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Kleinstadt am Limit Hinter den Kulissen beim Sachsen-Anhalt-Tag

Eine Kleinstadt am Limit: Rund 150.000 Besucher strömen ab Freitag zum Sachsen-Anhalt-Tag nach Quedlinburg. Ein Besuch beim Orga-Team.

29.05.2019, 23:01

Quedlinburg l Henning Rode will gerade einen Satz beenden, da klingelt erneut das Telefon. „Ich kann rangehen, oder? Ist ja immerhin live.“ Noch bevor er eine Antwort erhält, hat er den Hörer am Ohr. „Ja, mmh ... ja, ich hatte mir das eingetragen. 10.35 Uhr. Können wir machen. Alles klar, bis dann.“ Rumms. Telefonhörer geparkt. Rode guckt auffordernd. Seine Augen verraten: weitermachen. Aber bitte schnell. Kurze Fragen, kompakte Antworten. Der Chef-Organisator des Sachsen-Anhalt-Tages hat keine Zeit zu verlieren. Um ihn herum stapeln sich Papiere und Akten. Schlüsselbänder und Programmhefte bedecken den großen, zusätzlichen Holztisch im Raum. Ablaufpläne, dicke Ordner, gefüllt mit Sicherheits- und Verkehrskonzepten. Jeder freie Zentimeter auf den drei Schreibtischen im Raum ist wahres Orga-Gold. „Das ist hier Einsatzzentrale und Materiallager zugleich“, sagt Rode schmunzelnd.

Seit Monaten schlägt im ersten Stockwerk des Rathauses das Herz des Orga-Teams. Und das muss kräftig pumpen, denn ab Freitag strömen bis zu 150.000 Besucher nach Quedlinburg. „Der Sachsen-Anhalt-Tag ist die größte Veranstaltung in der jüngeren Stadtgeschichte“, sagt Rode. Bis dahin müssen acht Sammelquartiere für 800 Teilnehmer aus anderen Landkreisen, darunter Tänzer und Aussteller, fertig, Sicherheitskräfte eingewiesen und viele andere Dinge erledigt sein.

Das Organisationsteam besteht aus Rode und seinen sieben Kollegen, dazu kommen 250 freiwillige Helfer und mit „Studio D4“ eine Eventagentur. Bereits seit 2002 übernimmt die Agentur bei Sachsen-Anhalt-Tagen die technische Leitung und schafft Struktur im Orga-Wahnsinn. „Diese professionelle Unterstützung benötigen wir“, sagt Rode. Er ist Beauftragter für Wirtschaftsförderung und bisher nicht als ausgewiesener Organisationsexperte bei Großveranstaltungen in Erscheinung getreten. Das gilt auch für Quedlinburg. Ein Fest in dieser Größenordnung stellt selbst die vom Tourismus verwöhnte Kleinstadt vor neue Herausforderungen. 12.000 Parkplätze mussten an beiden Stadtenden auf Ackerflächen geschaffen werden. Die historischen Gassen sind hübsch anzuschauen, erforderten aber ein ausgefeiltes Verkehrskonzept.

Und dann wäre da noch der Stempel mit der Inschrift „Welterbestadt“. Ein Titel mit viel Gewicht und einer, der diesem kleinen, niedlichen Fleck auf der Harzer Landkarte auch eine große Erwartungshaltung aufdrückt. „Es gibt viele Leute, die es gut finden, dass sich die Stadt dieser Herausforderung stellt und außerdem ...“, Rode unterbricht, das Telefon klingelt.

Nicole Risse, Koordinatorin des Landesfestes, kommt zur Tür herein und steuert auf ihren Schreibtisch zu. Doch sie wird abgefangen von der Stimme hinter ihr. Eine Bürgerin, die direkt am Marktplatz wohnt, hat vergessen, eine Sondergenehmigung für das Befahren des eigenen Hofes einzuholen. Risse weiß, in welche der vielen Boxen sie greifen muss, zieht schnell eine grüne Plakette hervor und erklärt, was zu tun ist. Weiter zum nächsten Problem.

Während in der Orga-Festung die Telefone im Rhythmus klingeln, bewegen Bagger auf dem Martkplatz mit ihren großen Schaufeln noch viel größere Aluminiumteile von links nach rechts. Helfer stecken einzelne Bühnenelemente ineinander, während Touristen das Aufbauspektakel bei Käsetorte und Café Créme verfolgen. An jeder Ecke wird gehämmert, gebohrt, sind rot-weiße Absperrbänder drapiert.

