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Schiffbau Elektra ist anders als die Anderen

Es ist ein einzigartiges Projekt in Derben: Ein Schiff für den Güterverkehr, das ohne Emissionen auskommt.

Von Massimo Rogacki 28.04.2020, 01:01

Magdeburg/Derben l In einer der Fertigungshallen der Schiffswerft Hermann Barthel in Derben schlagen Funken in die Luft, Lärm erfüllt die Halle. Ein ganz besonderes Arbeitsschiff nimmt hier Gestalt an, es ist das erste seiner Art. Name: Elektra. Das weltweit erste emissionsfreie Kanalschubboot soll im Herbst dieses Jahres fertig werden. Kein CO2-Ausstoß mehr, übrig bleibt nur: Wasserdampf. Möglich macht es ein hybrides Energiekonzept: Wasserstoff-Brennstoffzellen und Elektro-Akkumulatoren treiben die Elektra an.

Gerade für Ballungsräume ergebe das Energie-System Sinn, weil es CO2-neutral und frei von Schadstoffen jeglicher Art ist und Lärmschutz garantiert, sagt Professor Gerd Holbach von der Technischen Universität (TU) Berlin. Am Institut für Schiffs- und Meerestechnik leitet er das Fachgebiet Entwurf Maritimer Systeme. Seit 2015 reifte hier die Idee für das einmalige Projekt. Mit der „Behala - Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft“, einem Logistik-Dienstleister, als Auftraggeber und späterem Eigner sowie weiteren Partnern wird seither an der Umsetzung getüftelt.

Auf den Wasserstraßen der Bundeshauptstadt und bis nach Hamburg soll die Elektra fahren und Güter bis 1400 Tonnen bewegen. Ob Kies, Schrott oder riesige Turbinen - bei der Güterschifffahrt geht es um hohe Lasten, hohe Leistung und große Reichweiten, sagt der Logistik-Chef der Behala, Klaus-Günther Lichtfuß. „Das mit alternativen Antrieben zu realisieren – ist eine große Herausforderung.“

Rund 13 Millionen Euro kosten die Entwicklung, der Bau und die Erprobung der Elektra. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur trägt einen Teil. Im November wurde die Elektra in Derben auf Kiel gelegt. Rund 30 Schiffbauer, Elektriker, Maschinenbauer, Schlosser und Tischler werden bis voraussichtlich Oktober an dem Boot arbeiten. Dann wird die Elektra zunächst in Derben, später in Berlin, in den Testbetrieb starten. 2024 soll das Kanalschubboot regulär eingesetzt werden.

Die Spezialisten der Werft machen gute Fortschritte. Auf der Zulage ist schon das Achterschiff zu sehen. 20 Meter lang und 8,20 Meter breit soll die Elektra mal werden. Im Moment entsteht unter anderem der Batterieraum, sagt die Projektleiterin auf der Werft, Corinna Barthel.

Schiffsneubauten, -umbauten sowie -reparaturen führt das Traditionsunternehmen Barthel aus. Vor mehr als 200 Jahren wurde der Werftbetrieb gegründet. Neben der Elektra werden derzeit zwei Schiffe für die Wasserschutzpolizei Sachsen-Anhalt gebaut. Die Werft stellt aber auch Fahrgast-, Vermessungs- und Arbeitsschiffe für verschiedene Einsatzbereiche her. Warum hat Barthel den Zuschlag für den Bau der Elektra erhalten? „Wir brauchten eine leistungsfähige Werft, die uns bis Ende 2024 begleitet“, sagt Behala-Logistikchef Lichtfuß. Und die Werft aus Sachsen-Anhalt bringt die nötige Expertise mit.

Auch für die Schiffsbauer aus Derben ist die Elektra auch ein ganz besonderes Projekt. An einem Freitagvormittag sitzt Corinna Barthel neben Wissenschaftler und Gesamtprojektleiter Holbach, Klaus-Günther Lichtfuß und Werft-Chef Hermann Barthel in einem kleinen Beratungsraum auf dem Werft-Areal. Alle vier Wochen trifft sich die Projektgruppe vor Ort zur Baubesprechung. Schiffbau hat viel mit Erfahrung zu tun. Bei der Elektra ist allerdings auch viel „Learning by doing“ dabei. Für knifflige Fragen muss eine Lösung gefunden werden. Selbst den erfahrenen Schiffsbauern fehlen bei diesem Vorhaben mitunter die Erfahrungswerte.

