Der Kommissar mit der Erika Siegfried Schwarz jagte den Mörder im Kreuzworträtsel-Fall von Halle
Drei Jahrzehnte lang jagte Siegfried Schwarz als Ermittler Diebe, Räuber, Vergewaltiger und Mörder. Im Ruhestand begann der Chefermittler im Kreuzworträtsel-Fall eine zweite Karriere als Schriftsteller.

Halle (Saale)/MZ - Manchmal passiert es beim Autofahren, einfach so. Neulich erst kam Siegfried Schwarz am Buna-Werk vorbei, einem Ort, der vor unendlich langer Zeit zum Polizeirevier Merseburg gehörte, in dem Nachwuchswachtmeister Schwarz gerade seine ersten dienstlichen Schritte ging. Mehr als 60 Jahre ist das her, aber beim Blick aus dem Autofenster schoss dem Mann mit dem weißen Kinnbart sofort eine Geschichte in den Kopf.
„Ein paar Strohdiemen waren angezündet worden“, erinnert sich der 86-Jährige, „und wir haben nicht lange gebraucht, dann hatten wir die Täter.“ Siegfried Schwarz, genannt Siggi, lacht ein meckerndes Lachen. „Zwei Söhne von hohen Polizeibeamten“, erzählt er vom schnellen Ende eines seiner ersten Fälle.
Hinunter in eine tiefe Gruft
Das war schon immer so bei ihm, sagt er. „Meine Erinnerungen liegen in einer tiefen Gruft, aber wenn ich da hinuntersteige und mich umschaue, wird es immer heller.“ Details treten hervor, lange vergessene Episoden tauchen auf. Ein bisschen, beschreibt Siegfried Schwarz, sei es wie die ganz normale kriminalistische Polizeiarbeit, die er fast ein Leben lang erledigt hat: Es geht um Indizien, Fakten und Beweise, darum, Widersprüche aufzuklären und die Tatsachen darzustellen, wie sie sind. Nur dass in Schwarz’ zweitem Leben nicht mehr Staatsanwalt und Richter über die Zulässigkeit von Anklage und Strafe entscheiden. Sondern die Leserinnen und Leser der Bücher über authentische Kriminalfälle aus der DDR, die der Mann aus dem Saalekreisörtchen Kösseln seit zehn Jahren auf seiner geliebten Erika-Schreibmaschine in die Tasten hackt.
Dabei war Schwarz’ Autorendebüt „Mord nach Mittag“ eine schwere Geburt gewesen. Aufgewachsen im schlesischen Dörfchen Klemmerwitz als Sohn des Landarbeiterpaares Martha und Bruno, gehört Siegfried Schwarz zu der Generation, die den Krieg, den Zusammenbruch des Dritten Reiches und den Verlust der Heimat als erste bewusste Erinnerung gespeichert haben. Es ist eine Kindheit in Zeiten, die niemanden zum Literaten machen. Vater Bruno ist erst an der Front, dann in Gefangenschaft.

