade, kürzlich wurde bei ihr allerdings ein Knorpelschaden im Knie festgestellt. Entmutigen lässt sie sich nicht. Hätte schlimmer kommen können. Die Ausbildung ziehe sie in jedem Fall durch. Später möchte sie sich gern zur Technikerin weiterbilden lassen.

„Junge Frauen brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.“

Burghard Grupe, Handwerkskammer

Der Job in einem Bauberuf hat in ihren Augen Zukunft. Handwerker würden gesucht. Dass die Meisterpflicht im Fliesenlegerhandwerk kürzlich zurückgedreht wurde, findet sie gut. Wesemann ist überzeugt: „In unserem Beruf muss man schon sehr exakt arbeiten. Man muss gut ausgebildet sein.“

Bauboom, offene Stellen, zunehmender Fachkräftemangel: Eigentlich wird auf den Baustellen der Republik nicht nur jeder Mann gebraucht, sondern auch deutlich mehr Frauen.

Wie lassen sich Frauen für die Arbeit in der Baubranche begeistern? „Handwerksbetriebe könnten bei der Azubi-Suche die Zielgruppe Mädchen gezielter ansprechen“, sagt Burghard Grupe, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg. Dazu müssten sie aufzeigen, wie Frauen ihre Talente, technischen Interessen und Führungsqualitäten entfalten können. Wichtig sei es, Frauen sichtbar zu machen, sagt Grupe. „Junge Frauen brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.“ Gut qualifizierte Frauen könnten vor allem von den Betrieben gebunden werden, „die Chancengleichheit in der Unternehmenskultur verankern und gendersensibel kommunizieren“, so der HWK-Chef.

Für Straßenbauerin Lisa Ilgenstein eröffnen sich in ihrem Beruf gute Perspektiven. „Ich denke, da werden immer gute Leute gebraucht“, sagt sie. Eigentlich hatte sie mal Arzthelferin werden wollen. Dass sie sich auf den letzten Drücker anders entschieden hat, bereut sie nicht. Der Entschluss kam auch zustande, weil sie ein Faible für große Baumaschinen habe, sagt die gebürtige Gardelegerin. Wenn möglich, möchte sie einen Baumaschinenschein machen. „Einen Bagger zu fahren, das wäre etwas für mich“, sagt sie. Wie sie sich ihr künftiges Berufsleben in einem Bauberuf ausmalt? „Mal schauen. Ich kann mir vieles vorstellen.“