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Corona-Krise Nichts dreht sich mehr

Sachsen-Anhalts Schaustellern steht das Wasser bis zum Hals

30.03.2021, 22:00

Magdeburg

Funken sprühen. Dirk Eckermann schleift im Werkstattwagen auf seinem Betriebshof in Wahlitz (Jerichower Land) ein Teil für seine 50 Jahre alte Kindereisenbahn. „Man muss ja etwas tun, sonst fällt einem die Decke auf den Kopf“, sagt der 50 Jahre alte Schausteller. Und seine Ehefrau Andrea ergänzt: „Zu tun gibt es immer etwas, wenn man ein Fahrgeschäft hat. Nur mit dem Geldverdienen ist es seit Monaten Essig.“

Kein Licht am Tunnelende

Wie alle Schausteller sind auch den Eckermanns 2020 die Märkte weggebrochen und auch in diesem Jahr ist kein Licht am Tunnelende zu sehen. „Normalerweise wären wir jetzt auf der Frühjahrsmesse in Magdeburg“, schiebt Dirk Eckermann seinen Schleifschutz vom Gesicht. „Und auch das Stendaler Frühlingsfest im April und den 1. Mai im Magdeburger Stadtpark können wir uns wohl knicken.“ Zukunftsangst und die Ungewissheit sind allgegenwärtig unter den „Fahrenden“.

Karl Welte, seit 21 Jahren Vorsitzender des Vereins selbstständiger Gewerbetreibender Markt und Messereisender, weiß, wie es um die Branche bestellt ist. Er selbst musste erst kürzlich seine „Sound-Machine“, die Weiterentwicklung der guten, alten „Walzerbahn“, verkaufen, um wieder flüssig zu sein. Er kenne Kollegen, die sogar die Ersatzreifen ihrer Autos verkauft haben, um eine Zeit lang über die Runden zu kommen.

„Ein Jahr fast ohne Einkommen, welcher andere Wirtschaftsbereich ist so gebeutelt wie wir. Aber uns mutet man das zu. Die Schau-steller haben’s ja.“

Er höre oft: „Na ja, aber ihr hattet doch den Elbe-Fun-Park’ als Ersatz für die Herbstmesse in Magdeburg“. Doch sei diese Eigeninitiative der Schausteller nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen. „Der Park unter strengen Corona-Auflagen, mit Zusatzkosten, zum Beispiel für Hygienemaßnahmen, Beschilderung und Sicherheitskräften, konnte das Minus der Monate zuvor nicht ansatzweise ausgleichen. Die große Mehrheit unserer 64 Vereinsbetriebe aus Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern läuft auf dem Zahnfleisch.“

Mit dem Blick auf den Weihnachtsmarkt in diesem Jahr machen sich die Eckermanns schon Gedanken. Zwar stehen noch zwei der alten „Märchenhäuser“ mit „Pitti“, „Schnattchen“, „Herrn Fuchs“ und „Frau Elster“ neben dem Werkstattwagen, aber neue Ideen gibt es schon.

„Wenn man das Kinderlachen in unserer Eisenbahn sieht und die Eltern, die ihnen stolz hinterherblicken, dann weiß man, warum man einen Schaustellerbetrieb hat“, sagt Andrea Eckermann.

Vor einigen Tagen hat Karl Welte beim Finanzchef der Landeshauptstadt, Klaus Zimmer, angeklopft, um klarzu machen, dass der Verein nicht in der Lage ist, die jährliche Pacht in Höhe von 48?000 Euro für den Messeplatz im Rote-hornpark aufzubringen. „Wir sind der Pächter“, so der Vereinsvorsitzende. „Wir kümmern uns in Eigenleistungen um den Platz, halten ihn instand, bessern Pflaster und Umzäunung aus.“ Und auch die laufenden Kosten kämen aus der Schaustellertasche. So müssten einige der zwölf Starkstromanschlüsse erneuert, die Trinkwasserleitungen mehrfach durchgespült werden. „Auch die Versicherungsbeiträge müssen ja pünktlich bezahlt werden.“

Bereits im vergangenen Jahr sei die Stadt für drei Quartale mit Stundung eingesprungen, so Welte. Auch für 2021 seien die Zahlungen hinausgeschoben worden. „Aber eine Stundung ist nur eine kurze Hilfe. Wie mir der Bürgermeister für Finanzen und Vermögen mitgeteilt hat, muss über den kompletten Erlass der Stadtrat entscheiden. Ich hoffe, dass wir Schausteller bei den Abgeordneten nicht auf taube Ohren stoßen.“

Der Verein hat inzwischen 14 Kommunen angeschrieben und nachgefragt, ob es dort Möglichkeiten gibt, ähnlich wie im Herbst in Magdeburg, „Freizeitparks“ durchzuführen. „Vielleicht ergibt sich ja doch die eine oder andere Möglichkeit, den Menschen mit unseren Geschäften ein bisschen Spaß in die triste Corona-Zeit zu bringen“, sagt der Vorsitzende.

Unterkriegen lassen wolle sich der Verein, der 1885 gegründet wurde und nach Hamburg der zweitälteste Deutschlands ist, aber keinesfalls. „Wir haben die DDR-Zeit mit all ihren Repressalien gegenüber Schaustellern überstanden. Die ständigen Versuche, uns Selbstständige wegzudrängen. Ein Verbot konnten wir nur verhindern, weil unser damaliger Vorsitzender so vorausschauend war, dass er die Schausteller unter dem Dach des Kulturbundes versteckt hatte.“

Der Spruch, der die Original-Vereinsfahne seit 136 Jahren ziert, habe auch heute noch Gültigkeit, sagt Welte: „Einigkeit macht stark“.