Kriminologe untersuchte Freizügigkeit in Gefängnissen Sachsen-Anhalt hat den härtesten Knast
Nach einer Untersuchung des Greifswalder Kriminologen Prof. Frieder Dünkel hat Sachsen-Anhalt den härtesten Strafvollzug in Deutschland. In keinem anderen Bundesland haben Gefangene weniger Freigänge oder Urlaub. Weniger Ausgang haben nur noch Strafgefangene in Bayern.
Magdeburg l Im Rahmen der Entlassungsvorbereitungen sind der offene Vollzug sowie der Hafturlaub besonders wichtig, ist der Kriminologe Prof. Frieder Dünkel überzeugt.
Er hat aus diesem Grund die Statistiken der Haftanstalten in den 16 Bundesländern miteinander verglichen und interessante Entdeckungen gemacht.
"Die Missbrauchsraten sind bezogen auf die Lockerungen ständig gesunken."
Frieder Dünkel, Kriminologe
Die Inhaftierten müssten nach dem Gesetz auf das Leben in Freiheit vorbereitet werden, um eine hohe Rückfallquote zu vermeiden. Doch dies habe in Sachsen-Anhalt offenbar keine hohe Priorität, so Dünkel. Zumindest die Zahlen würden für ein harten Strafvollzug sprechen. Besondere Strenge müsse aber nicht immer von Vorteil sein.
Um eine Vergleichbarkeit zwischen den Haftanstalten in Deutschland zu ermöglichen, hat der Kriminologe mit Lehrstuhl an der Universität Greifswald die Zahlen von Hafturlaub, Ausgang und Freigang mit einem Stichtag auf 100 Strafgefangene statistisch berechnet. So stellte sich bei der Gegenüberstellung (siehe Grafik) heraus, dass Sachsen-Anhalt bei der Gewährung von Freigängen und Hafturlaub Schlusslicht ist.
Die Zahlen würden dabei laut Dünkel "erheblich variieren", zum Beispiel bei den Beurlaubungen zwischen Sachsen-Anhalt mit 60 und dem Saarland mit einer 15-fach höheren Quote und 891 Fällen. Ähnlich sehe es auch bei den Freigängen aus.
In Sachsen-Anhalt wurden nur durchschnittlich 2,3 Urlaube gewährt. Die meisten gab es laut Statistik-Vergleich im Saarland mit 51,6.
Nach der Untersuchung gebe außerdem nur Bayern seinen Strafgefangenen im Durchschnitt weniger Ausgang.
Bemerkenswert ist laut Dünkel, dass der Anstieg der Lockerungen in einigen Bundesländern nicht zu einem erhöhten Risiko der Bevölkerung durch vermehrte Missbrauchsfälle, wie Flucht, geführt habe.
"Im Gegenteil, sind die Missbrauchsraten bezogen auf die jeweiligen Lockerungsformen ständig gesunken", erklärt der Kriminologe.
Für ihn stehe auch ganz klar fest, dass ein härterer Strafvollzug auch keinen höheren Abschreckungseffekt hat.
Dünkel: "Das gilt in der modernen Kriminologie inzwischen schon als gesicherte Erkenntnis." Dünkel bemängelt: "Es fehlt in einigen Bundesländern schlichtweg der politische Wille, den Vollzug konsequent ,überleitungsorientiert\' zu ändern."
Delia Göttke vom Landesverband für Straffälligen- und Bewährungshilfe Sachsen-Anhalt sieht es ähnlich und erkennt vor allem die Schwierigkeiten der Vermittlung der Erkenntnisse in der Öffentlichkeit.
"Wir brauchen zu allererst ein klares Bekenntnis zum Offenen Vollzug."
Angela Kolb, Justizministerin
"Ich habe manchmal den Eindruck, dass man sich mehr Gedanken darüber macht, ob man einen Knast neu baut oder nicht, statt sich inhaltlich Gedanken über den Strafvollzug zu machen", sagt sie. Die Strafgefangenen müssten nach ihrer Meinung eine bessere stationäre Behandlung erfahren und nicht einfach nur weggeschlossen werden. "Lockerungen und Hafturlaub haben auch ihren Sinn", so Göttke.
Das Thema Offener Vollzug steht ohnehin im Zusammenhang mit der geplanten Justizvollzugsstrukturreform auf der Tagesordnung. Justizministerin Angela Kolb: "Wir brauchen zu allererst ein klares Bekenntnis zum Offenen Vollzug und die gesellschaftliche Akzeptanz der damit verbundenen Risiken." Noch in diesem Jahr werde sich aber entscheiden, wie viele Plätze im Offenen Vollzug es am Standort Halle geben werde. "Wir rechnen mit einer Ausweitung", so Kolb.
In der Regel würden in Sachsen-Anhalt nur diejenigen Gefangenen eine Genehmigung zum Freigang erhalten, die geeignet sind und ein regelmäßiges Beschäftigungsverhältnis außerhalb des Offenen Vollzuges ohne Aufsicht eines Beamten führen können. Das Problem im Vergleich zu anderen Bundesländern sei der schlechte Arbeitsmarkt, der gerade dafür notwendig wäre.
In Sachsen-Anhalt gibt es zurzeit rund 2000 Strafgefangene in den Justizvollzugsanstalten Burg (inkl. Außenstelle Magdeburg), Dessau, Halle, Volkstedt (Eisleben) und die Jugendanstalt Raßnitz (Saalkreis).