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Ungewöhnlich Wohnen Bett neben dem Mühlstein und hinter Gittern

Küche und Wohnzimmer der Stendalerin Monika Dutkiewicz waren Zellen in der ehemaligen Justizvollzugsanstalt.

08.06.2018, 23:01

Stendal/Nordgermersleben l „Hast du heute Freigang?“, ist eine der Fragen, die Monika Dutkiewicz häufig hört, wenn sie Bekannte in der Stadt trifft. Oder im Supermarkt: „Gibt es bei dir heute Abend Wasser und Brot?“ Letztens, so die 74-Jährige, habe der Paketbote bei ihr geklingelt und gefragt: „Würden sie eine Sendung für ihren Mithäftling annehmen?“

„An solche Scherze habe ich mich schon gewöhnt, schmunzelt sie. „Schließlich ist es ja meine Schuld, dass ich in das ehemalige Stendaler Gefängnis eingezogen bin.“ Doch bereut hat sie diesen Schritt nicht – im Gegenteil.

17 Jahre hat die pensionierte Grundschullehrerin zuvor in einer anderen Wohnung in Stendal gelebt. „Direkt unterm Dach. Die Nebenkosten waren riesig. Da habe ich in der Zeitung gelesen, dass in der ehemaligen Justizvollzugsanstalt moderne Wohnungen entstehen sollen. Das hat mich interessiert.“ Monika Dutkiewicz sah sich eine Wohnung im Parterre an und war begeistert. Ende April 2016 zog sie ein.

Dort, wo heute ihre offene Küche ist, waren zwei Zellen. Nebenan, in der Stube das Gleiche. An den ehemaligen Knast, der 1906 erbaut und im Januar 2010 geschlossen wurde, erinnern noch einige Details.

Die Stendalerin zeigt auf ein halbrundes, vergittertes Fenster in ihrem Wohnzimmer: „Das wollte der Denkmalschutz so. Und am Eingang zu den zwei Parterrewohnungen mit dem ungewöhnlichen Zuschnitt im ehemaligen „Weiberhof“ – dem Frauengefängnis – dienen die Gitter heute als Blickfang.

„Nicht lange nach meinem Einzug habe ich auf dem Balkon gesessen, da hat sich ein Mann interessiert das Gebäude angesehen. Wir kamen ins Gespräch, und er hat gesagt, dass er das Haus sehr gut von innen kennt.“ Sie habe ihn gefragt, was er denn verbrochen habe. Er hat nur geantwortet: versuchte Republikflucht.

Ein „ungutes Gefühl“ habe sie nicht in ihren vier Wänden. „Was soll ich mich damit belasten“, winkt sie ab.

Draußen auf dem Hof sind die Bauarbeiten im vollen Gange. Im ehemaligen Männertrakt entstehen weitere Wohnungen mit dem besonderen Flair einer mehr als 100 Jahre alten Haftanstalt in der Hallstraße 27. Besonders freut sich die 74-Jährige, dass es demnächst im Gebäudekomplex ein Café geben wird.

Rund 70 Kilometer weiter, in der Börde, haben sich Klaus-Dieter Rzejak und seine Ehefrau Erika einen Traum erfüllt. Dass der 64-Jährige Nachfolger des letzten Müllers von Nordgermersleben geworden ist, war allerdings ein Zufall. „Ich habe damals in Magdeburg-Buckau gewohnt und im selben alten MAW-Gebäude auch mein Büro gehabt“, erzählt der Geschäftsführer einer Bildungsvereinigung. Er habe sich in Fluss-Nähe solange wohl gefühlt, bis das Elbufer bebaut worden sei, „dann war ich auf der Suche nach etwas Neuem“. Angeboten wurde eine ziemlich verrottete Turm-Holländer-Mühle in Nordgermersleben, deren Flügel schon lange dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen waren.

„Ich war eigentlich nicht erbaut von dem Gedanken, Mühlenruinen-Besitzer zu werden“, so der ehemalige Niedersachse. Aber seine Frau sagte: Erst mal gucken und sein Sohn meinte: Das ist doch genau das Richtige für Verrückte wie euch. „Hätte ich damals schon genau gewusst, worauf ich mich einlasse ...“ Er lässt den Satz unvollendet. Dann ein tiefer Schnaufer: „Ein Fass ohne Boden.“

Mit der Finanzierung sah es schlecht aus. „Eine Mühle ist ein Sonderobjekt und fällt durch das Raster. Und der Denkmalschutz spricht bei jedem Balken, jedem Stein ein Wörtchen mit.“

Zehn Jahre ihres Lebens haben die Rzejaks in die Mühle gesteckt, die 1870 gebaut wurde und in der bis in die 1980er Jahren noch Getreide geschrotet wurde – zuletzt elektrisch.

150 Quadratmeter neue Steine wurden vermauert, die gesamte Fassade erneuert. Regenrinnen mussten angebracht werden, dafür gab der Denkmalschutz erst grünes Licht, als der Bauherr nachweisen konnte, dass das bei ähnlichen Projekten bereits abgesegnet worden war. Die Fenster wurden mit alten Steinen neu ummauert und das Dach, das schon zu DDR-Zeiten abgebrannt und provisorisch hergerichtet worden war, wurde erneuert.

„Die Elektroversorgung wurde auf den neuesten Stand gebracht und die Raumaufteilung hat uns so manche schlaflose Nacht bereitet“, sagt der 64-Jährige. Heute gibt es auf fünf Etagen 150 Quadratmeter Wohnfläche. Beinahe die gesamte Technik ist erhalten. Selbst die Welle verläuft noch vom Keller bis unter die Mühlenkuppel. Neue Flügel wird die Mühle jedoch nicht bekommen – „nicht bezahlbar“.

Ganz oben befindet sich das Schlafzimmer mit einem Balkon. „Jeden Morgen blicke ich über unser kleines Paradies, das große Außengelände mit dem 200 Quadratmeter großen Teich, im dem sich Kois tummeln und drei riesige Welse. Dann bereue ich keine Minute, die wir in den Umbau gesteckt haben.“