In wenigen Tagen wird die große Hauptbühne eine mit Händlern und Gastronomen voll gepackte Feiermeile überthronen. Ab heute sind alle Straßen im Festgebiet gesperrt. Insgesamt 17 Bühnen und mehr als 300 Buden werden aufgebaut. Bereits am Montag hätte er den Außenbereich mit rund 60 Sitzplätzen für Buden und nötige Fluchtwege räumen müssen, beschwert sich der Geschäftsführer eines Hotels am Marktplatz. Das sei nicht fair, denn damit würden Gastronomen von außerhalb sein Geschäft abgrasen. Er glaubt auch, dass rund um den Feiertag die Stadt am Wochenende sowieso gut besucht worden wäre. Ein anderer Zeitpunkt wäre daher sinnvoller gewesen.

Matthias Heyrodt vom Roland-Café stimmt seinem Kollegen in diesem Punkt zu. Von Hektik oder gar Aufregung ist hier aber keine Spur. „Wir werden alles so machen wie immer“, sagt er. Vieles würde sich eh draußen abspielen, „nur wenn es regnet, könnten Gastronomen ein Platzproblem bekommen.“

Und was sagt Rode zur leicht anklingenden Kritik? Der musste einem TV-Sender am Telefon gerade erst einmal bei einer Drehgenehmigung weiterhelfen. So schnell der Hörer wieder ruht, so schnell versucht auch Rode den Gesprächsfaden wieder zu finden. „Wo waren wir? Ach ja, Herausforderung ... und außerdem es ist auch etwas Schönes, so eine Veranstaltung mal gemeinsam als Stadt durchzustehen“, sagt er. Der Sachsen-Anhalt-Tag, da seien sich alle einig, werde für alle Gastronomen ein wirtschatflicher Erfolg.

Christian Legler von „Studio D4“ steht vor knapp 70 Personen im großen Festsaal des Rathauses. Helfereinweisung. Das bedeutet für Legler, immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten und für Risse rote Helfer-Shirts im Vorraum auszulegen, den Beamer anzuschmeißen, um die Aufteilung des Festgebietes zu zeigen, und Ablaufpläne und Dienstanweisungen zu verteilen.

Viele Freiwillige sind bei der Stadt angestellt, aber auch rund 20 Bürger wollen mithelfen. 500 Helfer-Schichten, eine sechs Stunden lang, gilt es zu verteilen. Das Festgebiet wurde in drei Gebiete mit je einem Bereichsleiter aufgeteilt.

Ein Gitterplan, der zum Schiffe-versenken-Spielen einlädt, soll am Wochenende bei Problemen zur schnellen Orientierung dienen. „Bereits ab Donnerstag sollten alle organisatorischen Dinge geklärt sein“, sagt Legler. Die Einsatzzentrale im Rathaus wird dann zum Backstage-Bereich des MDR erklärt. Die Sicherheitszentrale zieht 400 Meter weiter, in die nicht weniger historisch bedeutenden Wände am Marschlinger Hof. Kapazität dort: 40 Arbeitsplätze.

Dort sitzen Legler und seine Kollegen, Polizei und Veranstaltungsleitung. 24 Stunden ist das Notfall-Telefon für Helfer und Besucher frei geschaltet. Weil die Wahrscheinlichkeit nahe liegt, dass das Mobilfunknetz bei Tausenden Besuchern irgendwann zusammenkracht, werden Info-Punkte, Straßensperren und Großparkplätze mit Funksystemen ausgestatter.

Die müssen Helfer der ersten und letzten Schicht vom Marschlinger Hof abholen bzw. wieder hinbringen. Wie bitte, fragt eine Helferin leise und hebt prompt den Arm. Eigentlich wurde ihre Frage bereits beantwortet, aber egal. „Wir müssen dann nach der Schicht zum Marschlinger Hof, das Ding zurückbringen?“ „Ja, genau“, antwortet Legler. Es wird unruhiger im Saal. Aber der Profi macht weiter, erklärt weitere Details.

Rode und Risse sitzen in der ersten Reihe und verfolgen den Vortrag des Profis aufmerksam. Es sind ein paar Minuten Ruhe, in denen kein Telefon ..., Risse springt auf, verlässt den Raum, ihr Handy vibriert.