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Schrebergärten Junges Gemüse in der Parzelle

In Sachsen-Anhalts Kleingärten wuselt vor allem die Generation 60 plus. Doch immer öfter mischen sich auch junge Leute darunter.

Von Elisa Sowieja 11.04.2017, 01:01

Magdeburg l Wo steckt denn jetzt eigentlich Rocco schon wieder? Ach, da hinten, am Komposthaufen! Keine zehn Minuten hat er‘s auf seinem Campingstuhl ausgehalten, da hievt er schon wieder schippenweise Erde in eine Schubkarre. Das ist so ähnlich wie vorhin beim Fotografieren, als er zwischen zwei Motiven kurz mal umgegraben hat. Keine Frage: Der Bursche mit dem Rocky-Balboa-Stirnband ist der Anpacker in der Bande. Warum auch nicht? „Ich sitz ja schon den ganzen Tag in der Uni still.“ Rocco Fötsch heißt er mit vollem Namen, ist 22, Germanistik-Student und der Neuzugang bei den jüngsten Pächtern im Kleingartenverein Börde.

Vor gut einem Jahr haben sie sich zu sechst zusammengetan und den Schrebergarten im Nordwesten Magdeburgs von einem Pärchen übernommen. Kennengelernt hatten sich alle über die Kirche. Ihre Nachbarn sind fast alle Rentner – passend zur Altersstruktur im gesamten Land. Unter den Pächtern der 95.000 Kleingärten ist weit über die Hälfte älter als 60, berichtet Sachsen-Anhalts Verband der Gartenfreunde. Weil die nach und nach ihre Parzellen abgeben, schrumpft der Verband: Rund 2000 Kleingärtner verliert er im Jahr. Leute in den 20ern und Anfang 30ern gibt es hingegen kaum. „Sie machen maximal fünf Prozent aus“, sagt Verbandschef Peter Riebeseel. Er beobachtet aber auch: In größeren Städten, vor allem denen mit Hochschulen, sind Schrebergärten bei jungen Leuten gefragter als noch vor ein paar Jahren.

Moment mal: Die galten doch immer als Inbegriff der Spießigkeit mit ihren Bepflanzungsregeln und sonnabendmorgendlichen Arbeitseinsätzen, getoppt nur noch von Eichenschrankwänden und Wanderurlaub im Schwarzwald. Was also lockt das junge Gemüse in Parzellen?

Die Magdeburger Gartenbande ist zwar bunt zusammengewürfelt – die einen studieren, die anderen arbeiten; manche trifft man meist am Beet, andere auf der angerosteten Hollywoodschaukel. Fragt man sie aber, wieso sie mitmachen, dann einen diese Truppe zwei Gründe.

Nummer eins: Der Garten ist Ausgleich für all die Denkerei im Alltag. Eva Voigt zum Beispiel studiert Medizin. Muss also ihren Kopf ständig mit Bergen von Fachbegriffen vollstopfen. Die 22-Jährige, eine gelassene Strahlefrau, gehört zu denen, die hier meist am Wuseln sind – wenn auch in weniger ausgeprägter Form als Rocco. Ihr hilft das, sagt sie: „Wenn ich etwas mit den Händen mache, bekomme ich den Kopf frei.“ Mitgärtner Alex Heinrich (24) – er gehört zur Fraktion Hollywoodschaukel – entspannt der Garten auf andere Art: Er verlagert oft seine Arbeit dorthin. Mit dem Laptop kann er seine Projekte für einen Sozialverein auch unter der Sonne organisieren. Dass mehr und mehr mehr Leute in seinem Alter einen Rückzugsort im Grünen suchen, erklärt er so: „Unsere Welt wird immer komplexer und wir sind ständig erreichbar. Da tut es gut, mal in der Natur zu sein, wo es ruhig ist.“

Der zweite Grund, der die Magdeburger in den Schrebergarten lockt, ist die Privat-Abteilung für Obst und Gemüse. Die spart erstmal Geld. Man denke nur an die Supermarkt-Preise für ein Schälchen Himbeeren, da rechnen sich eigene Pflanzen im Nu. Und die 130 Euro im Jahr für Pacht, Wasser und Strom tun, durch alle geteilt, keinem weh.

Hinzu kommt: Alles Grünzeug ist bio. Und das liegt im Trend. Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland ist von 2012 bis 2016 um ein Drittel gestiegen, hat der Arbeitskreis Biomarkt ermittelt. Und laut Ökobarometer des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist die Beliebtheit in den vergangenen Jahren vor allem bei den Unter-30-Jährigen gestiegen. Alex zum Beispiel kauft öfter bio und regional. „Mir geht‘s dabei um den Umweltschutz“, erklärt er. Auch Eva hat ein Herz für Naturbelassenes, ihre Großeltern betrieben nämlich mal einen Bio-Bauernhof. Mit ihrem Studenten-Budget, sagt sie, ist es allerdings schwierig, konsequent darauf zu achten. Ein Schrebergarten macht das schon einfacher.

Weil die Truppe so erpicht auf Obst und Gemüse ist, stört sie die oft verspottete Bepflanzungsvorgabe der Vereine (ein Drittel als Nutzgarten) kein Stück. Auch sonst ist das mit den Regeln gar nicht so schlimm, sagt Eva: „Früher hatte ich ja Angst, dass sonnabends bis 12 Uhr der Rasen gemäht sein muss. Aber wir wurden noch nie ermahnt.“ Auch nicht wegen der Grillpartys, die alle zwei, drei Wochen steigen.

Wenn‘s darum geht, in die Gärtnerei der bunten Bande Struktur zu bringen, ist Eva die Frau mit dem Überblick. In die Rolle ist sie irgendwie so reingerutscht, was wohl vor allem daran liegt, dass sie Dauerzugriff auf einen Joker mit Grünem Daumen hat: Mama. Die weiß, wann man Möhren aussät, wie lange der Kohlrabi im Gewächshaus bleiben muss und mit welchem Trick man bei Erdbeeren den Boden feucht hält (für die Fraktion Brauner Daumen: mit Stroh).

In einer Chatgruppe hält sie die anderen darüber auf dem Laufenden, was in der Pflanzenwelt gerade ansteht. Jeder schnappt sich dann beim nächsten Besuch eine Aufgabe, auf die er Lust hat. Das funktioniert ganz gut, erzählt Eva – allerdings nur deshalb, weil sich jeder einbringt. Im vergangenen Jahr war das nicht immer so. Da gab‘s öfter Besetzungswechsel, weil jemand abgesprungen ist.

Wenn Mama grad mal nicht erreichbar ist, geben übrigens auch die Nachbarn gern Tipps. „Die finden‘s cool, dass es hier junge Leute gibt“, erzählt die Medizin-Studentin. Am Anfang konnten sie es allerdings kaum fassen. „Da meinte mal jemand: Studenten? Hier? Und ihr habt nichts Besseres zu tun?“ Ähm, nö.