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Weltmeisterzug Hoffen auf das Wunder von Meiningen

In Meiningen verwittert der Weltmeisterzug von 1954 aus dem Film „Das Wunder von Bern“. Ein Eisenbahnfan will ihn retten.

Von Alexander Walter 04.12.2019, 14:55

Meiningen l Als die Mannen um Fritz Walter am Abend des 4. Juli 1954 im Berner Wankdorf-Stadion gegen Ungarn den Weltmeistertitel holen, reißen sie ein ganzes Land aus der Depression. Deutschland, vom Krieg geschunden, mit dem Antlitz zerbombter Städte, besetzt und geteilt, beginnt zum ersten Mal wieder, an sich zu glauben.

Die Heimreise im glänzend rot lackierten Dieseltriebwagen der Baureihe VT08 mit der Aufschrift „Fussballweltmeister 1954“ aus dem schweizerischen Spiez nach München wird zum symbolträchtigen Aufbruch. Zumindest für den Westen markiert sie das Ende des Leids der Nachkriegsjahre und den Beginn der Wirtschaftswunder-Ära der jungen BRD.

Mehr als eine Million Menschen feiern die Mannschaft damals auf der Strecke. Immer wieder muss der Zug – wegen seiner schnittigen Form auch „Roter Blitz“ genannt – für Glückwünsche halten. Die Bilder gehen um die Welt.

Noch fast 50 Jahre später ist der Regisseur Sönke Wortmann so sehr vom Helden-Stoff angetan, dass er ihm den Kino-Film „Das Wunder von Bern“ widmet. Was kaum jemand weiß: Der Originalzug ist da längst Geschichte. Von der Öffentlichkeit – und selbst von Teilen des Konzerns – unbemerkt, hat die Bundesbahn ihn in den 80er Jahren einfach verschrotten lassen.

Ein baugleiches Modell des VT08 aber peppt das Filmteam um Wortmann nach dem Vorbild des Originals auf – inklusive Lackierung und Weltmeisterschriftzug. Es ist heute der letzte verbliebene von einst 14 Zügen der Baureihe.

Inzwischen aber scheint auch das letzte Modell des VT08 in Vergessenheit geraten zu sein. Im Dampflokwerk Meiningen in Südthüringen stehen die 1000 PS starken Triebwagen seit fast zehn Jahren zwischen Hallen und Güterwaggons auf einem Abstellgleis. Wind und Wetter haben den Lack ergrauen lassen, Metallteile rosten vor sich hin. Die einst klaren Scheiben sind hinter grünen Schlieren ermattet. Im einst prächtigen Speisewagen hat sich auf die schweren Holztische eine millimeterdicke Staubschicht gelegt. Geschirr steht lieblos zurückgelassen in einem offenen Regal. Nur Schwarz-Weiß-Fotos der Mannschaft an den Wänden erzählen von besseren Tagen.

Noch aber gibt es Hoffnung. Denn der VT08 hat einen hartnäckigen Fürsprecher – den 83-jährigen Olaf Teubert. Wie Millionen andere Deutsche saß auch er als Jugendlicher während des Finales zu Hause am Radio – in seiner Heimatstadt Leipzig. „Das war ein solcher Krimi“, erzählt der Pensionär bei einem Treffen in Magdeburg. „Besonders in Erinnerung geblieben ist mir aber der wunderschöne Triebwagen, der die Mannschaft zurück nach München brachte“, sagt Teubert.

Der „Rote Blitz“ – er mag ein Grund dafür gewesen sein, dass Olaf Teubert nach seiner Ausbildung beim Reichsbahnausbesserungswerk in Engelsdorf bei Leipzig später im Westen Lokführer wurde und dem Konzern bis zu seiner Pensionierung mehr als 50 Jahre lang treu blieb.

Teubert, der das langsame Rosten „seines“ Weltmeisterzugs Jahr für Jahr bei den Dampfloktagen Anfang September in Meiningen vor Augen geführt bekommt, will nicht weniger, als seinen Zug retten.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ihm das gelingt. Für die Instandsetzung einer schwer beschädigten Schnellzug-Dampflok „01 150“ aus den 1930er Jahren konnte er schon einmal mehr als eine halbe Million Euro einsammeln. Prominentester Unterstützer damals: der ehemalige sächsische CDU-Landesvater Kurt Biedenkopf.

Diesmal aber ist die Sache komplizierter. Auf mindestens zwei Millionen Euro schätzen Experten die notwendigen Kosten, einige sprechen von bis zu 13 Millionen. Die Bahn-Stiftung – der Zug gehört dem der Stiftung angegliederten DB-Museum Nürnberg – äußert sich auf Anfrage wolkig. So schreibt ein Sprecher einerseits: „Der Symbolwert der Baureihe vor allem im Zusammenhang mit sportlichen Ereignissen ist einzigartig für deutsche Schienenfahrzeuge.“

Er ergänzt aber auch: „Da die eigenen Kapazitäten an den Standorten in Nürnberg, Koblenz und Halle begrenzt sind, kann ein Erhalt nur mit engagierten Partnern gelingen.“

An Lösungen werde gearbeitet. Sobald die geschützte Abstellung gelungen ist, werde ein Restaurierungskonzept erarbeitet. Für weitere Angaben sei es zu früh. Olaf Teubert fürchtet, dass all das nur Vorwände sind und das Bahnmuseum es der Zeit überlässt, Tatsachen zu schaffen. Der Lokführer im Ruhestand hat sich derweil selbst auf die Suche nach zahlungskräftigen Partnern begeben. Es ist nicht so, dass er dabei nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt hätte.