Die Schule fällt erst aus, dann ganz weg, als der Elfjährige mit Mutter Martha, Oma Emma und seinen Brüdern auf Treck Richtung Westen gehen muss. Der kleine Siggi will nicht mit, weil sein Lebensplan vorsieht, seinen neuen besten Freund, den Sowjetsoldaten Stjopa, in die Sowjetunion zu begleiten. „Zweimal bin ich ausgerissen, um bei ihm bleiben zu können“, erzählt Schwarz. Beide Male holt ihn sein großer Bruder Waldemar mit festem Griff zurück.
Über Görlitz landet die Familie in einer Baracke in Mittweida. Es sind die Hungerjahre nach dem Krieg. Siegfried Schwarz zieht nachts mit einer Säge in den Stadtpark, um Holz zum Kochen zu schlagen. Der Start einer Karriere als Gesetzesbrecher, die seinem neuen Buch den Namen gegeben hat. „Vom Kriminellen zum Kriminalisten“ zeigt den jungen Siegfried Schwarz, später Leiter der Morduntersuchungskommission (MUK) Halle und Chefermittler im berühmten Kreuzworträtselfall, als skrupellosen Verbrecher, der stiehlt und klaut, was immer seiner Familie beim Überleben helfen kann.
„Dass aus mir mal ein Polizist wird, hätte ich bestimmt nicht gedacht“, sagt Schwarz heute. Die Zeiten aber wirbeln die Schicksale durcheinander. Nach dem Umzug der Familie nach Merseburg, wo Schwarz’ zurückgekehrter Vater eine Stelle gefunden hat, trifft Siegfried in der Boxstaffel der Buna-Werke einen Freund, der die öde Tristesse des Lebens in der eben gegründeten DDR eintauschen will gegen die wilden Abenteuer einer Karriere auf See. „Aufs Meer fahren, Matrose sein, Seeluft schnuppern?“ Siegfried Schwarz möchte sofort wissen: „Was muss ich machen, um mitkommen zu können?“
Eine Weiche im Leben, die ihn schließlich über ein paar mehr Umwege zur Polizei führt. Aus dem Maat wird ein Oberwachtmeister, Schwarz avanciert bald zum Gruppenführer des sogenannten Schnellkommandos. „Wir waren die, die in den Nahkampf gehen mussten, wenn es irgendwo Randale gab“, sagt er heute, ein kleiner Mann, der sich dank seiner Leidenschaft für die Jagd straff hält. Das Energiebündel fällt auf, sie holen ihn zur Kriminalpolizei, Schwarz studiert und rutscht die Karriereleiter hinauf bis zum obersten Mordermittler im Chemiearbeiterbezirk. Seine MUK arbeitet so erfolgreich, dass sie immer wieder auch in andere Bezirke entsandt wird, um bei der Aufklärung schwerer Verbrechen zu helfen.

Mit Ermittlungen in 400 sogenannten unnatürlichen Todesfällen war Schwarz in seinen Kripo-Jahren betraut, Ermittlungen, die ihn zu einem nie ermüdenden Geschichtensprudler gemacht haben. Nach jedem Gang in den Erinnerungskeller kehrt er mit einem neuen Schwung an Mordsstorys zurück. Und immer wieder haben ihn die Jagdgenossen genervt. „Schreib das auf, Siggi!“ Aber es brauchte eine ganze Reihe von Anläufen, ehe das erste Buch fertig war. „Ich bin ja kein Schriftsteller“, sagt Schwarz, in dem bis heute ein Groll darüber grummelt, dass das erste Buch zum Kreuzworträtselmord, seinem größten Fall, die Ereignisse nicht so schildert, wie er sie dem Autor in endlosen Sitzungen beschrieben hat.
Schwere Affäre mit der Erika
Also besser selber machen, auch wenn Schwarz’ Liebesaffäre mit seiner treuen Erika, deren Leertaste schon mit Panzertape geflickt werden musste, mit jedem Blatt neu erarbeitet sein will. „Aber es macht Spaß, das mal in einem Zug aufzuschreiben“, sagt er. Diesmal keine Auflistung wichtiger oder obskurer Kriminalfälle. Sondern die Erzählung eines Lebens, verwoben mit Berichten über die Widersprüchlichkeit des Umgangs der DDR mit der Kriminalität, mit Details zu Ermittlungseinsätzen, mit aufgeklärten Morden und Taten, die dem ehemaligen Hauptmann der VP nachhängen, weil sie ungelöst und die Täter ungestraft blieben.
Mit seinem dritten Buch habe er nun aber alles erzählt, versichert Siegfried Schwarz. Ehe er schmunzelt und sich korrigiert. Neulich, als er in einem seiner alten Reviere unterwegs war, sei ihm ja doch wieder ein Fall eingefallen. „Damals wurde ein Ingenieur vor dem Buna-Werk von einem sowjetischen Armeelaster totgefahren.“ In der DDR eine Staatsaffäre! Könnte man aufschreiben. Müsste man eigentlich. Eine funkelnagelneue uralte „Erika“ hat Siegfried Schwarz passenderweise gerade von Freunden geschenkt bekommen. Im Koffer der Neuen fand er beim Auspacken einen Zettel, der Auskunft über den früheren Besitzer gibt, Siegfried Schwarz haut sich auf die Schenkel: „Die stammt aus dem Volkspolizeikreisamt Köthen!“