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Sozialversicherungspflicht Versicherung schröpft Ehrenamtler

Die Deutsche Rentenversicherung unterwirft die Aufwandsentschädigung ehrenamtlicher Bürgermeister der Sozialversicherungspflicht. Die Kommunalpolitiker sind sauer - und wehren sich.

16.08.2015, 18:06

Magdeburg l Detlef Neumann ist ein vielbeschäftigter Mann. Seit mehr als zwei Jahren ist der 52-Jährige ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt Seehausen (Altmark). Was sich zunächst unspektakulär anhört, ist tatsächlich zeitraubend. Rund 20 Stunden wendet Neumann pro Woche auf, um Aufgaben für die 5500 Einwohner zählende Gemeinde zu erledigen - neben seinem Job als Beschäftigter beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft. Der Lohn für das "Ehrenamt": 1381 Euro Aufwandsentschädigung. Und davon muss er sogar noch ein Viertel abführen.

Seit Jahren gibt es deshalb Streit. Bis 2007 waren Aufwandsentschädigungen nicht sozialversicherungspflichtig. Seitdem müssen ehrenamtliche Bürgermeister Beiträge für Krankenkasse, Pflege und Rente abführen. Die Höhe der Aufwandsentschädigungen regelt das Land: In Orten mit 1501 bis 2000 Einwohnern liegt diese zum Beispiel zwischen 680 und 1040 Euro. Den genauen Betrag legt der Gemeinderat fest.

Von den Sozialkassen werden nur 312 Euro als Freibetrag behandelt. Detlef Neumann muss von seinen 1381 Euro rund 350 Euro im Monat abgeben. "Das ist nicht nachvollziehbar. Die Pauschale ist ja dafür da, um Ehrenamtliche für deren Kosten zu entschädigen", kritisiert er.

Neumanns Stadt ist Teil der Verbandsgemeinde Seehausen. Verbandsgemeindebürgermeister Robert Reck steht auf seiner Seite. "Im Wort Aufwandsentschädigung ist ja der Zweck wortwörtlich enthalten: Es geht um einen Mehraufwand von Zeit und Kosten, der ausgeglichen werden soll", sagt Reck. In seiner Verbandsgemeinde übernehmen die ehrenamtlichen Bürgermeister der Mitgliedsgemeinden unter anderem die Koordination der Pflege der Grünanlagen und die Verwaltung der Gemeindefinanzen. "Das ist nicht mit zwei Stunden pro Tag erledigt", sagt er. "Ich kann den Ärger meiner Bürgermeister verstehen."

Das tut auch der Städte- und Gemeindebund. Er unterstützt mehrere Musterklagen gegen die Rentenversicherung. Am Landessozialgericht ist ein Berufungsverfahren anhängig. In erster Instanz haben die Bürgermeister verloren. Kommunalrechtsexperte Heiko Liebenehm sagt: "Wird die Klage wieder abgewiesen, ziehen wir bis vor das Bundessozialgericht."

Das hat in der Sache schon einmal geurteilt. 2006 bejahten die Richter die Versicherungspflicht für ehrenamtliche Bürgermeister in Sachsen. Seitdem müssen die Abgaben auch in Sachsen-Anhalt geleistet werden.

Der Gemeindebund hält das für falsch. "Sachsen hat eine andere Verwaltungsstruktur. Anders als in Sachsen sind unseren ehrenamtlichen Bürgermeistern keine Verwaltungsaufgaben zugewiesen, sie stehen in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, sondern repräsentieren die Gemeinde", sagt Liebenehm. Er empfiehlt den Ehrenamtlichen, Widerspruch gegen die Bescheide einzulegen.

Die Deutsche Rentenversicherung weicht der Frage, warum sie die Beiträge in Sachsen-Anhalt erhebt, aus. Ein Sprecher sagte der Volksstimme: "Für die Beurteilung, ob ausschließlich Repräsentationsaufgaben oder zusätzlich auch Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, sind kommunalrechtliche Regelungen zu berücksichtigen. Ob ehrenamtliche Bürgermeister des Bundeslandes Sachsen-Anhalt als abhängig Beschäftigte versicherungspflichtig sind, ist vom Bundessozialgericht noch nicht entschieden worden."

Damit müssen die Ehrenamtlichen vorerst weiter zahlen. Unterstützung erhalten sie von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Ein Sprecher des Ministers kündigte an, man könne wegen des Bundesrechts in der Sache zwar nicht eingreifen. "Aber wir halten an unserer Auffassung fest, dass die Tätigkeit sozialversicherungsfrei ist. Wir werden uns auch künftig für eine Freistellung des Ehrenamtes von der Sozialversicherungspflicht einsetzen."