Fast der gesamten Fußball-Prominenz hat er inzwischen geschrieben, ebenso Politikern und Sportkonzernen. Darunter sind laut Teubert Ex-Bayern-Boss Uli Honeß ebenso wie Ex-Bayer-04-Leverkusen-Abteilungsleiter Reiner Calmund, Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber, der Konzern Adidas oder Ex-DFB-Chef Reinhard Grindel. „Viele haben mir gesagt, wie toll sie die Idee finden“, sagt Teubert. „Kein Einziger aber war bereit, sich für den Weltmeisterzug auch finanziell zu engagieren.“ Der frühere DFB-Chef Grindel antwortet auf einen Brief Teuberts vom Juni 2016 erst im März dieses Jahres – also fast drei Jahre später: Eine finanzielle Hilfestellung des DFB sei „an dieser Stelle leider nicht möglich“. Im Übrigen habe er für das Anliegen Teuberts aber „vollstes Verständnis und auch ein offenes Ohr“.Lokfan Teubert ist über solche Reaktionen frustriert. „700 Millionen Euro geben die 18 Bundesliga-Clubs für Spielerkäufe aus. Für die Rettung des symbolisch so wichtigen Weltmeisterzugs aber haben sie nicht einen Cent übrig.“

Teubert ärgert das auch deshalb, weil sich noch bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland viele Fußballpromis und Politiker nur zu gern im Film-Zug ablichten ließen. Der frühere Bahn-Chef Hartmut Mehdorn etwa ließ sich mit „Kaiser“ Franz Beckenbauer vor den Waggons fotografieren, auch der damalige Bundespräsident Horst Köhler stieg ein. Ganze Fernsehsendungen wurden im Zug gedreht. Dass der Triebwagen dabei sogar noch als Original vermarktet wurde – wohl auch weil Bahnmitarbeiter selbst schlecht informiert waren – sorgte im vergangenen Jahr nur noch für ein kurzes Schlaglicht auf das Thema. Seitdem herrscht Ruhe. Für Teubert ist das unverständlich. „Sonst rettet dieses Land sein historisches Erbe ja auch“, sagt er.

Zum Beispiel das 1977 von palästinensischen Terroristen entführte Lufthansa-Flugzeug „Landshut“. Tatsächlich kaufte die Bundesregierung das ausgemusterte und auf dem brasilianischen Flughafen Fortaleza abgestellte Flugzeug 2017 für 20 000 Euro und ließ es nach Friedrichshafen bringen. Die Maschine soll jetzt für eine Ausstellung instandgesetzt werden.

Oder das Segelschulschiff „Gorch Fock II“ der Bundeswehr. Die Kosten für die Sanierung des 1958 in Dienst gestellten Botschafters der Bundesmarine sind zuletzt auf 135 Millionen Euro gestiegen. Trotzdem hat sich der Bund entschieden, das Schiff bis 2020 grundlegend reparieren zu lassen.

Der Weltmeisterzug aus dem Wortmann-Film gehört nicht dem Bund, sondern nur der Bahn-Stiftung. Laut deren Sprecher ist er auch nur einer von mehr als 600 Zügen des DB-Museums. Dass der Triebwagen in Meiningen unter freiem Himmel steht, auch das verrät für Olaf Teubert einiges über den internen Marktwert. Teubert will dennoch nicht aufgeben. „Ich will zumindest noch erleben, dass die Sanierung beginnt“, sagt der 83-Jährige.

Große Hoffnung hatte der Lokfan dabei in Regisseur Sönke Wortmann gesetzt. Sein Plan: ein gemeinsamer Auftritt in einer TV-Talkshow, Gespräche von Redakteuren mit Teubert gab es bereits. Doch auf Nachfrage teilte auch die Firma des Filmemachers jetzt mit: Der Regisseur bitte um Verständnis, „dass er leider mit dem Thema wenig vertraut sei“ und auch keinen Bezug dazu habe.

Enttäuscht sei er über diese Reaktion nicht, sagt Teubert. Dafür hat er wohl auch schon zu viele mögliche Unterstützer angefragt. „Ich nehme das zur Kenntnis.“ Was er aber sagt: Die heutige Generation, die Krieg und Teilung weit hinter sich gelassen hat, scheint die Wertschätzung für die einfachen Symbole zu verlieren, die den Deutschen in Ost und West damals so viel Hoffnung gaben. Noch will sich der ältere Herr damit trotzdem nicht abfinden. „So schnell gebe ich nicht auf, schließlich bin ich Steinbock“, erzählt er.

Einen neuen möglichen Helfer hat Teubert schon im Blick: den Schwiegersohn des letzten lebenden Weltmeisters von 1954, Horst Eckel. „Wir haben gestern telefoniert“, sagt er.