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Pole Fitness Der knallharte Flirt mit der Stange

Pole Fitness ist längst in den Fitnessstudios in Sachsen-Anhalt angekommen, kämpft aber dennoch mit einem Imageproblem.

06.10.2019, 23:01

Magdeburg l Meine Finger rutschen von der Stange. Der Fettfilm am Metall wird immer dicker und die Chance, doch noch Jane in mir zu entdecken und wie ein Disney-Held durch den Raum zu fliegen, kleiner. Pole Fitness. Ein Selbstversuch. So lautete der Arbeitstitel. Ein wenig Sport, ein paar selbstironische Zeilen im Anschluss. Dachte ich. Doch vor allem ist das hier eine Konfrontation mit meinem eigenen Körperbild. Eine Lektion in Selbstliebe.

An diesem Montagabend ist der Schnupperkurs im Firstsports-Studio ausgebucht. Wie fast immer. Das Polefitness-Studio zählt mittlerweile 250 Kunden, ausnahmslos Frauen. Was am Krökentor in Magdeburg anfing, setzt sich nun im neuen Studio in Sudenburg fort. Eröffnung ist offiziell erst am 19. Oktober. „Wir brauchten mehr Platz, weil immer mehr Frauen diesen Sport machen wollen“, sagt Studioleiterin Anita Sube. Die 30-Jährige hängte im Juni ihren Job im Krankenhaus an den Nagel, machte ihr Hobby zum Beruf. Entdeckt hat sie die Leidenschaft für Pole Fitness 2012 in Berlin. Unter anderen Voraussetzungen. Subes neues Hobby stieß damals „auf wenig Verständnis bei meinen Freunden“, sagt sie. „Da war sofort eine ablehnende Haltung zu spüren.“

Sieben Jahre später ist die Akzeptanz größer geworden. Auch durch wachsende Popularität. 2012 fand die erste Weltmeisterschaft im Pole Sport statt, drei Jahre später wurde die Organisation des deutschen Pole Sports gegründet. Ein Dachverband. Professionelle Strukturen. Und dennoch: „Viele Menschen assoziieren Pole Fitness immer noch mit Stripbars“, sagt Sube. Dabei sei es ein knallharter Sport, der viel Durchhaltevermögen erfordere. „Es geht nicht um Erotik.“ Das Studio hat eine externe Marketingmitarbeiterin im Team, die alle Posts in den sozialen Medien vor Veröffentlichung prüft. „Sie schreitet dann ein und sagt: ,Das ist zu sexy, das sendet ein falsches Signal‘“.

Meine Arme brennen bereits nach 20 Minuten. Die Anstrengung ist nicht von der Hand zu weisen. Das Spiel mit dem eigenen Körper aber auch nicht. Mit Schmuddel-Image hat das weniger zu tun. Mehr mit Selbstliebe. Das Recht darauf, in den Spiegel zu lachen und sich selbst sexy zu fühlen. Ohne Scham.

Selbstbewusst und immer einen Spruch für ihre Pole-Frischlinge parat, leitet Alice das Training. „So, jetzt mal alle an die Wand und dann laufen wir Richtung Spiegel“, weist sie an. „Mit Haltung. Guckt euch an, flirtet mit eurem Spiegelbild.“ Erotik, sagt sie, die stehe nicht im Fokus, „aber klar, dieser Sport hat auch einen gewissen Reiz, es geht darum, sich schön zu fühlen“.

Ich habe eine Stange in der ersten Reihe ergattert. Inklusive eines XXL-Spiegels direkt vor meiner Nase. Zwei Meter von mir entfernt, demonstriert Alice gerade die erste Drehung und schwebt elegant um die Stange. Kein Problem, denke ich. Fliege dann aber wie ein Schaschlikspieß, von dem das Fleisch einfach nicht runterrutschen will, um die Pole.

Dabei soll ich jetzt auch noch mit mir selbst flirten und mich attraktiv fühlen. Das fällt schwer. Und so bleibt Jane verborgen, dafür aber kommt mein unsicheres Teenager-Ich zum Vorschein. Lachen. Viel Lachen. Kopfschütteln. Unsicherheit. Selbstbewusst mit meinem Spiegelbild zu flirten – das fällt mir schwer. Wer beim Pole Fitness durchhält, der kann das lernen. Diese schamlose Selbstliebe. Das weiß auch Alice. Die ehemalige Leistungsschwimmerin fing vor drei Jahren mit dem Sport an. „Ich war sofort süchtig danach“, sagt sie.

Mit Brüdern aufgewachsen, sei die eigene weibliche Seite nie wirklich zum Vorschein gekommen. „Das hat sich durch Pole Fitness geändert, ich habe mehr Selbstvertrauen, ein ganz anderes Selbstbild“, sagt die Trainerin. Nach der Erwärmung demonstriert sie erste Figuren. Jede Choreographie ist eine Aneinanderreihung verschiedener Schrittfolgen. Füße und Arme müssen gleichzeitig verschiedene Dinge tun.

Neben mir trainiert Nina. Sie ist heute zum zweiten Mal im Studio. „Am Anfang hatte ich Zweifel, weil es ja doch irgendwie dieses Schmuddel-Image hat“, sagt sie. Doch das sei schnell verflogen. „Dafür hatte ich extremen Muskelkater.“ Sube betont, dass man nicht nur Kraft benötige. „Ganz viel Koordination ist gefragt.“ Und Durchhaltevermögen. „Aber rund 80 Prozent unserer Anfänger bleiben dabei.“

Und auch immer mehr Männer interessieren sich für Pole Fitness. Ein eigener Kurs sei in Planung. Und ein Mix-Kurs? Sube schüttelt langsam und mit skeptischem Gesichtsausdruck den Kopf. Wenn es nach ihr ginge, dann sofort, „allerdings kann ich auch verstehen, wenn einige Frauen das eben nicht wollen“.