Eine Herausforderung: Viele für den Betrieb notwendige Komponenten gibt es noch nicht. „Uns war klar, wir wollten nicht die Brennstoffzelle, nicht den Tank oder den Akku neu erfinden“, sagt Holbach. Viele Komponenten, die etwa für das Auto gut sind, sind es aber noch lange nicht für das Schiff. Die benötigte Leistung für die Elektra ist um ein Vielfaches höher als etwa im Automobil-Bereich. Allein die Akkus wiegen etwa 25 Tonnen.

Auch für die Partner, die Teile und Komponenten zuliefern, ist das Projekt eine echte Aufgabe. In der Baubesprechung geht es an diesem Tag unter anderem um die Frage, wie die Brennstoffzellen am besten montiert werden sollen. Je mehr Wasserstoffflaschen Platz finden, desto längere Strecken wird die Elektra einmal zurücklegen können. Rund 750 Kilogramm nutzbaren Wasserstoff soll das Schubboot an Bord haben. Das Gas wird mit einem Druck von rund 500 Bar in Flaschen gespeichert, die jeweils in Bündeln zusammengefasst sind. Die Bündel können einzeln ausgetauscht werden. „Das ist ähnlich wie bei einem Camping-Propangaskocher“, sagt Holbach.

Zu Strom wird der Wasserstoff in Brennstoffzellen. Die treiben dann Elektromotoren an. In Berlin kann die Elektra im Kurzstreckenbetrieb alternativ nur mit Batteriestrom unterwegs sein. Ohne Steckdose oder nachzutanken könnte die Elektra 400 Kilometer am Stück zurücklegen. Im Fahrgebiet der Elektra sind aber nur rund 130 Kilometer pro Tag möglich, da keine Nachtfahrten durchgeführt werden.

Bei den Strecken, die zurückgelegt werden, stoßen Schiffe noch massenhaft CO₂ aus. In der EU hat die Schifffahrt 2018 rund 139 Millionen Tonnen CO₂ emittiert. „Wir sind weit entfernt davon, CO₂-neutral zu sein, sagt Holbach. Langsam erst beginnt ein Umdenken. Derzeit liegt der Anteil der Binnenschifffahrt am Güterverkehr bei rund zehn Prozent. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) möchte ihn auf zwölf Prozent ausweiten. Die Emissionen sollen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken.

Die hybrid-elektrisch angetriebene Elektra könnte sogar eine Vorbildfunktion haben. „Das Energiekonzept ist auf die Fracht-, Personen- und Sportschifffahrt übertragbar“, sagt TU-Professor Holbach. Die Elektra als Blaupause? In zehn Jahren, davon ist Holbach überzeugt, wird es auf Europas Binnenschifffahrtswegen schon sehr „hybrid“ zugehen. Das denkt auch Behala-Logistikchef Lichtfuß. Früher oder später werde es auch in der Binnenschifffahrt Beschränkungen geben.

Gerade in Berlins Innenstadt mit Güterschiffahrt und Fahrgastschiffahrt könnten Verbrennungsmotoren zum Auslaufmodell werden. Dann sind alternative Antriebe gefragt. Wenn mehr und mehr Schiffe mit ähnlichen Antriebssystemen aufs Wasser kommen, wird die Infrastruktur ausgeweitet werden müssen, sagt Logistik-Experte Lichtfuß. Um das Schubschiff im Testbetrieb schon mit Strom und Wasserstoff versorgen zu können, sollen zunächst sogenannte Bunkerstationen in Berlin und Lüneburg entstehen.

In der Fahrgastschiffahrt versuchen es einige Unternehmen bereits mit Hybridantrieben. Viele haben aber noch einen „Angst-Diesel“ versteckt, sagt Holbach. Die Elektra wird im Ernstfall keinen Diesel dazuschalten können, das ist sicher. Ernsthafte Interessenten für das emissionsfreie Energiekonzept gibt es laut Gerd Holbach bereits. So will die Hamburger Hafenfährgesellschaft bei ihrem Liniendienst auf das Energiesystem der Elektra setzen. Auch Betreiber von Schubbooten bekunden Interesse. Zunächst muss der Prototyp aber fertig werden. Auf der Schiffswerft Barthel in Derben wird bis dahin bei der Arbeit noch einiger Schweiß vergossen werden.