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Studie Keine Belege zu DDR-Kinderraub

Viele Mütter gehen davon aus, dass DDR-Ärzte sie angelogen haben, was den Tod ihrer Kinder angeht.

06.03.2020, 23:01

Halle (dpa) l Laut einer neuen Studie gibt es keine Anhaltspunkte für systematischen Kindesraub in der DDR. Für die Forschungsarbeit hat der Medizinhistoriker Florian Steger rund 200 Fälle von Müttern untersucht, die davon ausgehen, dass ihre Kinder nicht – wie ihnen offiziell mitgeteilt wurde – vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. In Archiven beispielsweise fänden sich keine belastbaren Aussagen, dass die Kinder systematisch geraubt wurden, sagte Steger am Freitag in Halle.

Das Buch zur Studie ("Wo ist mein Kind?") beschäftigt sich mit Müttern, die ihre Kinder in den 70er und 80er Jahren auf dem heutigen Gebiet von Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Brandenburg entbanden. Die Betroffenen vermuteten etwa, dass ihre Töchter und Söhne zu linientreuen Parteimitgliedern gekommen, in den Westen verkauft oder in die Sowjetunion gebracht worden seien.

"Das Kernstück dieses Buches sind die Erzählungen der Frauen", erläuterte Steger. Die Aussagen habe er dann etwa anhand von Geburtsurkunden, Stasi-Unterlagen, Obduktionsberichten oder anderen Dokumenten überprüft. Dort sei jedoch nichts zu finden gewesen, "was diese Vorwürfe argumentativ unterfüttern würde". "Viele Betroffene werden mit den Ergebnissen des Buchs sehr unzufrieden sein."

Als Grund für die bis heute andauernden Zweifel sieht der Forscher fehlende "Trauerbewältigung". "Mit diesen Schicksalserlebnissen sind viele Frauen alleine gelassen worden." So hätten sich Mediziner damals etwa dazu entschieden, den Müttern den Anblick ihrer toten Kinder zu ersparen.

Zudem seien Kinder, die damals mit weniger als 1000 Gramm Gewicht zur Welt kamen, nicht bestattet worden. Dies aber wäre für eine Trauerbewältigung wichtig gewesen und habe auch zu einem bis heute andauernden Misstrauen gegenüber dem Staat geführt. "Die Mehrzahl der Betroffenen glaubt nicht an unseren Rechtsstaat", stellte Steger fest.

Er plädierte dafür, den Betroffenen zu helfen. Es brauche keine weiteren Studien, die belegten, dass es keinen systematischen Kindesraub in der DDR gab, sondern die Betroffenen müssten aufgefangen werden. "Offensichtlich haben wir sie alleine gelassen."