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Technik Schlaue Lampen erleuchten Bernburg

In Bernburg steht eine echte Innovation in Sachen Straßenbeleuchtung. Warum die 19 Straßenlaternen die wohl schlausten der Welt sind.

Von Emily Engels 05.05.2018, 01:01

Bernburg/Köthen l Eine dunkle Landstraße irgendwo zwischen dem Ortsteil Strenzfeld und der Stadt Bernburg. Dass die Straßenleuchte weiß, dass gerade ein Mensch im Anmarsch ist, verrät ein kleines rotes Lichtlein, das ganz oben an dem Laternenpfeiler angebracht ist. Der Infrarot-Sensor blinkt und aus dem dunklen Pfad wird innerhalb weniger Millisekunden ein hell beleuchteter Fußgängerweg. Die 19 Straßenlaternen in Bernburg-Strenzfeld sind allesamt Prototypen – und vermutlich die derzeit schlausten Straßenlaternen der Welt.

Zimmer 31 im vierten Stockwerk der Hochschule Anhalt in Köthen. Elektrotechnik-Professor Eduard Siemens hält einen Kleinrechner hoch, der nicht größer als eine EC-Karte ist. In dem 50 Gramm schweren und einen Zentimeter dicken Kästchen verbirgt sich das Geheimnis der schlauen Leuchten. Nur, weil es jetzt Rechner in der Größe gibt, erklärt Siemens, sei es für ihn und Professor Ingo Chmielewski überhaupt möglich gewesen, das Projekt umzusetzen. Endlich. Denn daran geforscht haben sie bereits seit acht Jahren.

Der größte Pluspunkt, so Siemens: „Die solarbetriebenen Leuchten verbrauchen 95 Prozent weniger Energie als eine normale LED-Straßenleuchte.“ Wie ist das möglich? Zunächst einmal sind die Leuchten auf der Strenzfelder Strecke im „Ruhezustand“ auf 1,5 Watt gedimmt. Zum Vergleich: Eine normale LED-Lampe hat eine Stärke von 40 Watt.

Die Lampen sparen nicht nur direkt Energie. Sie reduzieren auch die Lichtverschmutzung. Sprich: Sie greift weniger in den natürlichen Tageszyklus von Wildtieren wie Vögeln, Rehen und Wildschweinen ein, so Siemens.

Apropos Wildtiere: Ob es sich um ein Reh oder etwa ein Kind handelt, wissen die Straßenlaternen ebenfalls genau. Bei Menschen leuchten sie, bei Tieren nicht. Die Leuchten registrieren auch, wie schnell eine Person unterwegs ist. Läuft sie, geht nur die nächste Straßenleuchte an, fährt sie auf dem Rad, schalten sich gleich drei Leuchten auf einmal ein. Denn die Straßenlaternen kommunizieren über Funktechnik miteinander und tauschen so Informationen aus.

Wie die Straßenleuchten zwischen Reh und Mensch unterscheiden, will Professor Siemens jedoch nicht verraten. Denn dafür läuft derzeit ein Patent-Antrag. Siemens: „Die Technik muss bis zur Patentierung streng geheim bleiben.“ Ein erstes Patent haben die Lampen übrigens schon. Für das Allgemeinprinzip.

Seit etwa einem Monat beleuchten die schlauen Straßenlaternen jetzt in der Magdeburger Chaussee den Weg. Was für Erkenntnisse haben die Professoren daraus gezogen? Vor allem das genaue Identifizieren von Objekten lässt sich noch optimieren. „Wir wollen statt Infrarotlicht eine zweidimensionale Sensorik entwickeln“, so Siemens. Die würde Personen in einem Winkel von bis zu 150 Grad erkennen. Zum Vergleich: Die derzeitigen Infrarot-Sensoren decken nur einen 30-Grad-Winkel ab. Dadurch gibt es zwischen den Leuchten, die je 50 Meter voneinander entfernt sind, derzeit noch eine Art „toten Bereich“.

Die Technik, die neben den beiden Professoren auch vier Doktoranden der Hochschule entwickelt haben, weckt schon jetzt bei den Kommunen reges Interesse. „Wir haben bereits mehrere Anfragen – aus Bernburg und weiteren Städten im Kreis“, so Siemens.

Für ihn, Chmielewski und ihre vier Studenten ein klares Signal: Sie wollen als Start-up weiterarbeiten. Dafür sind sie jetzt auf Sponsorensuche. „Unsere Jobs als Professoren möchten wir jedoch auf keinen Fall aufgeben“, stellt Chmielewski klar. Das Unternehmen soll von den Doktoranden geführt werden, die an dem Projekt mitgearbeitet haben, so der Plan.

Und das könnte durchaus lukrativ werden. Ein Interessent habe geschätzt, dass sich das internationale Marktvolumen im dreistelligen Millionenbereich bewegen könnte. Siemens sagt selbstbewusst: „Schon allein in Europa gibt es mit 50 Millionen Straßenlaternen viel Potenzial. Ich würde da noch eine Null dranhängen.“ Einen Preis pro Leuchte kann er nicht genau nennen. „Wir entwickeln ja die reine Software“, so der Elektrotechnik-Professor. Die bewege sich bei rund 200 Euro pro Lampe. Und Kommunen, die auf die schlaue Technik umsteigen wollen, müssen längst nicht die komplette Laterne austauschen. Siemens: „So lange es sich um eine moderne LED-Leuchte handelt, lässt sich die Software installieren.“

Dass das Projekt so viel Zuspruch bekommt, finden die beiden Professoren zwar nicht überraschend, trotzdem sagt Siemens augenzwinkernd: „Eigentlich forschen wir ja an viel komplizierteren Sachen im Bereich Internet der Zukunft.“ Woran es liegt, dass gerade die intelligenten Straßenleuchten so viel Aufmerksamkeit erregen, kann er sich trotzdem erklären: „Wir haben hier etwas Sichtbares auf die Straße gebracht. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.“