Zwölf Jahre alter Oliver stirbt 2011 auf Rückfahrt ins Heim / Amtsgericht Aschersleben verhandelt seit gestern gegen zwei am Unfall beteiligte Autofahrer Staatsanwaltschaft: Tödlicher Unfall hätte verhindert werden können
Aschersleben l Ein tragischer Verkehrsunfall, bei dem ein Zwölfjähriger starb und weitere Kinder verletzt wurden, wird seit Donnerstag vor dem Amtsgericht Aschersleben verhandelt. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg wirft zwei Autofahrern fahrlässige Tötung und Körperverletzung vor.
Ohne zu gucken sei Christine M. von der B6n-Abfahrt Hoym/Nachterstedt nach links auf die L75 eingebogen. Im selben Moment, als der VW-Bus bereits mit den Vorderrädern auf der Spur in Richtung Hoym stand, sei ein Re-nault-Laguna aus Richtung Hoym aufgetaucht und habe den VW hinten links mit derartiger Wucht getroffen, dass der Kleinbus um die eigene Achse geschleudert wurde, so Staatsanwältin Ute Werner.
Gerrit B., der Renault-Fahrer, habe zwar Vorfahrt gehabt, allerdings sei er mit viel zu hoher Geschwindigkeit von einer kleinen Anhöhe heruntergerast. "Erlaubt sind im Kreuzungsbereich 70 Stundenkilometer - gefahren war der Angeklagte zwischen 127 und 146 km/h", wirft die Anklage Gerrit B. vor.
Der zwölf Jahre Oliver Seiler, der nach seinem Elternurlaub durch Christine M., Mitarbeiterin eines Heimes in Ballenstedt, wieder zum Heim gefahren werden sollte, starb an Genickbruch. Drei weitere Kinder wurden verletzt.
Oliver hatte auf der dritten Bank auf der linken Seite gesessen und war der vollen Wucht des Aufpralls ausgesetzt.
Beide Angeklagten äußerten sich gestern zu den Vorwürfen. Wobei die Einlassungen von B. nur Kopfschütteln im Zuschauerraum hervorriefen. "Ich war in Hoym tanken und bin dann normal zurückgefahren." Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Elke Plaga: "Unter Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit?" Antwort: "Kann sein, dass es ein bisschen mehr war. Aber so hoch auf keinen Fall." - "Wie hoch etwa?" "Nicht über 100 km/h."
Der VW-Bus habe auf der Abfahrt gestanden, und er habe keinen Grund gehabt zu reagieren. "Erst als ich zehn Meter heran war und der VW losfuhr, habe ich gebremst und wollte noch nach links ausweichen."
Anders als B. war es Christine M. anzumerken, wie sehr sie das Geschehen heute noch belastet. Sie schilderte den tödlichen Unfall aus ihrer Sicht und gab an, dass sie nach dem Anhalten und vor dem Auffahren auf die Landstraße nach links und rechts geschaut habe. "Von rechts aus Richtung Nachterstedt kam ein Auto, aber es war noch weit weg, von links von Hoym war die Straße frei."
Sie sei losgefahren und unmittelbar darauf habe es gekracht. Sie berichtete wie sie sich um die verletzten Kinder gekümmert habe, und dass Tom ihr aus dem hinteren Teil des Fahrzeugs zugerufen habe: "Christine, hilf mir, ich komme nicht hoch." Tom hatte eine Querschnittslähmung erlitten. Oliver sei bewusstlos gewesen.
Rechtsmedizinerin Dr. Katja Jachau ging auf die Todesursache ein. Ramona Seiler, Olivers Mutter, die als Nebenklägerin den Prozess begleitet, verließ, während das Gutachten vorgetragen wurde, den Gerichtssaal. Oliver war durch Bruch des 3. Halswirbels gestorben. Zwar sei das Rückenmark intakt gewesen, allerdings habe die Blutung, hervorgerufen durch die Fraktur, das Mark gequetscht. "Es kam zur aufsteigenden Lähmung." Der Tod sei nach etwa drei Minuten eingetreten.
Timo Nötzelmann, Gutachter und Sachverständiger vom Ingenieurbüro Lindow, erklärte, dass der VW-Bus mit ewa 10 bis 22 km/h unterwegs war, als es zum Crash kam. Der Renault habe vor seiner Vollbremsung (23 Meter lange Bremsspur) 127 bis 146 km/h auf dem Tacho gehabt - nach der Notbremsung immer noch 105 bis 124 km/h. "Hätte B. die Geschwindigkeitsbegrenzug eingehalten, ja selbst noch bei 82 km/h, wäre der Unfall zu vermeiden gewesen."
Die Frage steht im Raum, ob M. vor dem Auffahren auf die Hauptstraße wirklich angehalten hat. Alle Zeugen bejahten das gestern. Ein Bundeswehrsoldat, der Unfallzeuge gewesen war, hatte 2011 im polizeilichen Protokoll allerdings das Gegenteil behauptet. Er ist zur Zeit in Afghanistan und kann erst im Juli gehört werden.
Auch mehrere Kinder, die am Unfallort waren, hatten abweichende Beobachtungen gemacht. Sie sollen ebenfalls gehört werden.