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Waldschäden Zerstörter Wald nach Sturm-Albtraum

Einige Harzhänge haben nach schweren Stürmen keine Bäume. Zwischen umgestürzten Bäumen versuchen Forstarbeiter das Chaos zu beheben.

Von Bernd Kaufholz 05.08.2018, 01:01

Harzgerode l Revierförster Michael Witticke schüttelt immer noch den Kopf, wenn er durch seinen Wald fährt. Auch ein halbes Jahr nach „Friedrike“ kann er seinen Gemütszustand kaum verbergen. „Förster sind vom Grunde her eigentlich Optimisten“, sagt er, „aber was der Sturm hier im Schiefergraben hinterlassen hat ...“ Der Wald liegt im wahrsten Sinne des Wortes am Boden. „In 100 Jahren sehen wir uns wieder“, sagt Witticke bitter. So lange dauert es, bis die neuen Anpflanzungen wieder erntereif sind.

Doch von Neuanpflanzungen sind die Forstleute heute noch weit entfernt. „Erst muss mal alles beräumt werden“, weiß auch Holger Koth, Chef des Landesforstbetriebs Süd und damit zuständig für den östlichen Unterharz und den südöstlichen Vorharz. „Das wird wohl bis Ende des Jahres dauern. Aber dann sind die Stämme-Stapel noch lange nicht aus dem Wald raus.“

Förster Witticke steht vor einer natürlichen Sperre. Auf knapp 100 Metern blockieren die Sturm-Fichten des Nordhangs den Weg. Rund 7000 Festmeter einfach weggepustet. Dort, wo sie einst standen, wachsen Laubbäume, die sich selbst ausgebreitet haben. „Bei allem Frust über den Zustand des Waldes bietet die Katastrophe vielleicht auch eine Chance“, sagt der 55-Jährige, der seit 30 Jahren Herr über die Wälder seines Reviers ist. „Wir können mehr auf Artenvielfalt setzen und von den Fichten-Monokulturen wegkommen.“

Süd-Chef Koth zeigt auf kleine Roteichen, auf Bergahorn. „Die großen Fichtenbestände sind nach dem Krieg in den 1950er Jahren angelegt worden, weil sie schnellen und guten Ertrag bringen. Aber diese Bäume sind sehr anfällig. Auch in Bezug von Trockenheit, weil ihre Wurzeln nicht sehr tief gehen.“ Das Ziel künftiger Aufforstungen im Landeswald sei es, „fünf Baumarten auf jeder Waldfläche anzusiedeln“. Eine Art Risikovorsorge. Favoriten seien bei den Nadelbäumen der „Hoffnungsträger“ Tanne, die Lärche und die Douglasie.

Ein paar Waldwege weiter arbeitet ein „Forwarder“, eine schwere Forstmaschine mit Greifarm, die bei zu starkem Gefälle durch das Seil einer Heckwinde vor dem Abrutschen gesichert wird. 30 Grad Gefälle – kurz vor dem Anseilen – knirscht sich der Stahlgreifer durchs Unterholz und lädt zehn Tonnen Stämme auf das Hinterteil des Zweiachsers mit den Steigeisen-Rädern. Im Wald geht es international zu: Finnen, Schweden, Tschechen, Rumänen, Polen, Österreicher, Deutsche arbeiten dort. „Es ist schwer, Leute zu bekommen“, so Koth. „Sachsen-Anhalt ist ja nicht das einzige Land, über dem der Sturm gewütet hat.“ Es gebe inzwischen eine regelrechte „Wald-Katastrophen-Industrie“ – Unternehmen, die ihre Dienste anbieten und europaweit die Wälder wieder auf Vordermann bringen.

Im Nachbarforst arbeitet ein riesiger „Harvester“ – eine „Baum-Erntemaschine“, in deren Greifer rasierklingenscharfe Ketten rotieren, ähnlich wie bei einer Kettensäge.

Das Monster zieht die Bruch-Stämme durch sein Greifer-Maul, entfernt die Äste und stückelt sie nach Maß. Bis zu 15 Waldarbeiter ersetzt solch ein Harvester.

Und das macht nicht nur mit Blick auf die Produktivität Sinn. „Wir hatten in jüngster Zeit drei schwere Unfälle, darunter einen tödlichen“, so der Süd-Bereichs-Chef. „Geschuldet den chaotischen Zuständen auf den Schadensflächen. Bäume sind unter Spannung verkeilt. Rückt man ihnen mit der Kettensäge zu Leibe, kann es passieren, dass Stämme wie von der Sehne schnellen und Knochen zerschmettern.

Stämme-Stapel aller Holz-Qualitäten säumen links und rechts die Waldwege und warten drauf, abgefahren zu werden. „Das kann dauern“, sagt Koth. „Die Kapazitäten sind eng gestrickt und vor den Sägewerken stauen sich die Transporte.“ Das gesamte „System Forstwirtschaft“ sei durcheinandergekommen.

Um die Holzpreise nicht noch weiter fallen zu lassen und auch in den nächsten Jahren den Naturrohstoff anbieten zu können, hat der Landesforstbetrieb im Harz vier „Nasslager“ zusätzlich eingerichtet. Dort werden 160.000 Kubikmeter Holz über spezielle Sprinkleranlagen permanent beregnet. So können die Fichtenstämme zwei, drei Jahre konserviert werden.

„Bodenschwende“-Revierförster Norbert Fürstenberg, der in zwei Jahren in Ruhestand geht, hat „Friederike“ besonders hart getroffen. Er wollte seinen Bereich, den er 20 Jahre lang gehegt und gepflegt hat, seinem Nachfolger tiptop übergeben. „Jetzt sieht er schlimmer aus als damals, wo ich ihn übernommen habe.“

Kommentar "Zweierlei Maß beim Ausgleich" zum Thema.