Landgericht Stendal verhandelt seit gestern einen Fall von Totschlag durch Unterlassen Verhungertes Baby: Drogenkonsum der Angeklagten Auslöser für schreckliche Tat?
Ein 23-Jährige muss sich seit gestern vor dem Landgericht Stendal wegen Totschlags durch Unterlassen verantworten. Der Stendalerin wird vorgeworfen, dass sie ihren drei Monate alten Sohn im Oktober 2011 verhungern und verdursten ließ.
Stendal l Modisch frisiert, schick gekleidet, aber ohne sichtbare Emotionen betritt Patricia B. am Freitag den Saal 218 des Landgerichts Stendal. Die Frau, die womöglich ihren drei Monate alten Jason verhungern ließ, versteckt ihr Gesicht hinter einem blau-roten Blatt Papier, die Hände sind mit "Stahl-Achten" gefesselt. Seit dem 6. Dezember sitzt die 23-Jährige in Halle wegen dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft.
Den ersten Prozesspunkt setzt Strafverteidigerin Katja Albrecht. Sie stellt den Antrag, die Öffentlichkeit, während die Anklage verlesen wird und einiger Zeugenvernehmungen, auszuschließen. Doch nach kurzer Beratung verkündet der Vorsitzende der 2. Großen Strafkammer, Ulrich Galler: "Der Antrag wird abgelehnt." Der Prozess bleibt öffentlich.
Oberstaatsanwältin Ramona Schlüter beschränkt sich in ihrer Anklage auf das Wesentliche: "Ich klage Patricia B. an, zwischen Anfang und dem 26. Oktober 2011 ihren drei Monate alten Sohn durch Unterlassen getötet zu haben." Die damals 22-Jährige habe "aus Bequemlichkeit und Eigennutz" das Baby "unzureichend mit Nahrung versorgt" und somit dessen "Tod billigend in Kauf genommen".
Bezeichnend die Bemerkung des Kammervorsitzenden: "Das Baby erinnert mich an die Fernsehbilder aus Afrika mit den unterernährten Kindern."
Die Angeklagte selbst will sich am ersten Verhandlungstag nicht äußern, so dass zuerst der Mann in den Zeugenstand gerufen wird, der den Stein ins Rollen gebracht hat: Der Chirurg Kai-Stephan Friedrichs vom Stendaler Johanniter-Krankenhaus.
Er sei als Notarzt am 26. Oktober 2011 gegen 13.30 Uhr in die Stendaler Carl-Hagenbeck-Straße zu einem "nicht ansprechbaren Kind" gerufen worden. "Das Baby lag in einem Stubenwagen in der dunklen Küche. Ich stellte sofort fest, dass das Kind tot war." Der Arzt nennt als Anzeichen die eingetrocknete Hornhaut des Auges, Totenflecken am Rücken und die bis auf die Beine beinahe vollkommen ausgeprägte Leichenstarre. "Das Baby musste also schon sechs bis acht Stunden, also seit dem Morgen, tot gewesen sein."
Er habe die Mutter gefragt, warum sie erst so spät einen Arzt informiert habe. Darauf habe sie geantwortet, dass Jason morgens nicht geweint und kaum geatmet habe. Sie habe Angst gehabt, den Arzt zu rufen. B. habe den Tod des Babys "relativ aphatisch hingenommen". Diese Reaktion sei "eigenartig" gewesen.
Die gesamten Umstände hätten ihn veranlasst, die Polizei zu benachrichtigen und eine Obduktion vorzuschlagen.
Nach dem Zustand der Wohnung befragt, antwortet Friedrichs: "ordentlich und sauber."
Der 55 Jahre alte Vater der Angeklagten versucht, sich bei seiner Befragung schützend vor die Tochter zu stellen. Ihn hatte die Angeklagte angerufen und als Ersten drüber informiert, dass "der Kleine leblos im Bett liegt". Er habe seine Tochter weinend und schluchzend vorgefunden, nachdem er einige Zeit später zu ihr gefahren war: "Wie im Januar 2011, als ihre Mutter gestorben war."
Zur Biografie der Tochter berichtet er, dass diese "nach der 7. oder 8. Klasse ohne Abschlusss von der Schule abgegangen sei. "Bis zur Pubertät war alles in Ordnung mit ihr. Dann ist sie öfter von zu Hause abgehauen, ist mal zur Schule gegangen, mal nicht", so der Kraftfahrer.
Um ihre drei Kinder, neben Jason zwei Mädchen (5, 2), habe sie sich sehr gut gekümmert. Aber sie sei wohl überfordert gewesen. "Hilfe hat sie ja nicht angenommen. Und als ich ihr gesagt habe, sie soll zum Arzt gehen, weil der Kleine immer so schlecht isst, hat sie nur gesagt: Ich schaffe das schon."
Dass seine Tochter mit Jason schwanger war, habe er erst erfahren, als sie "im 6., 7. Monat" war. Während ihrer Schwangerschaft sei sie erst kurz vor der Entbindung zum Arzt gegangen. Dass die Frage einer Adoption im Raum stand, davon habe er nichts gewusst.
Ein wenig mehr Licht in die Sache könnte die letzte Zeugin des ersten Prozesstags in den Fall gebracht haben. Sie hatte die letzten zwei Nächte in der Wohnung der Angeklagten verbracht. Die 24-Jährige bestätigte, dass Patricia B. sowohl am 24., als auch am 25. Oktober "Amphetamine durch die Nase gezogen" habe. Allerdings habe sich B. danach "nicht auffällig benommen".